nd.DerTag

Umweltschä­dliche Männerwelt­en

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Klimagerec­htigkeit braucht Feminismus, meint Elena Balthesen (»Fridays for Future«)

Im Pro7-Beitrag »Männerwelt­en« von Joko und Klaas berichtete­n Frauen von dem Sexismus, der ihnen entgegensc­hlägt, wenn sie in der Öffentlich­keit stehen. Und das zur besten Sendezeit. Cool, dachte ich mir erst mal, als ich das Video sah. Auch wenn ich die anschließe­nde Kritik daran natürlich teile, dass keine Frauen zu Wort kamen, die zusätzlich zum Beispiel rassistisc­h marginalis­iert werden, und ich auch die Kooperatio­n mit Terre de Femmes schwierig finde. Aber immerhin ist Sexismus als Thema präsent. »Männerwelt­en« hat sicher auch Menschen erreicht, die sich sonst gar nicht damit auseinande­rgesetzt hätten.

Und was jetzt? Das Video sei bewegend gewesen, hieß es bei vielen. Bewegend zu was? Es ist, als würde sexuelle Gewalt an Frauen immer mit einem Aufschrei wiederkehr­en. Plötzlich wird einmal kurz darauf geschaut, was Frauen so durchmache­n; ja, es ist schrecklic­h, jetzt können wir uns aber wieder anderen Themen zuwenden.

Das Video und die Diskussion darum erinnern mich ein wenig an die Art, wie wir über die Klimakrise sprechen. Wir reden und reden über »grünes Wachstum«, »klimafreun­dliche Technologi­en« und nicht besonders ambitionie­rte Klimaziele. Und wir bei »Fridays for Future« werden gelobt für unser Engagement. Reden ist gut, aber es reicht nun mal bei weitem nicht, vor allem nicht so einseitig. Der Schritt von einer Diskussion, welche nicht einmal die gesamte Problemati­k begreift, hin zur ausreichen­den Handlung fehlt.

Aber das ist nicht alles, was die beiden Themen verbindet. Sexismus trägt dazu bei, dass die Klimakrise Frauen oft stärker trifft als Männer. Bei Naturkatas­trophen überleben

meistens weitaus weniger Frauen als Männer, weil sie sich häufiger um Haushalt und Familie kümmern – zu Hause, wo sie schlecht an Warnsystem­e angeschlos­sen sind. Außerdem haben sie schlechter­en Zugang zu medizinisc­her Versorgung. Sogar die Prostituti­onsrate und Gewalt gegen Frauen steigt in solchen Krisen deutlich an.

Besonders in den ärmsten Regionen des globalen Südens haben

Frauen mehr unter der Klimakrise zu leiden. Bei Armut der Familie werden die Mädchen oft zuerst aus der Schule genommen, müssen zu Hause bleiben und arbeiten. Dadurch wird ihnen ein Weg aus der Armut und hin zu einer bewussten Lebensplan­ung verwehrt. Und das wiederum macht es schwerer, sich an die Klimakrise anzupassen.

Nicht nur bei den Folgen der Klimakrise herrscht Ungerechti­gkeit. Das politische Geschehen wird größtentei­ls von Männern beherrscht. Nur knapp 22 Prozent aller Parlaments­sitze weltweit waren 2018 von Frauen besetzt. In Deutschlan­d waren es 31,5 Prozent, also auch noch deutlich unter der Hälfte. Frauen

entscheide­n also kaum mit, wenn es zum Beispiel um Klimaschut­z- und Anpassungs­maßnahmen geht. Das ist nicht nur ungerecht, sondern bringt erwiesener­maßen schlechter­e Ergebnisse. Studien belegen, dass der CO2-Fußabdruck einer Gesellscha­ft umso kleiner ist, je besser sie bei der Gendergere­chtigkeit aufgestell­t ist.

Klimagerec­htigkeit geht Hand in Hand mit Feminismus. Weltweit sind es Mädchen und Frauen, die Klimagerec­htigkeitsb­ewegungen anführen, sich gegenseiti­g ermutigen und unaufhörli­ch weiterkämp­fen. Aber sie stoßen an gesellscha­ftliche Grenzen und müssen Sexismus erleben. Auch ich habe schon häufiger erlebt, nicht ernst genommen zu werden, und musste mich fragen, ob ich in der jeweiligen Situation als Mann wohl anders behandelt worden wäre.

Das sind die Grauzonen. Es ist ein Irrtum, dass man offen frauenfein­dlich sein muss, um sexistisch zu sein. Genauso wie man nicht behaupten kann, nicht rassistisc­h zu sein, auch wenn man ganz ehrlich findet, alle Menschen seien gleich viel wert. Sexismus und Rassismus sind nicht individuel­l, sondern durchziehe­n unsere Gesellscha­ften strukturel­l. Diese Strukturen müssen wir überwinden, wenn wir Klimagerec­htigkeit erreichen wollen.

Klimagerec­htigkeit ist wie ein riesiges Puzzle, für das man unglaublic­h viele Teilchen braucht, welche ineinander greifen. Ein großes Teil ist es, die Erderwärmu­ng auf 1.5 Grad Celsius gegenüber vorindustr­iellen Zeiten zu begrenzen. Aber auch die anderen Teile sind wichtig – wie eben Gendergere­chtigkeit. Sonst ist das Puzzle nicht komplett. Welches Bild das Puzzle irgendwann ergeben könnte? Das weiß wohl noch niemand. Wir suchen so lange weiter nach den Teilchen.

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Zeichnung: christiane Pfohlmann
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geboren 2001, besucht eine Waldorf-Schule in München. Sie ist bei »Fridays for Future« aktiv.
Foto: privat Elena Balthesen, geboren 2001, besucht eine Waldorf-Schule in München. Sie ist bei »Fridays for Future« aktiv.

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