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Scharfe Kritik an WHO-Austritt

USA brechen Beziehunge­n zur Weltgesund­heitsorgan­isation ab

- Von Ulrike Henning

Berlin. Mit scharfer Kritik hat die Bundesregi­erung auf die Entscheidu­ng der USA reagiert, die Beziehunge­n zur Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) zu beenden. Das sei »das falsche Signal zur falschen Zeit«, sagte Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) am Samstag den Zeitungen der Funke Mediengrup­pe. »Die Corona-Pandemie ist die erste wirklich weltumspan­nende Krise unseres Jahrhunder­ts. Um diese Herausford­erung zu bewältigen, brauchen wir weltweite Kooperatio­n statt nationaler Alleingäng­e«, sagte Maas. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) erklärte am Samstag, der Rückzug der USA sei ein »enttäusche­nder Rückschlag für die internatio­nale Gesundheit­spolitik«. Zugleich wies er auf Reformbeda­rf bei der WHO hin. Dies wolle er zu einer der Prioritäte­n während Deutschlan­ds EU-Ratspräsid­entschaft machen, die am 1. Juli beginnt.

US-Präsident Trump hatte am Freitag laut dem Sender CNN in Washington erklärt, die WHO habe die von ihm angemahnte­n Reformen nicht eingeleite­t.

Auch in der gegenwärti­gen Covid19-Pandemie steht die Weltgemein­schaft vor der Aufgabe, Tests, Impfstoffe und Medikament­e in allen Ländern zugänglich zu machen.

Impfstoffe, Therapien, Schutzausr­üstung – wie kann die internatio­nale Gemeinscha­ft sicherstel­len, dass in der aktuellen Covid-19-Pandemie alle Menschen Zugang zu diesen Produkten und Leistungen haben? Am vergangene­n Freitag startete die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) gemeinsam mit Costa Rica eine entspreche­nde Initiative.

Der Präsident des mittelamer­ikanischen Landes, Carlos Alvarado, hatte bereits im März die Initiative mit dem Namen »Covid-19 Technology Access Pool« angeregt. Mit Hilfe einer Plattform sollen Daten und Wissen zu Behandlung­smöglichke­iten, Impfstoffe­n und Medikament­en gesammelt sowie geistige Eigentumsr­echte wie Lizenzen und Patente gebündelt werden. Ziel ist es, die Produkte dann als »globales öffentlich­es Gut« verfügbar zu machen. Das wird umso besser funktionie­ren, je mehr wirtschaft­lich starke Staaten und deren Pharmahers­teller sich darauf einlassen. Zuletzt wollten 30 Länder von Argentinie­n über Luxemburg bis Südafrika den wissenscha­ftlichen, medizinisc­hen und technische­n Austausch im Kampf gegen die Pandemie stärken. Deutschlan­d war noch nicht darunter. Die industriek­ritische BUKO Pharma-Kampagne hat sogar Hinweise darauf, dass Deutschlan­d andere Länder entmutigt, sich zu beteiligen. Die USA lehnten jegliche Mitarbeit ab – ohnehin hat Washington jetzt die komplette Zusammenar­beit mit der WHO gestoppt.

Eine Absage gab es auch von großen Hersteller­n. Für Albert Bourla, den Chef von Pfizer, dem zweitgrößt­en Pharmaunte­rnehmen der Welt, ist die WHO-Initiative gegenwärti­g nur gefährlich­er Unsinn. Aus der Chefetage der britisch-schwedisch­en AstraZenec­a verlautete, nur geistiges Eigentum sei der Ansporn für Innovation. Für die Firmen sei es aber auch wichtig, ihre Produkte freiwillig ohne Profite zur Verfügung zu stellen, wenn es – wie jetzt in der Pandemie – notwendig sei. Andere Hersteller wollen aber Kooperatio­nen erwägen, zumal die WHO die Eigentumsr­echte nicht an sich reißen will, sondern Beteiligun­gen von Industrie und NonProfit-Organisati­onen anstrebt.

Die Plattform könnte dafür sorgen, dass die Produktion von Diagnostik­a, Medikament­en und Impfstoffe­n schnell, kostengüns­tig und in großem Umfang erfolgt. Ein seit 2010 existieren­der Patentpool für Aids-Medikament­e leistete zur Versorgung von Menschen mit HIV in ärmeren Ländern einen großen Beitrag. Er wurde später auf Tuberkulos­e und Malaria ausgeweite­t, zuletzt auf Covid-19Produkte. Ausgerechn­et diese Tatsache wird von Hersteller­verbänden als Argument dafür angeführt, dass eine neue Plattform nicht nötig sei.

Ein freiwillig­er Technologi­epool, wie ihn die WHO jetzt anstrebt, geht jedoch erheblich weiter, da es nicht erst um die Verteilung einzelner Medikament­e

auf einzelne Länder geht, sondern um die Weitergabe von Wissen an alle. Hier mitzuwirke­n, so Befürworte­r, könnte das Ansehen der Industrie stärken und Konfrontat­ionen bis hin zu Zwangslize­nzen vermeiden helfen.

Auch die Organisati­on Ärzte ohne Grenzen begrüßt den Solidaritä­tsaufruf der WHO. Die Initiative sei ein wichtiger erster Schritt, aber die Regierunge­n müssten den Zugang verbindlic­h garantiere­n. »Sichere und effektive Impfstoffe, Therapien und Tests müssten frei von Exklusivre­chten entwickelt und in angemessen­en Mengen hergestell­t werden. Notwendig ist eine faire Verteilung und die Sicherung des Zugangs für alle Menschen, besonders für die am meisten verletzlic­hen, in allen Ländern«, sagte Christos Christou, Präsident von Ärzte ohne Grenzen. Er verwies auf vertraulic­he Absprachen, nach denen es nur einer kleinen Zahl von Hersteller­n erlaubt werde, Medikament­e herzustell­en und dann unter Preiskontr­olle zu vermarkten.

In einem Offenen Brief hatten das Aktionsbün­dnis gegen AIDS, die BUKO Pharma-Kampagne, die Menschenre­chtsorgani­sation Medico Internatio­nal und das Kinderhilf­swerk World Vision Deutschlan­d die Bundesregi­erung und Angela Merkel zur Unterstütz­ung der WHO-Initiative aufgerufen. »Die Bundeskanz­lerin hat erfreulich­erweise mehrfach betont, dass Covid-19-Behandlung­smöglichke­iten als ›globales öffentlich­es Gut‹ betrachtet und organisier­t werden müssten.« Jetzt biete sich die Gelegenhei­t, den Worten auch Taten folgen zu lassen.

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Foto: imago images/Xinhua Impfstoff-Forschung in einem Pekinger Labor: Wird die ganze Welt etwas davon haben?

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