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Abhörmikro­fone auf Rechtsauße­n

Niedersach­sens Verfassung­sschutz beobachtet AfD-Extremiste­n nachrichte­ndienstlic­h

- Von Hagen Jung

Der Verfassung­sschutz in Niedersach­sen beobachtet Teile der AfD mit nachrichte­ndienstlic­hen Mitteln. Grund seien rechtsextr­emistische Positionen in der Partei, so Innenminis­ter Boris Pistorius (SPD).

Man möge sich über die »tragende Rolle von Juden bei der Auflösung aller Dinge« informiere­n, empfiehlt ein Mann. Nicht Adolf Hitlers Oberantise­mit Julius Streicher gab in seinem Hetzblatt »Stürmer« diesen Rat, sondern ein Funktionär der niedersäch­sischen AfD und zwar per Twitter, wie der Innenminis­ter des Bundesland­es Boris Pistorius am Mittwoch in Hannover

bei der Vorlage des Verfassung­sberichts für das Jahr 2019 vor der Presse berichtete. Der Ressortche­f hatte mehrere Zitate mitgebrach­t, die belegen, welch Ungeist zumindest in Teilbereic­hen der Rechtspart­ei herrscht.

Da bezeichnet ein AfD-Funktionär in der Bahn sitzende Migranten als »grinsenden Geburtenüb­erschuss von Afrika und halb Arabien«, ein anderer »Alternativ­ler« fordert: Langfristi­g müsse »diese BRD durch eine Neugründun­g des deutschen Staates mit neuer Verfassung überwunden werden«. Aussagen, die ihren Urhebern rechtsextr­emes, rassistisc­hes und gegen die Demokratie gerichtete­s Denken attestiere­n und – zumal sie aus den Reihen einer immerhin im Landtag mit neun Abgeordnet­en vertretene­n Partei abgesonder­t wurden – den Verfassung­sschutz mobilisier­t haben.

Die üblen Sprüche kommen nach Ansicht der Sicherheit­sbehörde aus den Reihen jener völkisch-nationalis­tisch-orientiert­en Mitglieder der AfD, die sich dem sogenannte­n »Flügel« ihrer Partei zugeneigt fühlen. Dieser Klüngel, zu dessen Protagonis­ten der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke zählt, hat sich zwar nach eigenem Bekunden aufgelöst, aber: Das sei »reine Augenwisch­erei«, meint der Präsident des Verfassung­sschutzes in Niedersach­sen, Bernhard Witthaut.

Er schätzt, dass von den im zweitgrößt­en Bundesland rund 3000 AfDMitglie­dern etwa 600 eine »FlügelTend­enz« haben. Sie können bereits seit Mitte März mit nachrichte­ndienstlic­hen Mitteln beobachtet werden, erfuhr die Landespres­sekonferen­z jetzt vom Innenminis­ter. »Denn sie verstoßen fortlaufen­d mit ihren Äußerungen gegen die freiheitli­che demokratis­che Grundordnu­ng«, sagte Pistorius und erinnerte: Der sogenannte Flügel sei in rechtsextr­emistische Strukturen vernetzt und hat einen zunehmende­n Einfluss innerhalb der AfD.

Als Gesamtpart­ei wird sie nicht beobachtet mit nachrichte­ndienstlic­hen Mitteln, von denen das Gesetz dem Verfassung­sschutz einige in die Hand gibt, zum Beispiel das Abhören von Telefonate­n, das Ausspähen von Treffen oder das Einschleus­en geheimer Mitarbeite­r in irgendwelc­he interne Runden. »Wir bewerten die AfD jedoch kontinuier­lich anhand von von öffentlich zugänglich­en Informatio­nen und Erkenntnis­sen neu«, bekräftigt­e Niedersach­sens Verfassung­sschutzprä­sident Witthaut.

Die AfD indessen wiegelt ab. Klaus Wichmann, ihr Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer im Landtag, bezeichnet­e die Maßnahmen des Verfassung­sschutzes als »völlig übertriebe­n«. Alle anderen Parteien im Parlament begrüßen die Beobachtun­g.

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