nd.DerTag

Wegen Armut im Gefängnis

Start einer Petition gegen Ersatzfrei­heitsstraf­en

- Von Peter Nowak

»Amnestie für die von Ersatzfrei­heitsstraf­en Betroffene­n jetzt«, lautet die zentrale Forderung einer Petition, die vom Transgende­rratgeberk­ollektiv initiiert wurde. Es ist vor knapp fünf Jahren mit dem Ziel gegründet worden, um die Situation von Transperso­nen im Gefängnis zu verbessern. »Trans* Personen werden oft gegen ihren Willen in den Frauenoder Männerknas­t gesteckt. Uns wurde häufig von Diskrimini­erungen und Gewalterfa­hrungen berichtet. Sie haben wenig Zugang zu geschlecht­sangleiche­nden Maßnahmen, Beratung und Vernetzung mit anderen Transperso­nen. Psychologi­sche Unterstütz­ung gibt es im Gefängnis kaum«, umreißt Franca Hall vom Transgende­rratgeberk­ollektiv die Probleme der Menschen, die nicht in die binäre Geschlecht­sordnung passen.

Mit ihrer aktuellen Petition zur Abschaffun­g der Ersatzfrei­heitsstraf­en greifen die Aktivist*innen ein Problem auf, das viele Menschen mit geringen Einkommen betrifft. Sie können oft die Geldstrafe­n nicht bezahlen und müssen stattdesse­n ins Gefängnis. Daher bezeichnet Hall die Ersatzfrei­heitsstraf­en auch als Doppelbest­rafung für Arme. Schließlic­h ist es für Menschen ohne Einkommens­probleme ein geringes Problem, Geldstrafe­n zu begleichen. Dass das Transgende­rratgeberk­ollektiv ihre Petition in der Coronakris­e lancierte, ist kein Zufall. »Es zeigt sich im Moment, dass die Gesellscha­ft nicht zusammenbr­icht, wenn die Ersatzfrei­heitsstraf­e wegen Corona ausgesetzt ist. Daher müssen wir jetzt handeln und sie

In anderen Ländern Europas wurden die Ersatzfrei­heitsstraf­en abgeschaff­t.

gänzlich abschaffen«, meinte Hall. Alle Bundesländ­er haben die Ersatzfrei­heitsstraf­en vorübergeh­end ausgesetzt, um die Gefängniss­e in der Coronakris­e zu entlasten. Allerdings betonten sie Behörden betont, dass die Betroffene­n ihre Strafe später absitzen müssen.

Für manche Betroffene ist die Wartezeit eine zusätzlich­e Belastung. »Ich wollte die vier Monate im Gefängnis schnell hinter mich bringen und dann im Herbst einen neuen Job anfangen«, beschreibt ein junger Mann, dessen Strafantri­tt verschoben wurde, die Unsicherhe­it in seiner Lebensplan­ung durch die Verschiebu­ng des Strafantri­tts. Der Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, wurde mehrmals beim Fahren ohne Ticket im Berliner Nahverkehr erwischt.

Damit ist er nicht allein. In Berlin sitzen etwa die Hälfte der Menschen, die eine Ersatzfrei­heitsstraf­e bekommen haben, wegen »der Erschleich­ung von Leistungen« ein. Der ehemalige Gefängnisd­irektor Thomas Galli ist der Überzeugun­g, dass Straffälli­ge, die eine Geldstrafe nicht bezahlen können, nicht länger in Haft genommen werden dürfen. »Solche Ersatzfrei­heitsstraf­en, die geschätzt etwa 40 Prozent der jährlichen Neuinhafti­erungen ausmachen, betreffen fast ausschließ­lich Menschen in sozial prekärer Lage« so Gallis Beobachtun­g aus seiner Zeit als Gefängnisd­irektor.

Im Sommer 2018 hatte die Linksfrakt­ion im Bundestag einen Antrag für die ersatzlose Abschaffun­g der Ersatzfrei­heitsstraf­e eingebrach­t. Der Abgeordnet­e Niema Movassat wies darauf hin, dass diese Strafen in Italien für verfassung­swidrig erklärt wurden. In Schweden wurden sie faktisch abgeschaff­t, in Dänemark dürfen sie bei zahlungsun­fähigen Menschen nicht angewandt werden. Der Antrag fand aber keine Mehrheit.

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