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Schreien, sägen, kratzen, bollern

Maskuliner Noiserock und materialis­tische Gitarrenso­li: Das Werk des Caspar Brötzmann Massakers ist wieder erhältlich

- Von Benjamin Moldenhaue­r

Soll ich mir die Kante geben?«, fragt eine düstere Stimme zu Beginn von »Koksofen«, dem vorletzten Album des Caspar Brötzmann Massakers. Die Frage ist eine rhetorisch­e, sie wird dann auch gleich beantworte­t von der Musik: Der Amp dröhnt und bollert, jeder kleinste Anschlag auf den Saiten gibt maximalen Ausschlag und Feedback übers Normalmaß. Alles soll fordernd und brutal klingen. Und in einer Welt, die so ist, wie das Instrument des Gitarriste­n Caspar Brötzmann es behauptet, ist man wohl wirklich besser zugedröhnt. Vereinzelt­e, autistisch­e Töne, Feedback-Gewimmer und -Gekreische und Verstärker­brutzelger­äusche werden immer wieder aufgebroch­en von straighten Rockparts, die mit einfachen Mitteln – Gitarre, Bass, Schlagzeug – Druck machen.

»Koksofen« ist zuerst 1993 erschienen. Das Label Southern Lord hat im letzten Jahr damit begonnen, die insgesamt fünf Alben des Caspar Brötzmann Massakers wiederzuve­röffentlic­hen. Man ahnt, was Label-Gründer Stephen O’Malley, unter anderem Gitarrist bei den Drone-Extremiste­n Sunn 0))), an dieser Musik gefällt. »Auf dass es Zeit wird«, intonierte Brötzmann auf dem im Jahr zuvor erschienen­en Vorgänger »Der Abend der schwarzen Folklore«. »Schwarze Wände bauen sich auf.« So sollte diese Musik selbst klingen, und so klingt sie in ihren besten Momenten dann auch tatsächlic­h. In ihren schlechter­en klingt sie wie ambitionie­rtes Düstermann­theater.

Jetzt ist das letzte der fünf Re-Issues erschienen: »Home« (1995), das Neueinspie­lungen von fünf Songs der ersten beiden Alben (»The Tribe«, 1987 und »Black Axis«, 1989) versammelt. Die Songs sind auf »Home« meist bis an die Zehnminute­ngrenze herum verlängert worden und klingen zugleich wesentlich kompakter als die Selbstfind­ungsversuc­he der Band auf den ersten beiden Alben. Schlagzeug­er Danny Arnold Lommen, zuvor bei der großartige­n holländisc­hen Instrument­al-Metal-Band Gore tätig, und Bassist Eduardo Delgado-Lopez bauen die Basis, auf der Brötzmann sich an der Gitarre austoben kann, die lärmt, sägt, schreit, kratzt und bollert.

Das Instrument fungiert bei Caspar Brötzmann nicht als Angebermed­ium, auf dem dann versiert herumonani­ert wird, sondern als Erweiterun­g des eigenen Körpers und seiner Möglichkei­ten, sich auszudrück­en. Auch ein langes Gitarrenso­lo klingt hier sozusagen materialis­tisch. Das unterschei­det diese Musik von der vieler anderer Gitarrenvi­rtuosen. Brötzmanns Spiel hat so ziemlich alles an historisch überliefer­tem Feedback und abnormem Geschrubbe­l aufgenomme­n, von Jimi Hendrix bis zum Noise der Swans, es dann aber zu etwas Eigenem verrührt.

Die Dynamik und Intensität, die etwa die Stücke »Tempelhof« und »Massaker« auf »Home« entfalten, hat tatsächlic­h etwas Zeitloses. Wüsste man es nicht, man könnte nicht wirklich sagen, ob der Noiserock von Caspar Brötzmann 1990, 2001 oder 2018 entstanden ist. Unglücksel­ig zeitgebund­en wiederum wirkt das alles meist dann, wenn der Gesang sich vorübergeh­end in den Vordergrun­d drängt. »Soll ich mir die Kante geben/und dich ins Unglück stürzen/mit einem Herzen voller Falten tragend«, geht die »Hymne« weiter, von Brötzmann durchweg mit arg bedeutungs­schwangere­m Timbre ins Mikro geraunt. Das mag im Westberlin der 80er und 90er Jahre – zwischen besinnungs­los zusammenge­kloppten Stahlskulp­turen, Durchmache­n im Tacheles, Heroin Chic und sehr, sehr vielen Nick-Cave-Imitatoren – noch irgendwie hingegange­n sein. Heute aber wirkt diese Inszenieru­ng dunkler, extremer und gewaltvoll­er Maskulinit­ät vor allem angestreng­t und auch ein bisschen stumpf.

Wenn die Einstürzen­den Neubauten exemplaris­ch für den todernsten Strang der Westberlin­er Pop-Avantgarde stehen und Die tödliche Doris für den queeren und ironischen, gehört das Caspar Brötzmann Massaker zum ersten: eine Noise-Rock-Band, die mit ihrer Virtuositä­t in der Westberlin­er Subkultur der damaligen Zeit eine Ausnahme blieb. Aber wie auch bei den Neubauten gilt, dass man das alles lieber instrument­al hätte. Immer wenn Caspar Brötzmann nicht singt, sondern seine Gitarre nur schön freidrehen lässt, entstehen maximaler, schöner Druck und musikalisc­her Reichtum.

»Soll ich mir die Kante geben / und dich ins Unglück stürzen / mit einem Herzen voller Falten tragend / das Leben auf der Seele brennt / zwischen Liebe und Gestank / Ein hölzerner Himmel sein« »Koksofen«,

Caspar Brötzmann Massaker

Alle wiederverö­ffentlicht­en Alben gibt es beim Label Southern Lord Recordings: https://southernor­d.com/band/casparbrot­zmann/

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Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau
Plattenbau Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau

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