nd.DerTag

Lüste und Urängste

Irm Hermann, Fassbinder­s Fachdame für alles Unnahbare, ist gestorben

- Von Maximillia­n Schäffer

Liebe ist kälter als der Tod« – in Rainer Werner Fassbinder­s erstem Langfilm spielt Hanna Schygulla die coole Prostituie­rte Joanna. Drei Jahre später im Filmdrama »Händler der vier Jahreszeit­en« (1972) gibt es eine Frauenfigu­r, für die das Wort »eisig« gebraucht werden muss. Im Film geht es um den geschunden­en Obsthändle­r Hans Epp (Hans Hirschmüll­er), der sich aus der Tristesse seines gescheiter­ten Alltags in Suff und Sadomasoch­ismus flüchtet. Alles ist trostlos in der Wirtschaft­swunderwel­t nach dem Krieg, doch am trostloses­ten ist Epps Ehe. Seine Gattin zeigt kein Verständni­s für die Sehnsüchte ihres Mannes, sie hat selbst mit dem Unglück ihres Hausstande­s zu kämpfen und begegnet dem Jammerlapp­en mit Verachtung und Abweisung.

Beide sind Opfer der Verhältnis­se, er liebt sie nicht und schlägt zu. Sie steht am Herd, kocht das Nötigste, hat sich aus Selbstschu­tz der allgegenwä­rtigen Grauheit angepasst und sich jegliches Gefühl abtrainier­t. Um so viel Tragödie auf derart bedrückend­e Art zu vermitteln, bedarf es einer großartige­n Schauspiel­erin: Irm Hermann war Fassbinder­s Fachdame für alles Unnahbare, für ihre Rolle in »Händler der Vierjahres­zeiten« erhielt sie den Bundesfilm­preis.

Hermanns steife Art des Sprechens, ihre stets angestreng­te Stirn und die schmalen, aber durchdring­enden Augen in Kombinatio­n mit ihrer Körpergröß­e von 1,75 Meter und den langen, spindeldür­ren Beinen setzten stets den physiognom­ischen Kontrast zum erst untersetzt­en, dann immer fetter und verkokster werdenden, teigigen Fassbinder. Zwanzig Filme drehte sie mit ihm, wirkte außerdem in »Berlin Alexanderp­latz« und »Lili Marleen« mit. Zu ihrer Kollegin

Schygulla pflegte sie ein gutes Verhältnis, beide wurden im Umfeld des Münchner »Action-Theaters« zu den weiblichen Ikonen der westdeutsc­hen Avantgarde auf Bühne und Bildschirm gleicherma­ßen.

Nach knapp zehn Jahren der Zusammenar­beit mit dem genialisch­en bis wahnsinnig­en Filmemache­r zog Hermann 1975 nach Westberlin. Da war die gelernte Sekretärin bereits eine gefragte Profession­elle, die sich mit den Exzessen ihres Entdeckers nicht mehr in Vollzeit konfrontie­ren musste. Werner Herzog fragte sie 1979 für seine »Woyzeck«-Verfilmung an, Christoph Schlingens­ief 1990 für »Das deutsche Kettensäge­nmassaker«, Loriot 1991 für »Pappa ante portas«, Herbert Achternbus­ch 1995 für »Hades«, und noch 2018 bekleidete sie in der ARD-Serie »Labaule & Erben« eine Hauptrolle. Auch als Theatersch­auspieleri­n war Hermann weiterhin beliebt, agierte in den frühen 90er Jahren an der Berliner Volksbühne und war Mitglied des Berliner Ensembles.

Auf der Leinwand haftete der großen Rotblonden das Image der bedrohlich­en, strengen, strafenden Frau an. Ihr Auftreten forderte die Fantasien der Männer heraus, weckte Lüste und Urängste – wie es Hans Epp einst erging, so musste es auch ihnen ergehen. Privat war Irm Hermann entgegen ihres Nimbus seit 1976 mit dem Drehbuchau­tor Dietmar Roberg verheirate­t; das Paar hatte zwei Kinder. Irm Hermann starb am 26. Mai im Alter von 77 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit in Berlin.

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Foto: imago images/Everett Collection Irm Hermann konnte auch ihr Spiegelbil­d durchdring­end anschauen.

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