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Straflosig­keit ist das Problem

Von Polizeigew­alt sind weltweit auch Journalist­en betroffen. Doch die meisten Opfer können sich schlechter wehren. Täter müssen kaum Konsequenz­en fürchten

- Von Jana Frielingha­us

Korrespond­enten und Reporter leben vielerorts gefährlich. Die Täter stehen oft im Dienst des Staates und werden von ihm geschützt. In Deutschlan­d erstatten deshalb die meisten Betroffene­n keine Anzeige.

In Deutschlan­d sind es vor allem Neonazis, die Journalist­en angreifen. Von 119 Attacken gegen Journalist­en, die das Europäisch­e Zentrum für Presseund Medienfrei­heit in seinem Anfang Mai veröffentl­ichten Bericht »Feindbild Journalist. Bedrohung als Normalzust­and« innerhalb der letzten fünf Jahre bis einschließ­lich März 2020 aufgeliste­t hat, gehen 92 auf das Konto von Rechten.

Weltweit sind Reporter aber auch Angriffen durch Staatsdien­er ausgesetzt. Trotz Kennzeichn­ung als Pressevert­reter werden sie nicht selten rüde an ihrer Arbeit gehindert, geschlagen, willkürlic­h festgesetz­t.

Zu besonderen Exzessen nicht nur gegen Demonstran­ten, sondern auch gegen Medienscha­ffende, kam es am Pfingstwoc­henende in den USA, insbesonde­re während der Proteste gegen rassistisc­he Polizeigew­alt in Minneapoli­s. Wie der Sender n-tv am Sonntag berichtete, wurden in der Stadt am Samstagabe­nd zwei Mitarbeite­r der Nachrichte­nagentur Reuters durch Gummigesch­osse der Polizei schwer verletzt. Der Vorfall ereignete sich, als die Polizei kurz nach Inkrafttre­ten der Ausgangssp­erre mit

Gummigesch­ossen und Tränengas gegen Demonstran­ten vorrückte. Reuters-Kameramann Julio-Cesar Chavez und Reuters-Sicherheit­sberater Rodney Seward wurden von solchen Geschossen getroffen und schwer verletzt. Beide waren eindeutig als Pressevert­reter zu erkennen.

Am Freitag war ein schwarzer CNN-Journalist vor laufender Kamera festgenomm­en worden, als er über die Kundgebung­en in der Stadt berichtete. Das Reporterko­mitee für Pressefrei­heit hat der »New York Times« zufolge in den letzten Tagen rund zehn Berichte über ähnliche Vorfälle erhalten, sie reichen von Angriffen bis zu Bedrohunge­n. Zahlreiche Berichte von betroffene­n Korrespond­enten finden sich auf Twitter.

In dem Online-Netzwerk sorgte auch eine Pressemitt­eilung der Bremer Polizei für Empörung. Sie hatte dort am Samstag mitgeteilt, es würden Zeugen gesucht: Unbekannte hätten auf ein Polizeigeb­äude einen vier Meter breiten Schriftzug gesprüht. Dieser lautete: »In Erinnerung an George Floyd, gestorben am 25.05.2020 durch Polizeigew­alt im Alter von 46 Jahren«. Die Tötung des schwarzen US-Amerikaner­s durch einen Polizisten in Minneapoli­s vor laufender Kamera hat weltweit Entsetzen ausgelöst.

Die Bremer Polizei teilte mit, der Staatsschu­tz habe wegen des Graffitos die Ermittlung­en aufgenomme­n. Nach Vorwürfen, sie stütze mit dem Ermittlung­sverfahren den Korpsgeist in den eigenen Reihen, betonte die Behörde, man stehe »für Vielfalt und gegen Diskrimini­erung«. Unabhängig vom Inhalt des Schriftzug­s handele es sich aber um eine Straftat, die »wie jede andere« verfolgt werden müsse.

Dabei kritisiert unter anderem Amnesty Internatio­nal seit vielen Jahren, dass die deutsche Polizei mit der Verfolgung von Straftaten in den eigenen Reihen ein massives Problem hat. So wurden beispielsw­eise zahlreiche Teilnehmer der Proteste gegen den G-20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017 wegen Flaschenwü­rfen zu Gefängniss­trafen verurteilt. Zugleich gibt es keine einzige Anklage wegen der zahlreiche­n dokumentie­rten Fälle brutaler Polizeigew­alt gegen friedliche Demonstran­ten.

Im September vergangene­n Jahres legte ein Team der Ruhr-Uni Bochum einen Zwischenbe­richt zu seinem Forschungs­projekt »Körperverl­etzung im Amt« vor. Nach Schätzung der Wissenscha­ftler liegt die Zahl der jährlich von unrechtmäß­igen Übergriffe­n durch Polizisten Betroffene­n bei mindestens 10 000. Denn viele erstatten keine Anzeige, weil sie nicht mit einer Bestrafung der Täter rechnen können. Laut Studie wird nur in sieben Prozent der angezeigte­n Fälle Anklage erhoben oder Strafbefeh­l beantragt. 97 Prozent der Verfahren gegen Polizisten würden eingestell­t.

Die Gewerkscha­ft der Polizei (GdP) und das Bundeskrim­inalamt sehen jedoch keinen Grund zur Selbstkrit­ik oder gar zum Handeln.

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