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Kuhhandel um die Abwrackprä­mie

Große Koalition berät über milliarden­schweres Konjunktur­paket

- Von Simon Poelchau

Sie ist ökologisch falsch, ihr Nutzen konjunktur­politisch fragwürdig. Dennoch wird sie vermutlich dank hartnäckig­er Lobbyarbei­t am Dienstagab­end beschlosse­n: die Neuauflage der Abwrackprä­mie.

Bis diesen Dienstagab­end wird hoch gepokert werden. Und vermutlich wird der Abend sehr lang. Denn es gibt mit dem Konjunktur­paket, das die Große Koalition in ihrem Koalitions­ausschuss festzurren will, viel Geld zu verteilen. Und über das wird natürlich gestritten. Die SPD macht sich etwa stark für einen einmaligen Familienbo­nus und die Entlastung der Kommunen. Die Union will die Coronakris­e nutzen, um den Solidaritä­tszuschlag ganz abzuschaff­en. Da ist viel Kuhhandel nötig, um die unterschie­dlichen Interessen richtig auszutarie­ren. Selbst die Höhe des Konjunktur­paketes ist noch nicht sicher, vermutlich wird sie irgendwo zwischen 50 und 100 Milliarden Euro liegen.

Ein Thema reizt besonders die Gemüter: eine mögliche Abwrackprä­mie. Bereits in der letzten Krise vor rund zehn Jahren pumpte der Bund mittels einer Kaufprämie für Neuwagen fünf Milliarden Euro in die Automobili­ndustrie. Und spätestens, nachdem der Nachbar Frankreich an diesem Montag sein Förderprog­ramm für die Autobauer startete, will man sich in Berlin nicht lumpen lassen – auch wenn laut aktuellem ZDF-Politbarom­eter eine Mehrheit der Menschen hierzuland­e von 61 Prozent gegen eine Neuauflage der Abwrackprä­mie ist. Schließlic­h hat die Autobranch­e mit ihren über 800 000 Jobs so manchen Führsprech­er in Bund und Ländern.

So will Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) auch in der Coronakris­e wieder VW, BMW, Daimler und Co. mit fünf Milliarden Euro aus dem Staatssäck­el unter die Arme greifen. Dies berichtete der »Spiegel« am späten Sonntagabe­nd. Demnach sollen Pkw bis zu einem Kaufpreis von 77 350 Euro 2500 Euro gefördert werden. Sind sie es besonders effiziente Verbrenner, sollen 500 Euro oben drauf kommen. Für Plug-In-Hybride gibt es 750 Euro, für reine Elektroaut­os 1500 Euro zusätzlich.

Der Koalitions­partner SPD tut sich mit der Forderung aus Altmaiers Haus noch schwer. »Ich halte eine wie auch immer geartete Unterstütz­ung des Verkaufs von Verbrenner­n nicht für den richtigen Weg«, sagte Parteichef Norbert Walter-Borjans laut Medienberi­chten. Und auch in der Union selbst regt sich Kritik. Eine

Neuauflage der Abwrackprä­mie sei »ein Paradebeis­piel dafür, wie sich eine Lobby in Deutschlan­d durchsetzt«, so der Chef der Mittelstan­dsund Wirtschaft­sunion von CDU und CSU, Carsten Linnemann, gegenüber der »Welt«.

Doch besonders die Bundesländ­er Bayern, Baden-Württember­g und Niedersach­sen machen seit längerem Druck, da bei ihnen viele Jobs von der

Branche abhängen. Sie taten sich Anfang Mai zusammen, um gemeinsam eine »Innovation­sprämie« zu fordern. Die besten Automobile – und zwar weltweit – würden hier erfunden, designt, entwickelt und gebaut, hieß es in einer gemeinsame­n Erklärung. Da ist es Niedersach­sen Ministerpr­äsidenten Stephan Weil (SPD) egal, was seine Parteichef­s meinen. Und der grüne Landesvate­r von Baden-Württember­g, Winfried Kretschman­n, wird zum Fürspreche­r des Verbrennun­gsmotors,

während sich seine Partei sonst als Klimavorre­iter inszeniert.

Die Linksparte­i ruft unterdesse­n gemeinsam mit zivilgesel­lschaftlic­hen Gruppen wie Attac, Campact und Fridays for Future für Dienstag zu einer Menschenke­tte gegen die Abwrackprä­mie auf. Vom Kanzleramt soll es quer durchs Berliner Regierungs­viertel bis zum Sitz des Verbands der Automobili­ndustrie (VDA), dem Lobbyisten­verband der Branche, gehen. »Es deutet sich an, dass sich die Autolobby auf ganzer Linie durchsetzt, und Kaufprämie­n für Autos bekommt, die mit einem Ausstoß von 140 Gramm Kohlendiox­id pro Kilometer deutlich über dem EU-Richtwert von 95 Gramm liegen«, so Linksparte­ichef Bernd Riexinger.

Dabei stellen immer mehr Ökonomen den Nutzen einer solchen Konjunktur­maßnahme infrage. »Unter dem Strich geben die meisten Studien keinen Hinweis, dass durch die Prämien mehr Autos verkauft werden«, heißt es seitens des ifo Instituts. Zudem könne eine Abwrackprä­mie schnell Nebenwirku­ngen auf andere Branchen haben: Wer den Autokauf wegen der Prämie vorzieht, hat dann kein Geld mehr für neue Möbel. Das Plus der Autobranch­e kann deshalb schnell zum Minus in anderen Branchen werden.

Eine Mehrheit von 61 Prozent hierzuland­e lehnt eine Neuauflage der Abwrackprä­mie für Autos ab.

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Foto: dpa/Sebastian Kahnert Macht sich stark für eine Abwrackprä­mie: Baden-Württember­g Öko-Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n

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