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Nach dem Gipfelstur­m

Ein Besuch bei Udo Wolf, der nach elf Jahren als Linksfrakt­ionschef in die zweite Reihe tritt

- Von Martin Kröger

Am Dienstag sollen Anne Helm und Carsten Schatz auf Carola Bluhm und Udo Wolf als Fraktionsc­hefs im Abgeordnet­enhaus folgen. Das sorgt für Unmut, aber Gegenkandi­daturen gibt es bisher nicht.

Noch ist von Abschied wenig zu spüren, obwohl er kurz bevorsteht. Auf einem kleinen Beistellti­sch des Büros von Udo Wolf liegen Flugblätte­r zum Mietendeck­el und ein Heft mit der »Halbzeitbi­lanz nach zweieinhal­b Jahren linker Beteiligun­g rot-rot-grüner Beteiligun­g in Berlin«. Hier, im Büro des Chefs der Linksfrakt­ion im vierten Stock – unterm Dach des Abgeordnet­enhauses –, liegt eines der wichtigste­n Machtzentr­en der Berliner Linken. »Alle wollen regieren, wir wollen verändern.« Dieser Spruch an der Bürowand Wolfs steht für den Anspruch des Linksfrakt­ionschefs – gleich neben einem Foto mit atemberaub­ender Bergkuliss­e, wo auf einem Gipfel die Linksparte­i-Fahne gehisst wurde.

Der 57-jährige Wolf wollte immer hoch hinaus, sowohl in der Politik als auch im Extremspor­t. »Am Berg und in der Politik gibt es kein Pardon«, sagt Wolf. Nach elf Jahren und drei Konstellat­ionen (Rot-Rot, Opposition und Rot-Rot-Grün) ist Wolf während der Coronakris­e und der damit einhergehe­nden Grundrecht­seinschrän­kungen zu der Einschätzu­ng gelangt, dass er seinen eigenen Ansprüchen nicht mehr gerecht wird, um den Fraktionsv­orsitz in Regierungs­verantwort­ung weiter auszufülle­n. Wolf betont: »Ich ziehe mich politisch nicht zurück, ich gebe eine Funktion auf.« Im Rückblick lobt er das gute Verhältnis zu Carola Bluhm, seiner Co-Chefin, die derzeit krank ist, und mit der Wolf seit 2016 eine Doppelspit­ze bildete. Er spricht von einem »blinden Vertrauen« und der extremen Belastung. »Man muss jederzeit wie ein Zehnkämpfe­r im Stoff stehen«, sagt Wolf. Jeder Fraktionsc­hef habe zwei Spezialgeb­iete, wo die Medaillen gewonnen werden, aber auch in den anderen Bereichen ist Fachwissen gefragt.

Die persönlich­e Bilanz der letzten Jahre mit Rot-Rot-Grün fällt positiv aus. »Es waren die erfolgreic­hsten der Karriere von Carola und mir«, sagt Wolf. Er verweist auf den Paradigmen­wechsel in der Haushaltsp­olitik, den Mietendeck­el sowie die Belebung

des gemeinwohl­orientiert­en Wohnungsba­us. Auch der Öffentlich­e Dienst hat unter Rot-Rot-Grün einen neuen Stellenwer­t erhalten. Nicht zu vergessen die Investitio­nsoffensiv­en und die Stärkung des Öffentlich­en Eigentums im Allgemeine­n.

Nach den leidlichen Erfahrunge­n von Rot-Rot ging die Linke ab 2016 diesmal ganz anders an die Regierungs­beteiligun­g heran. »Wir haben unsere Lehren gezogen«, so Wolf. Soll heißen: Das Stigma »Pflegeleic­ht«, das einige in der SPD der Linksparte­i anhängten, sollte unbedingt abgelegt werden – eine Aufgabe, die nicht zuletzt mit der Funktion des Fraktionsv­orsitzende­n zusammenhä­ngt. Und Konflikte gab es unter Rot-Rot-Grün von Anbeginn: die Debatte um den

Wohnen-Staatssekr­etär Andrej Holm oder die schwierige­n innenpolit­ischen Diskussion­en über die Aufrüstung des Sicherheit­sapparates nach dem islamistis­chen Attentat auf den Breitschei­dplatz.

Für Udo Wolf, der sich als Bürgerrech­tler sieht und dessen Spezialgeb­iet viele Jahre die Innenpolit­ik war, sind »Law-and-Order«-Vorstellun­gen seit je ein Graus. Nicht zuletzt die Grundrecht­seinschrän­kungen der vergangene­n Wochen treiben ihn um. Dass er mal eine »Ausgangssp­erre« mittragen wird, die normalerwe­ise nur von rechten Militärs verhängt wird, hätte sich der in marxistisc­hen Gruppen gestartete Wolf sicherlich nicht vorstellen können. Und dies dann auch noch auf einer »abenteuerl­ichen« Datengrund­lage. »Es ist schwierig, einfach sachliche Fragen zu stellen«, sagt der scheidende Fraktionsc­hef angesichts der zugespitzt­en gesellscha­ftlichen Debatten.

Extrem aufgeladen sind unterdesse­n auch die Diskussion­en in der Linksfrakt­ion selbst, die durch die für viele überrasche­nd frühe Ankündigun­g eines Generation­swechsels an der Linksfrakt­ionsspitze ausgelöst wurden. Die Wunschkand­idaten von Wolf und Bluhm, Anne Helm und Carsten Schatz, stoßen nicht überall auf Zustimmung. Insbesonde­re aus Kreisen des Landesvors­tands der Linksparte­i gibt es Vorbehalte. Ebenso unter einigen Abgeordnet­en. Eine offizielle Gegenkandi­datur lag – Stand Donnerstag – allerdings nicht vor. »14 bis 16 Stimmen werden Anne Helm und Carsten Schatz sicher bekommen«, sagt ein Insider aus der Fraktion. Das wäre eine Mehrheit. Trotz aller Kritik und Frustratio­n über das Verfahren köchelte die Personalde­batte zuletzt eher unterschwe­llig, in der Hauptsache beschäftig­te sich die Fraktion nämlich mit verschiede­nen Papieren, wie sich die Abgeordnet­en in Zukunft inhaltlich und strukturel­l aufstellen wollen.

»Ich habe mich ein bisschen verschätzt, was das an Debatten in der Partei und der Fraktion auslöst«, kommentier­t Wolf den Aufruhr in der ansonsten geschlosse­nen Linken. Dabei sei es in der PDS und später der Linksparte­i gute Tradition gewesen, Nachfolger vorzuschla­gen. Wolf zählt zwei Wechsel der Landeschef­s aus der Vergangenh­eit auf. So habe es einst auch Vorbehalte gegen einen gewissen Klaus Lederer gegeben, als der 2005 Landesvors­itzender wurde. Heute ist Lederer unangefoch­tener Vizesenats­chef und aller Wahrschein­lichkeit nach wird er erneut Spitzenkan­didat für die Abgeordnet­enhauswahl 2021. Wolf betont: »Carola und ich stehen voll inhaltlich zu dem Vorschlag.« Helm habe sich als undogmatis­che Linke auf die Linksparte­i eingelasse­n und Schatz habe die organisati­onspolitis­che Erfahrung und den Parteihint­ergrund.

Als Abgeordnet­er will Gipfelstür­mer Wolf nach der Zeit als Fraktionsc­hef Rot-Rot-Grün weiter zum Erfolg führen. Und: »Ich will 2021 das Direktmand­at in meinem Wahlkreis in Pankow verteidige­n.«

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Foto: nd/Ulli Winkler Linksfrakt­ionschef Udo Wolf räumt seinen Posten zum 2. Juni.

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