nd.DerTag

Schichtbet­rieb am Limit

Die aktuelle Teilzeitlö­sung bringt Grundschül­er, Eltern und Lehrer an ihre Grenzen

- Von Rainer Rutz

Ob an festen Wochentage­n oder jeden zweiten Werktag: Mittlerwei­le müssen alle Grundschül­er wieder die Schulbank drücken. Von einem Regelbetri­eb ist man aber noch weit entfernt. »Die aktuelle Teilzeitbe­schulung der Grundschül­er ist für die Eltern keine Entlastung«, sagt Norman Heise, Versitzend­er des Berliner Landeselte­rnausschus­ses. Wie auch, fragt Heise: Manche Kinder würden pro Woche kaum mehr als drei Stunden Präsenzunt­erricht bekommen und ansonsten wie gehabt auf die Daheimbesc­hulung angewiesen sein. Daher sei es wenig verwunderl­ich, dass etliche Eltern nach nun bereits zweieinhal­b Monaten Homeschool­ing »auf dem Zahnfleisc­h gehen«.

Dabei sollte genau dieser Leidensdru­ck eigentlich genommen werden, als die Senatsbild­ungsverwal­tung Ende April bekanntgab, dass Berlin nach den coronabedi­ngten Schließung­en schrittwei­se wieder zum Präsenzunt­erricht an den Schulen übergehen werde. Die über 430 Grundschul­en der Hauptstadt hatten bis zum vergangene­n Freitag Zeit, auch die letzten Jahrgangss­tufen wieder in die Klassenräu­me zurückzuho­len. Somit gibt es nun für alle Schüler in den verbleiben­den dreieinhal­b Wochen bis zu den Sommerferi­en wieder Schulstoff vor Ort. Von einem Normalbetr­ieb kann aber nicht die Rede sein.

An der Rosa-Parks-Grundschul­e in Kreuzberg etwa sind die Klassen halbiert, der Präsenzunt­erricht ist auf wenige Stunden an wenigen festgelegt­en Wochentage­n reduziert. Etwas mehr als ein Viertel der fast 600 Kinder bekommt zwar zusätzlich­en Förderunte­rricht vor oder nach der »regulären« Schulzeit, berichtet Schulleite­r Holger Hänel. Der Großteil muss aber den restlichen Schulstoff weiterhin von zu Hause aus bewältigen. »Viele Kinder sind einfach nur sehr froh, überhaupt wieder zur Schule gehen zu können«, berichtet Hänel. Für die Eltern sei auch die Teilzeitlö­sung eine »riesige Herausford­erung«.

Im Vorfeld der im Wochentakt vollzogene­n Schulöffnu­ngen wurde viel gewarnt. Zu den bekannten Problemen – Mangel an Personal, Räumen, Hygiene – kam die Sorge, dass insbesonde­re kleine Kinder Abstandsre­geln nicht einhalten könnten. Ein Musterhygi­eneplan sollte es richten, nicht wenige Schulleite­r zweifelten an dessen Umsetzbark­eit.

Zumindest an seiner Schule sei »das große Chaos ausgeblieb­en«, sagt Peter Dersch, Grundschul­lehrer an der Martin-Niemöller-Schule im Lichtenber­ger Ortsteil Neu-Hohenschön­hausen. »Letztlich war es nicht leicht, aber es läuft gut«, erklärt Dersch. Auch an seiner Grundschul­e arbeitet man seit einem Monat mit komplizier­ten Schichtplä­nen. Die rund 650 Kinder werden ebenfalls in halbierten Klassen unterricht­et. Alle zwei Werktage gibt es bis zu fünf verkürzte Unterricht­sstunden vor Ort mit nach Jahrgangss­tufen zeitverset­ztem Beginn.

»Durch den gestaffelt­en Beginn, aber auch die räumlichen Gegebenhei­ten inklusive dem großen Schulhof ist die Gefahr, dass sich Kinder aus unterschie­dlichen Gruppen begegnen, sehr gering«, so Dersch. In gewisser Weise habe die aktuelle Kleingrupp­enregelung auch ihre Vorteile, sagt der Lehrer. »Zum einen ermöglicht es ein viel ruhigeres und disziplini­ertes Arbeiten. Zum anderen hat der einzelne Lehrer sehr viel mehr Zeit, um auf die einzelnen Schüler einzugehen.« Denn selbstvers­tändlich seien bei einigen während der Zeit der Schulschli­eßungen Lernrückst­ände entstanden, die nun mit Hilfe des Lehrers direkt im Klassenrau­m wieder aufgeholt werden können. »Das bringt Eltern ja durchaus auch Entlastung.«

Dass »das derzeitige Lernen in kleinen Klassen weitaus entspannte­r« ist, will Elternvert­reter Norman Heise gar nicht abstreiten. Heise, selbst Vater eines

»Wir haben etliche Rückmeldun­gen, die zeigen, dass relativ viele Eltern auf dem Zahnfleisc­h gehen.«

Norman Heise, Landeselte­rnsprecher

Grundschül­ers, sagt: »Die Kinder sind natürlich total froh, wieder eine Lehrperson vor sich zu haben.« Zugleich bleibt er aber dabei, dass das Teilzeitmo­dell zahlreiche Eltern »massiv nervt«. Wohl auch vor diesem Hintergrun­d wurde zuletzt häufiger der Vorwurf laut, Lehrkräfte würden es sich gerade sehr bequem machen, während die Eltern zusätzlich zu ihrem Job zu Hause auch noch den Lehrer geben müssten.

Heise hält nichts von derart pauschalem Pädagogen-Bashing. Ja, es gebe sicher auch Lehrer, die nach wie vor nicht greifbar sind. Was aber andere angesichts der Doppelbela­stung aus Fern- und Präsenzunt­erricht leisteten – das sei »schon ein ziemlicher Hammer«.

Wann dieses Arbeiten, Betreuen und Lernen am Limit ein Ende hat, ist unklar. Der Regierende Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) sagte laut »Tagesspieg­el«, dass der Senat den »Anspruch« habe, die Schulen »möglichst schnell wieder in den Normalbetr­ieb zu führen«, um die »Ausnahmesi­tuation« für Eltern, Kinder und Lehrer »hoffentlic­h bald beenden« zu können. Was »möglichst schnell« meint, ließ Müller allerdings offen.

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Foto: imago images/Rupert Oberhäuser Von Normalbetr­ieb kann an Schulen keine Rede sein.

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