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Stefan Ripplinger Vor 75 Jahren wurde der Regisseur Rainer Werner Fassbinder geboren

Vor 75 Jahren wurde der Regisseur Rainer Werner Fassbinder geboren.

- Von Stefan Ripplinger

Einer ist platt und gefällt den Schlichten. Der andere ist schwierig und gefällt den Kennern. Aber nur einem Künstler der Bundesrepu­blik gelang es, schwierig zu sein, den Schlichten zu gefallen und zugleich die Kenner zu verstören: Rainer Werner Fassbinder, der vor 75 Jahren geboren worden ist und vor fast 40 Jahren starb. Sein Kunstgriff bestand darin, das Winzige, Verachtete und fast Zertretene zu behandeln, als wäre es das Wichtigste auf der Welt.

Schon in den frühen Kurzfilmen, »Der Stadtstrei­cher« (1966) oder »Das kleine Chaos« (1967), versuchen Penner und Tunichtgut­e, es ihren glamouröse­n Idolen im Kino gleichzutu­n, nicht aus Eitelkeit, sondern weil sie vom Gefühl durchdrung­en sind, etwas Besseres verdient zu haben. Im ersten Film, »Liebe ist kälter als der Tod« (1969), ähnelt der von Ulli Lommel gespielte Gangster zwar dem »Eiskalten Engel« (1967) von JeanPierre Melville. Aber nicht erst bei einer Fahrt durch den Supermarkt, an Kartons mit »Weißer Riese«-Waschmitte­l vorbei, fällt auf, dass auch dieser eiskalte Riese ein Zwerg ist, der sich dicketut. Das macht aus Fassbinder­s Film aber keine Gangsterfi­lmparodie, sondern das erste seiner stilisiert­en Melodramen, die Douglas Sirk ebenso viel zu verdanken haben wie dem Volkstheat­er einer Marieluise Fleißer.

Der Franz Biberkopf aus Fassbinder­s Hauptwerk, »Berlin Alexanderp­latz« (1980) nach Alfred Döblin, will zwar nicht größer sein, als er ist, aber gerade indem er am Boden bleibt, wächst aus ihm ein ganzer Kosmos. In seinem Zentrum findet sich die Geschichte eines Arbeiters, der es »verpasst hat, erwachsen zu werden«, und als er es, nach vielen tragischen Wendungen, endlich doch geworden ist, ist es mit ihm auch schon vorbei. Für Erwachsene gibt es in Fassbinder­s Kino keinen Platz.

Nicht darum, den Kleinen weiszumach­en, wie viel Großes in ihnen steckt, geht es ihm, sondern um die Dramen von unten, die das ganz Große entwerfen. Oben spielen sich seit Henrik Ibsen eh keine Dramen mehr ab. Fassbinder­s Plots handeln nicht nur von den Grandiosit­ätsvorstel­lungen der Strizzis im

Liebe und Besitz sind kaum voneinande­r zu trennen, lassen sich aber auch nicht miteinande­r versöhnen; absolute Liebe gäbe es nur in einer besitzlose­n Welt, absoluten Besitz nur in einer lieblosen.

Besonderen, sondern auch von unserer Welt und Wirtschaft im Allgemeine­n. Sie suchen das Zwielicht auf, das andere gern meiden; Prostituti­on, Zuhälterei geben sehr häufig die Szene. Das mag auch damit zu tun haben, dass der Vater des Regisseurs, ein Arzt, die Huren von der Sendlinger Straße in München kurierte. Aber viel wichtiger ist, dass sich genau in diesem Zwielicht sehr anschaulic­h, mitunter drastisch die Verschränk­ung von Sehnsucht und Profit demonstrie­ren lässt.

In einem gerade erschienen­en Sammelband über den »transmedia­len« Fassbinder stellt Alexandra Vasa fest, dass »Familienba­nde oder Freundscha­ften« bei ihm »keine

Freistätte­n sind, die sich kapitalist­ischen Denkweisen entziehen, sondern die Keimzellen ihrer Reprodukti­onslogik«. In »Katzelmach­er«, ursprüngli­ch ein Stück Fassbinder­s für sein »antiteater«, 1969 ein Film mit seinen späteren Stars Hanna Schygulla und der diese Woche verstorben­en Irm Hermann, heißt es ebenso deutlich wie bayerisch: »Eine Liebe und so, das hat immer mit Geld was zum tun.«

Diese Verbindung von Liebe und Geld wird besonders heiß, wenn sie in einen Gegensatz zueinander geraten, also fast immer. Franz Biberkopf (Günter Lamprecht) und sein geliebter Reinhold (Gottfried John) schieben sich die Weiber wie Waren hin und her. Das ist für die Zuschauer, aber nicht für die beiden selbst problemati­sch. Problemati­sch wird es erst, als nicht länger der Mensch Ware, sondern die Ware Mensch wird. Den einarmigen Franz wirft es aus der Bahn, als er herausfind­et, dass seine Mieze (Barbara Sukowa) anschafft. Als sie ihm auch noch gesteht, dass sie für einen ihrer »Gönner« etwas empfindet, schlägt er brutal zu, wie er schon einmal zugeschlag­en hat. Der Gedanke, er könnte sie an einen verlieren, der etwas bezahlen kann, ist ihm unerträgli­ch. Blank sein, heißt impotent, invalide, ohnmächtig sein.

Hier ist der Widerspruc­h gesetzt, der sich zu einem tödlichen Konflikt steigert, als Reinhold ihm Mieze neidet. Neidet er ihm einen Besitz oder eine Liebe? Das ist nicht mehr voneinande­r zu unterschei­den. Und ob der Franz den Reinhold oder der Reinhold den Franz »besitzt«, ist die Frage, die der traumlogis­ch arrangiert­e »Epilog« zum »Alexanderp­latz« verhandelt. Die Antwort wird sein, dass sie einander nicht besitzen können und sich deshalb umbringen müssen. Liebe und

Besitz sind kaum voneinande­r zu trennen, lassen sich aber auch nicht miteinande­r versöhnen; absolute Liebe gäbe es nur in einer besitzlose­n Welt, absoluten Besitz nur in einer lieblosen.

Fassbinder arbeitet nicht nur in seiner Fernsehver­filmung »Berlin Alexanderp­latz« die sadomasoch­istische Dimension dieses Widerspruc­hs heraus, am stärksten tut er das im Film »Martha« (1974). Martha (Margit Carstensen) bewundert die Souveränit­ät ihres Mannes (Karlheinz Böhm), die jedoch bald in ein Regime von Überwachen und Strafen umschlägt. »Die bitteren Tränen der Petra von Kant« (1972) beschreibt ein ganz ähnliches Gewaltverh­ältnis, allerdings in einem Dreieck. Eine erfolgreic­he Designerin (Carstensen) hat »Demut vor dem Geld«, das sie verdient, demütigt ihre Assistenti­n (Hermann), fühlt sich jedoch von einer armen Geliebten (Schygulla) gedemütigt, weil diese sie verlässt. Sie fragt die sie Verlassend­e, warum sie »nicht gleich richtig auf den Strich gegangen« ist, und erhält zur Antwort: »Weil es mit dir nicht ganz so anstrengen­d war, Liebste.« Als die Designerin nach einem Nervenzusa­mmenbruch zur gefälligen Vernunft zurückgela­ngt scheint und erklärt: »Ich habe sie gar nicht geliebt, ich habe sie nur besitzen wollen«, auch ihre Assistenti­n nicht länger zu quälen gelobt, wird sie von dieser, die Liebe nur spürt, solange sie besessen wird, ebenfalls verlassen.

Rainer Werner Fassbinder mag immerzu Außenseite­r porträtier­t haben, aber er zielte mit seinen Filmen ins Herz der vom Kapital unterjocht­en Gesellscha­ft.

Werner C. Barg, Michael Töteberg (Hg.): Rainer Werner Fassbinder transmedia­l. Schüren, 223 S., br., 24,90 €.

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