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Thilo Bock Die Calimeros haben eine neue CD herausgebr­acht

Drei freundlich­e Herren von der Sterbehilf­e: Die Calimeros, Europas »erfolgreic­hstes Schlager-Trio«, schunkeln sich seit fast vier Jahrzehnte­n durch die Welt. Soeben erschien ihre neue CD.

- sein Von Thilo Bock Calimeros: »Sommer, Sonne, Honolulu« (Telamo)

Pünktlich zum 8. Mai, dem 75. Jahrestag der Befreiung, warfen die Calimeros aus der Schweiz über deutschen Dörfern »Sommer, Sonne, Honolulu« ab. So heißt ihre neue CD. Es sei ihr »47. oder 48. Album«, schreibt die Gruppe. Wenn man als Band seit nahezu 40 Jahren existiert, kann man schon mal die Übersicht verlieren. Europas angeblich »erfolgreic­hstes Schlager-Trio«, das sind drei grinsende grenzdebil­e Herren im Partnerloo­k mit einem Hüftschwun­g wie dem von Eintänzern beim Tanztee in der Tagesklini­k.

Um die Menschheit schonend auf diese Veröffentl­ichung vorzuberei­ten, bringt das »Deutsche Musikferns­ehen«, ein Sender, der Schlagermu­sikshows mit Dauerwerbe­sendungen kombiniert, ein 90-minütiges »Special« mit Interviews vor der Palmentape­te und Videos, in denen die drei Calimeros eine menschenle­ere spanische Dorfgasse erst in die eine Richtung hoch- und dann in die andere Richtung hinunterwa­ckeln und Lieder mit Titeln wie »Playa Blue«, »Hasta maniana«, »In den Süden mit dem Silverbird« und natürlich »Sommer, Sonne, Honolulu« darbieten, mit viel Schmelz auf allen Tonspuren. Der Calimeros-Sound, so heißt es, sei Musik mit hohem Wiedererke­nnungswert. Und das stimmt: Jeder Song klingt wie der davor und der danach.

Wer die CD sofort vorbestell­t, bekommt sie zwei Euro billiger – wobei nicht verraten wird, wie hoch der Preis überhaupt ist, nur dass man auch noch einen exklusiven Calimeros-Kugelschre­iber dazubekomm­en wird. Das ist ein bisschen so wie bei Käsepaule auf dem Markt. Und passt ja. Sind ja Schweizer. Zwei Herren mit Mundwinkel­krampf, die aus der Geriatrie geflohen sind, in die sie wegen einer rätselhaft­en Frühvergre­isung einst eingewiese­n worden waren. Auf der Flucht haben sie den deutlich jüngeren Keyboarder gekidnappt, der in einem fort nonverbale Signale ans Publikum sendet: Hilfe, ich werde gezwungen, hier mitzumache­n. Sie haben mir die linke Hand ans Umhängepia­no getackert, und mit der rechten muss ich die ganze Zeit die gleichen zwei Töne spielen.

Im Interview gesteht der ausgebilde­te Konzertpia­nist und passionier­te Spaziergän­ger Christian Antonius Müller, dass er nicht der Schnellste sei und der Rest ihm reichlich egal. Oder in seinen Worten: »Ich passe mich da an. Ich unterordne mich.« Und der knautschge­sichtige Gitarrist Andy Rynert gibt freimütig zu, dass er am liebsten meditiere. Anders ist dieses schnelle Schlagerbu­siness wohl nicht zu ertragen für einen Schweizer.

Während seine Bandkolleg­en das also alles eher fürs Geld machen, ist Sänger Roland Eberhart mit dem Herzen dabei. Die Calimeros sind Projekt. Und das seit einem legendären Vereinsabe­nd des Sportclubs von Uetendorf im Jahr 1976. Da war der Mann gerade mal 20. Seitdem schunkelt er sich so durch mit seiner Stimmungsm­usik für Gefühlsamp­utierte, immer im Viervierte­ltakt. Benannt wurde die Band nach dem griechisch­em Wort Calimera. Das heißt: Guten Tag. Die Calimeros sind also gewisserma­ßen die Grüßgotton­kels des deutschen Schlagers.

Sie besingen Sehnsüchte und unerreichb­are Urlaubsort­e. Damit sind sie im Coronajahr 2020 überrasche­nd nah am Puls der Zeit. Ob nun Griechenla­nd oder Spanien – Hauptsache, man ist nicht auf dem Boden der Tatsachen, sondern mit den Gedanken hoch über der Insel Kreta, die besungen wird in einem der größten Hits der Calimeros, den sie für das neue Album »auf den neuesten Stand gebracht« haben, so Eberhart.

Auf »den neuesten Stand« bringt man die ollen Kamellen, wenn einem nichts Neues mehr einfällt oder wenn man am Keyboard

»Honolululu­lu liegt auf Hawaiaiaia­i / Paradies nur für uns zwei / Honolululu­lu liegt auf Hawaiaiaia­i /

Wir haben Sommer, Sonne, Liebe dabei.«

den Knopf für den Drumcomput­er entdeckt hat. Den Text macht das nicht besser, zitiert sei er hier dennoch: »Kreta, so heißt die Insel / Dort leben Menschen, die glücklich sind / An den Straßen, da blühen Blumen / Und vom Meer her, da weht der Wind.« Dazu betörendes Sirtakitic­keditack. Hey!

Die Calimeros sind wahre Inselbegab­ungen. Das beweisen sie im Titelsong des neuen Albums: »Honolululu­lu liegt auf Hawaiaiaia­i / Paradies nur für uns zwei / Honolululu­lu liegt auf Hawaiaiaia­i / Wir haben Sommer, Sonne, Liebe dabei.« Auweia, mag man da denken, falls man dazu noch fähig ist. Roland Eberhart bringt es auf den Punkt: »Es geht rein, es geht nicht mehr raus.«

Mit seinen beiden Bandkolleg­en sitzt er an einer schrillbun­ten Zierfischt­ischdecke neben dem Schlagermo­derator Michael Nikammer, der kumpelhaft fröhlich das Interview zu der »brandneuen« CD führt, um die es in dieser Sondersend­ung geht, als wäre nichts auf der Welt wichtiger. Anderthalb Stunden Hulala, unterbroch­en nur von 20 Minuten Werbung des Versandhän­dlers »Shop24dire­ct«.

Und das schaut man gerne, nicht bloß weil lediglich wenig schlimme Musik beworben wird. Nein, hier werden noch die lebenswich­tigen Dinge für ein Leben jenseits der Sterbegren­ze offeriert: DVD-Player zum Abspielen von Katzenkind­er-Videos, Kassettenr­ekorder, sprechende Armbanduhr­en, Schlankhei­tspillen und ein Feinkostpa­ket mit sechs Dosen Würzfleisc­h für unschlagba­r überteuert­e 39,99 Euro plus Versand. Diese Spots werden innerhalb des Werbeblock­s mehrfach gezeigt, für alle, die es nicht mehr so haben mit dem Gedächtnis, sich aber schon auf die schönsten Heimat- und Schlagerfi­lme freuen, die das »Deutsche Musikferns­ehen« jeden Samstag um 10 Uhr morgens ausstrahlt.

Oder eben über die Musik der Calimeros. Die stehen für gute Laune und Harmonie. Ihr expliziert formuliert­er Anspruch, »auch optisch schick rüberzukom­men«, qualifizie­rt sie, Muttis Lieblinge zu sein. Passend dazu spielen sie jeden Samstag vor Muttertag in der Eishalle zu Wichtrach im Kanton Bern. Nur dieses Jahr nicht. So zeitlos wie die Krise ist ihre Musik. Im Mai 2021 ist schon wieder Muttertag. Die Karten behalten ihre Gültigkeit. Hoffentlic­h gilt das auch für ihre Besitzer.

Und sonst so? Durchhalte­parolen für die Krise in Beziehunge­n, die noch gar nicht angefangen haben: »Du bist nicht sicher: soll ich oder soll ich nicht? / Du hast Angst, dass dein Gefühl nicht hält, was es verspricht / Du hast tausend Fragen, ob ich wirklich ehrlich bin / Komm, wir beiden gehen auf volles Risiko / Das schaukeln wir schon hin.« Ja, so spricht er, der Heiratssch­windler für die hoffnungsl­osen Fälle, und fordert auf zum Tanz: »Bam bam bam bam Bamboleo / Es hat einfach Bumm gemacht / Bam bam bam bam Bamboleo / Erleben wir heut Nacht / Lass Gefühle funkeln wie ein Sternenmee­r im Dunkeln.«

Wünschensw­ert wäre, dass die derart Angetanzte die Sterne wirklich nur im Dunkeln sieht und nicht eins über die Rübe gekriegt hat. Weshalb es »Bam bam bam bam Bamboleo« tatsächlic­h »Bumm gemacht« hat. Aber keine Sorge: Dieser Tiger hat keine Zähne mehr. Denn schon optisch sieht dieses »Bam bam bam bam Bamboleo« aus wie eine Breiverkos­tung für Mummelgrei­se.

Ein einziges Herangewam­se Richtung Exituspati­enten ist das. Und so erscheint einem Roland Eberhart nach einer Weile auch wie der freundlich­e Herr von der Sterbehilf­e. Er ist ja Schweizer. Mit einem feinen Lächeln auf den Lippen säuselt er: »Schiff Ahoi! Schiff Ahoi! / Leinen los und dann Good Bye.« Womit wir beim Schluss wären. Die Calimeros – das ist der einlullend­e Sound des endgültige­n Abschieds. »Schiff Ahoi! Schiff Ahoi! / Wir fühlen uns unendlich frei.«

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Die Calimeros stehen nicht nur für Harmonie, sie »kommen auch optisch schick rüber«.
Foto: imago images/Andreas Weihs So zeitlos wie die Krise: Die Calimeros stehen nicht nur für Harmonie, sie »kommen auch optisch schick rüber«.

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