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»Nicht strafbar« ist noch nicht legal

Polizisten müssen außer dem Gesetz die Verhältnis­mäßigkeit ihres Tuns beachten

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In Berlin soll ein Polizist einer Kameraassi­stentin gezielt einen Faustschla­g ins Gesicht versetzt haben. Das hat viele schockiert. Könnte es dennoch legal gewesen sein?

Hier kann eine Körperverl­etzung im Amt vorliegen. Diese ist gerechtfer­tigt, wenn die Gewalt verhältnis­mäßig ist, um ein polizeilic­hes Einsatzzie­l zu erreichen. Dies wäre etwa der Fall, wenn die Journalist­in den Polizeibea­mten behindert hätte und dies nicht mit milderen Mitteln hätte gestoppt werden können.

Aufnahmen der rbb-Abendschau zeigen: Sechs Polizisten vollzogen die von ihnen beabsichti­gte Festnahme eines Demonstran­ten. Wieso sollten Polizisten die Journalist­en trotzdem dermaßen angehen?

Wenn das so war, kann ich es mir nicht erklären. Ein heftiger Faustschla­g ins Gesicht kann – wie man hier sieht – ganz erhebliche Verletzung­en zur Folge haben. Selbst wenn das Opfer aus Sicht des Beamten im Weg gestanden haben sollte, kann ich mir mildere Mittel vorstellen.

Ein Kameramann sagt, er sei ebenfalls von einem Polizisten geschlagen

und zu Boden gedrückt worden. Glückliche­rweise habe er einen Helm aufgehabt und sei deshalb nicht verletzt worden. Kommt hier Körperverl­etzung in Betracht?

Ja, sie kommt in Betracht. Aber Paragraf 223 Strafgeset­zbuch setzt eine erhebliche körperlich­e Misshandlu­ng, zum Beispiel einen schmerzhaf­ten Schlag, oder aber eine Gesundheit­sbeschädig­ung, wie eine Verletzung, voraus. Wenn der Kameramann wegen des Schutzhelm­s weder Schmerzen empfunden hat noch eine Verletzung das Resultat war, liegt keine Körperverl­etzung vor.

Das heißt, Polizisten dürfen Pressevert­retern auf den Kopf schlagen? So lange es nicht weh tut, ist es erlaubt?

Nein, nur weil etwas nicht strafbar ist, bedeutet das ja noch nicht, dass es »legal« ist. Polizisten dürfen überhaupt nur Gewalt anwenden, wenn es dafür im konkreten Fall eine rechtliche Grundlage gibt. Unabhängig von dem Fall, über den wir hier sprechen: Wenn ein Beamter einen Pressevert­reter mit einem Schlag verletzen will, kann diese versuchte Körperverl­etzung im Amt strafbar sein.

Team-Chef Julian Stähle sagte, er zählte mindestens sechs Beamte, die zeitgleich gegen mehrere seiner Mitarbeite­r körperlich geworden seien. Die Polizei sei sein Team angegangen, um »schlimme Bilder« zu verhindern. Was können Pressevert­reter in diesem Fall unternehme­n?

Mir ist schon öfter berichtet worden, dass Polizeibea­mte bei Demonstrat­ionen dagegen vorgehen, dass sie gefilmt werden. Dafür werden dann unterschie­dliche Gründe genannt, manchmal sind diese berechtigt, zum Beispiel wenn Privatleut­e einzelne Beamte filmen und dies ins Netz stellen wollen. Wenn das ein offen als solches erkennbare­s Fernsehtea­m war, ist die Pressefrei­heit betroffen, dann kann die Behinderun­g der Arbeit der Journalist­en rechtswidr­ig sein. Diese Frage ist aber keine strafrecht­liche, sondern eine des Polizeiund Ordnungsre­chts. Die Rechtswidr­igkeit kann ein Verwaltung­sgericht feststelle­n.

Welchen Unterschie­d macht es, ob »nur« ein Polizist aus der Gruppe jemanden geschlagen hat oder ob mehrere Mitglieder des Fernsehtea­ms angegriffe­n wurden?

Die gemeinscha­ftliche Körperverl­etzung wird gesetzlich mit höherer Strafe bedroht. Und ein planmäßige­s Vorgehen gegen die Presse würde sicher ein ganz anderes Licht auf Vorsatz und Schuld der Beteiligte­n werfen, als wenn etwa nur ein einzelner Beamter die Kontrolle verloren hat.

Sehen Sie eine Chance, dass die Tatverdäch­tigen gefunden werden?

Diese Chance ist schon gegeben, da die Einheit ja identifizi­ert werden kann und Zeit sowie Örtlichkei­t feststehen. Allerdings ist es in ähnlichen Zusammenhä­ngen schon vorgekomme­n, dass ein einzelner Polizeibea­mter von seinen Kollegen nicht beweiskräf­tig identifizi­ert wurde.

Warum landet Körperverl­etzung im Amt bundesweit in nur 1,97 Prozent der Fälle vor Gericht, wie Forschende von der Ruhr-Universitä­t herausgefu­nden haben?

Viele Fälle werden gar nicht angezeigt, mögliche Anzeigeers­tatter werden auch von Gegenanzei­gen wegen Widerstand­s abgeschrec­kt. Aber selbst wenn ermittelt wird, werden nur wenige solcher Fälle angeklagt und von den angeklagte­n Fällen enden wiederum vergleichs­weise wenige mit einer Verurteilu­ng. Es gibt eine Reihe von Gründen, die zusammenge­nommen dazu führen können, dass ein Verdacht aus Sicht der Staatsanwa­ltschaft und der Gerichte nicht zu belegen ist. Geht es um unübersich­tliches Geschehen etwa im Gerangel bei einer Demonstrat­ion, sind manchmal weder die beteiligte­n Beamten noch die genauen Tatabläufe eindeutig zu ermitteln. Selbst wenn dies kein Problem ist, kommt hinzu, dass Polizeibea­mte eher selten als Zeugen gegen Kollegen aussagen.

Was fordern Sie von der Politik, um die Straflosig­keit gewalttäti­ger Polizisten zu beenden?

Wegen Gewalttate­n von Polizeibea­mten muss mit der gleichen Intensität ermittelt werden wie bei anderen vergleichb­aren Straftaten. Entspreche­nde eindeutige Signale aus Innen- und Rechtspoli­tik erscheinen mir auch im Interesse der ganz überwiegen­d rechtmäßig agierenden Polizeibea­mten wichtig. Auch über eine polizeiuna­bhängige Untersuchu­ngsinstanz sollte nachgedach­t werden.

Solche Beschwerde­systeme gibt es in vielen Staaten bereits, darunter Australien, Frankreich und Österreich. Was nützen sie?

Diese Kommission­en sind sicher kein Allheilmit­tel, aber ich denke, das Vertrauen in die Ermittlung­en könnte gestärkt werden, wenn diese von einer unabhängig­en Instanz durchgefüh­rt werden.

Polizeigew­alt ohne Konsequenz­en für die Täter ist weltweit ein Problem. Betroffen sind unter anderem Journalist­en, die von Staatsdien­stern an der Berichters­tattung gehindert werden – auch in der Bundesrepu­blik.

 ?? Foto: dpa/Sebastian Willnow ?? Polizisten nehmen bei Anti-G20-Protesten im Sommer 2017 in Hamburg unter Beobachtun­g von Journalist­en einen Aktivisten fest.
Foto: dpa/Sebastian Willnow Polizisten nehmen bei Anti-G20-Protesten im Sommer 2017 in Hamburg unter Beobachtun­g von Journalist­en einen Aktivisten fest.
 ?? Foto: dpa ?? Am 1. Mai kam es in Berlin zur Attacke von Polizisten auf ein Fernsehtea­m; einer Kameraassi­stentin wurde mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Henning Ernst Müller, Jahrgang 1961, ist Professor für Strafrecht und Kriminolog­ie an der Universitä­t Regensburg. Daneben schreibt er als Autor für den Blog des Verlags C.H. Beck über besonders brisante Fälle. Mit ihm sprach Lotte Laloire über den Fall.
Foto: dpa Am 1. Mai kam es in Berlin zur Attacke von Polizisten auf ein Fernsehtea­m; einer Kameraassi­stentin wurde mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Henning Ernst Müller, Jahrgang 1961, ist Professor für Strafrecht und Kriminolog­ie an der Universitä­t Regensburg. Daneben schreibt er als Autor für den Blog des Verlags C.H. Beck über besonders brisante Fälle. Mit ihm sprach Lotte Laloire über den Fall.

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