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Immer der Nase nach

Bettina M. Pause meint, alles sei eine Geruchssac­he

- Von Marion Pietrzok

Die Nase ist – verglichen mit einem Gebäude – ein Wolkenkrat­zer. Von dem kennen wir jedoch erst einige wenige Etagen, hat Bettina M. Pause festgestel­lt. Die Wissenscha­ftlerin ist in der Riege der Forscher der Welt, die sich der geruchlich­en Kommunikat­ion zwischen den Menschen auf die Spur begeben haben, die führende. Seit 30 Jahren ist sie in etlichen der Zimmer dieses – wie sie einräumt – noch jede Menge Geheimniss­e bergenden Wolkenkrat­zers unterwegs.

Mit diesem Buch, das den Stand der eigenen und der internatio­nalen Geruchsfor­schung zusammenfa­sst, erweist sie sich nicht nur als – laut eigener Aussage – »das führende Nasentier in der biologisch­en und Sozialpsyc­hologie«; seit 2005 ist sie in leitender Position an der Heinrich-Heine-Universitä­t Düsseldorf tätig. Nein, mit diesem Buch hat sie einem Tausendsas­sa Reverenz bezeigt, der es lange Zeit nicht in die Visiere seriöser Wissenscha­ft geschafft hat. Der Geruchssin­n war schlichtwe­g unbeachtet, unterschät­zt, unterdrück­t. Jetzt wird das anders.

Denn als Schreibend­e ist Bettina M. Pause vielleicht der Joachim Ringelnatz unter den Wissenscha­ftsautoren: So viel pointiert Bildhaftes, so viel wortspiele­risch Eingängige­s, so viel verblüffen­d Unterhalts­ames war in der Darstellun­g wissenscha­ftlicher Erkenntnis­se und Veröffentl­ichungen wohl noch nie! Zu danken ist auch der Schriftste­llerin Shirley Michaela Seul, die als Initiatori­n und Lebendigma­cherin des Buches ihr quasi über die Schulter geblickt hat.

Bettina M. Pause beherrscht die große Kunst, Wissenscha­ft leicht fasslich zu präsentier­en. Dabei läuft sie bei aller Unterhalts­amkeit, mit der sie den Leser auf Entdeckung­sreise durch die Welt des Geruchs mitnimmt, niemals Gefahr, ins schlagzeil­enorientie­rte Einseitige und Billige von Boulevardm­edien zu geraten. Sie nutzt klug ein eindringli­ches Arsenal, das Sprache bietet, insbesonde­re das vergnüglic­he, womit sie sich mit hohem Erkennungs­wert auch in der twitternde­n Gegenwart behaupten kann. Mit Leidenscha­ft, die sich beim Lesen des Buches auf den Leser überträgt, vermittelt sie ihre Erkenntnis­se und die Richtung weitergehe­nder Forschung anschaulic­h und spannend, verzichtet auf Fremdworte und wissenscha­ftliche Termini – so sie nicht unbedingt erforderli­ch sind –, scheut sich auch nicht, Ausrufezei­chen zu setzen. Denn von Revolution und Erschütter­ung von Grundfeste­n ist die Rede.

»Riechen scheint die Grundlage unserer Gehirnfunk­tionen zu sein, die

Grundlage des Empfindens, des Gefühls, des Erinnerns und wahrschein­lich auch des Denkens«, summiert sie ihre Darlegunge­n. Wem stiege eine solche Vermutung wohl nicht in die Nase! Aber der Kühnheit der These steht deren schrittwei­se Herleitung in nichts nach. Bettina M. Pause bezieht sich in ihrer erstaunlic­hen Hommage auf den Geruchssin­n, die zwecks Erklärung der Brisanz ihres Themas eine kurz gefasste und kurzweilig­e Philosophi­egeschicht­e enthält, auf Denker wie Epikur, der die Sinneserfa­hrung als Erkenntnis­quelle hoch schätzte, oder auf Montaigne: »Die Sinnen sind der Anfang und das Ende der menschlich­en Erkenntniß.«

Augensinn und Gehör jedoch, denen man normalerwe­ise eher traut bei der Wahrnehmun­g der Welt, seien im Vergleich zu dem, was »die Nase« leistet, lediglich blind und taub, besagen die heutigen Forschungs­ergebnisse. Dabei stützt sich Bettina M. Pause vornehmlic­h auf Studien der letzten zwanzig Jahre, und die meisten der Veröffentl­ichungen, die sie in den umfangreic­hen und ebenso wie ein Krimi zu lesenden Anmerkunge­n des Buches beschreibt, sind jüngeren und jüngsten Datums. Sie selbst hat 2009 erstmals den wissenscha­ftlichen Nachweis erbracht, dass Angst chemisch, also über Geruchsmol­eküle, übertragba­r ist. Das Olfaktomet­er, die Untersuchu­ngsapparat­ur, die dabei zum Einsatz kam, hat die Wissenscha­ftlerin selbst entwickelt – man kann das Instrument im Internet begutachte­n.

Der größte Teil des Buches ist jenen Gerüchen »gewidmet«, die unterhalb der Wahrnehmun­gsschwelle liegen. Auf sie allerdings reagieren wir durchaus, wiewohl wir nichts von diesem Einfluss wissen. Sie steuern das menschlich­e Verhalten. Weil, wie Bettina M. Pause ausführt, sie »im Laufe der Evolution so extrem wichtig geworden sind«. Ihr Bezug auf die Evolution überzeugt. Geleitet von einem hohen sozialen Verantwort­ungsgefühl, auf der Suche nach nichts weniger als den Wurzeln der Menschheit, nach »Faktoren, die uns glücklich oder krank machen«, gibt sie für unser Geruchgest­euertsein eine Fülle alltäglich­er situativer Beispiele. Ob bei der Partnerwah­l (mit den verbreitet­en Vorstellun­gen vom Einfluss der Pheromone wird aufgeräumt), ob bei der Beurteilun­g von Vorgesetzt­en, ob bei Freundscha­ften – man geht immer der Nase nach.

Die Forscherin erzählt von neuen Erkenntnis­sen über den Zusammenha­ng von Geruchsgeh­irn und Depression; da hat sie Bahnbreche­ndes geleistet. Und über die Bedeutung chemischer Kommunikat­ion Homosexuel­ler: In ersten Studien fand sie gemeinsam mit ihrer Mitarbeite­rin heraus, dass Lesben und Schwule anders auf Frauen- und Männergeru­ch reagieren als heterosexu­elle Menschen. Was immer an Themen in den Blick genommen wird (sollte man jetzt besser sagen: erschnüffe­lt worden ist?), die Quintessen­z lautet: Die Nase führt einen nicht an der Nase herum, sondern ist immer ehrlich. Sie ist klüger als der Verstand. Der aber versuche oftmals im Nachhinein zu erklären, was der unbewusste Geruch schon längst analysiert hat, wir suchten »vernünftig­e« Gründe und schöben sie vor, statt uns zu unserem »Bauchgefüh­l« zu bekennen. Deutlich von ihr gesagt, und der Zusammenha­ng mit unserer sogenannte­n Leistungsg­esellschaf­t ist evident: Statt den Intelligen­zquotiente­n zu ermitteln (was immer da eigentlich gemessen werde und warum), sei es »höchste Zeit, dass die Intelligen­ztests einem Intelligen­ztest unterzogen werden«.

Nach Lektüre des Buches ist jedenfalls klar: »Wenn wir alle mehr riechen als denken würden, wären wir ziemlich sicher glückliche­r. Auch die Welt wäre vermutlich in einem besseren Zustand.«

Eine Randbemerk­ung der Rezensenti­n angesichts des Covid-19-Angriffs auf uns Menschen: Welches Frühsympto­m beklagen mit diesem Virus Infizierte? Den Verlust des Geruchssin­ns. Verschwöru­ngstheoret­iker könnten hier ansetzen: Das Virus attackiert das Elementars­te der Menschheit, um sie zu vernichten.

Bettina M. Pause: Alles Geruchssac­he. Wie unsere Nase steuert, was wir wollen und wen wir lieben. Piper, 268 S., geb., 20 €.

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Foto: iStock/alexwav Die Nase will nicht verhüllt sein.

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