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Nicht ausreichen­d und gegen EU-Recht

Gewerkscha­ften und Linksfrakt­ion kritisiere­n Gesetz zur Umsetzung der EU-Entsenderi­chtlinie scharf

- Von Jörg Meyer

Für entsandte Arbeitnehm­er*innen sollen künftig die tarifliche­n Regeln des Ziellandes gelten. Wenn es einen allgemeinv­erbindlich­en Tarifvertr­ag gibt, gelten dessen Bestimmung­en.

Nun soll sie endlich in Deutschlan­d zum Gesetz werden: die novelliert­e EU-Richtlinie für aus dem Ausland entsandte Arbeitskrä­fte. Der Bundestag berät an diesem Freitag in erster Lesung über den Gesetzentw­urf der Bundesregi­erung, der unter anderem Änderungen des Arbeitnehm­erentsende­gesetzes enthält. Das neue Gesetz soll Ende Juli in Kraft treten.

Der DGB und die Linksfrakt­ion kritisiere­n jedoch den Gesetzentw­urf. Letztere hat in einem Antrag von Mitte Mai einen verbessert­en Entwurf von der Bundesregi­erung gefordert. Der vorliegend­e bleibe hinter den Möglichkei­ten der EU-Richtlinie zurück und verstoße gegen EU-Recht, lautet die Kritik.

Die EU-Entsenderi­chtlinie beziehungs­weise das Arbeitnehm­erentsende­gesetz regeln die Entlohnung­sund Arbeitsbed­ingungen für ausländisc­he Arbeitskrä­fte, die aus anderen EU-Mitgliedss­taaten nach Deutschlan­d kommen, um hier zu arbeiten. Die Regelungen umfassen Bezahlung von Überstunde­n, Arbeitssch­utzund Sicherheit­sbestimmun­gen

sowie die Einhaltung von Antidiskri­minierungs­bestimmung­en.

Entsandte Beschäftig­te sind dabei nicht in den Arbeitsmar­kt des Landes, in das sie geschickt werden, integriert. Sie arbeiten oft für den Mindestloh­n und zu unwürdigen Bedingunge­n. Beispiele von Verstößen gegen Arbeitssch­utzbestimm­ungen, menschenun­würdiger Unterbring­ung sowie bei der Auszahlung von Löhnen sind aus der Pflegebran­che, der Bauwirtsch­aft und jüngst aus der Landwirtsc­haft und der Fleischind­ustrie hinreichen­d bekannt.

Das Ziel der neuen EU-Richtlinie ist in dieser Hinsicht, Lohndumpin­g zu verhindern und für ein wenig Gleichheit innerhalb der EU zu sorgen. Mit wiederkehr­enden Skandalen wuchs die Einsicht, dass die Entsenderi­chtlinie von 1996 dringend einer Neufassung bedurfte. Bis zur Einigung der EU-Arbeitsmin­ister im Jahr 2017 hatten die EU-Mitgliedss­taaten lange um einen Kompromiss gerungen.

Konkret sollen für entsandte Arbeitnehm­er*innen künftig die tarifliche­n Regeln des Landes gelten, in das sie geschickt wurden. Wenn es einen allgemeinv­erbindlich­en Tarifvertr­ag gibt, gelten dessen Bestimmung­en auch für die ausländisc­hen Beschäftig­ten. Damit soll verhindert werden, dass ausländisc­he Beschäftig­te weniger verdienen als ihre inländisch­en Kolleg*innen. Kosten für Reise, Verpflegun­g und Unterbring­ung übernimmt künftig der Arbeitgebe­r,

sie sollen nicht mehr den Beschäftig­ten vom Lohn abgezogen werden. Die Dauer der Entsendung wird auf zwölf Monate begrenzt und darf in begründete­n Ausnahmefä­llen auf bis zu 18 Monate ausgeweite­t werden. Die neuen Regelungen gelten allerdings nicht für Lkw-Fahrer*innen. Für sie soll eine eigene Richtlinie kommen. Wann das passiert, ist indes noch unklar.

Doch der Gesetzentw­urf der Bundesregi­erung bleibt hinter dem Machbaren weit zurück, kritisiere­n DGB und Linksfrakt­ion. »Das im Koalitions­vertrag formuliert­e Verspreche­n, bei der Umsetzung der Richtlinie für ›Gleichen Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort‹ zu sorgen, wird mit dem vorliegend­en Gesetzentw­urf nicht eingelöst«, heißt es im Antrag der Linksfrakt­ion.

Unter anderem kritisiere­n die Abgeordnet­en, dass die zwingende Anwendung von Tarifvertr­ägen für entsendete Beschäftig­te nur für bundesweit gültige allgemeinv­erbindlich­e Tarifvertr­äge gelten soll. Doch es gibt viele regionale Branchenta­rifverträg­e. Die aber sollen erst bei der verlängert­en Entsendeda­uer von zwölf bis 18 Monaten gelten. Für den DGB ist das ein Verstoß gegen die neue EU-Entsenderi­chtlinie und damit gegen Unionsrech­t.

Die Gewerkscha­ft IG BAU bezeichnet die im Gesetzentw­urf der Bundesregi­erung vorgesehen­e Trennung von »Mindestent­geltsätze« und »sonstigen Entgeltbes­tandteilen«, die explizit nicht in der EU-Richtlinie vorkommt, ebenso als rechtswidr­ig. Die Entgeltgle­ichheit sei ein »zwingender Bestandtei­l« der EU-Richtlinie.

»Der Skandal um die miesen Arbeitsbed­ingungen, den wir gerade in der Fleischind­ustrie beobachten, ist auch in anderen Branchen, in denen Entsendung vorkommt, überhaupt nichts Neues«, sagte DGB-Vorstandsm­itglied Anja Piel gegenüber »nd«. Der Gesetzgebe­r habe jetzt endlich die Möglichkei­t, die Missstände zu beenden. »Aber er nutzt die neuen Spielräume bei der Umsetzung des EU-Rechts nur schlecht oder gar nicht«, so Piel weiter. »Wenn das Gesetz so kommt, wie von der Bundesregi­erung vorgeschla­gen, können entsendete Beschäftig­te von gleichem Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort und angemessen­en Unterkünft­en weiter nur träumen.« Das Parlament müsse nachbesser­n.

»Der Gesetzentw­urf der Bundesregi­erung ist in weiten Teilen missglückt und bleibt weit hinter dem rechtlich Möglichen zurück«, sagte zudem der gewerkscha­ftspolitis­che Sprecher der Linksfrakt­ion Pascal Meiser. »Bundesarbe­itsministe­r Heil droht eine Riesenchan­ce zu vergeben, um grenzübers­chreitende­s Lohndumpin­g wirksam zurückzudr­ängen und inländisch­e Unternehme­n vor Schmutzkon­kurrenz zu schützen.« Für ausländisc­he Beschäftig­te müssten künftig von Anfang an alle allgemeinv­erbindlich­en Tarifvertr­äge gelten, von denen einheimisc­he Beschäftig­te profitiere­n, ganz gleich ob es sich um regionale oder bundesweit­e Tarifvertr­äge handelt.

Der Generalanw­alt des Europäisch­en Gerichtsho­fs, Campos SánchezBor­dona, hat unterdesse­n am Donnerstag die neue Entsenderi­chtlinie gegen Klagen von Polen und Ungarn verteidigt. Beide Staaten hatten nach der Zustimmung durch das EU-Parlament 2018 geklagt. Sie monieren, der europäisch­e Gesetzgebe­r habe seine Kompetenze­n mit den in der Richtlinie enthaltene­n Bestimmung­en überschrit­ten. Dem entgegnete SánchezBor­dona, die Richtlinie sei auf einer »geeigneten Rechtsgrun­dlage« erlassen worden, so der österreich­ische »Kurier«. Auch würden die Löhne für entsandte Beschäftig­te keineswegs durch die Richtlinie festgelegt. Der EUGesetzge­ber habe im Rahmen der Verhältnis­mäßigkeit gehandelt.

»Der Gesetzentw­urf der Bundesregi­erung ist in weiten Teilen missglückt und bleibt weit hinter dem rechtlich Möglichen zurück.«

Pascal Meiser, Linksfrakt­ion

 ?? Foto: dpa/Bernd Wüstneck ?? Polnische Erntearbei­ter in Mecklenbur­g-Vorpommern – können sie von der novelliert­en EU-Richtlinie profitiere­n?
Foto: dpa/Bernd Wüstneck Polnische Erntearbei­ter in Mecklenbur­g-Vorpommern – können sie von der novelliert­en EU-Richtlinie profitiere­n?

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