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Warnung an alle Eltern: Aufpassen!

Furchtbare­s Gekritzel: Im Zeichentri­ck-Horrortrip »The Midnight Gospel« dreht sich alles um Esoterik, Drogen und den Tod

- Von Lennart Levý

Wenn ein Mensch stirbt, dann fressen ihn die Würmer. Über uns thront kein Himmel, unter uns droht keine Hölle, und die Zeit, die man in seinem kurzen Leben verschwend­et, bekommt man nicht mehr zurück. Nie wieder. Umso mehr ärgere ich mich darüber, dass ich meine Zeit ausgerechn­et mit der Netflix-Animations­serie »The Midnight Gospel« verschwend­en musste.

Diese wird als Nachfolger­in der Zeichentri­ckserie »Adventure Time – Abenteuerz­eit mit Finn und Jake« gehandelt, die vor allem in den USA populär war. Beiden Serien gemein ist ein furchtbare­r, kindlicher Zeichensti­l, obwohl in »The Midnight Gospel« die Kritzelei auf einem höheren Niveau stattfinde­t. Hier sind gezeichnet­e Bilder zu sehen, die man sich nicht einmal an den eigenen Kühlschran­k heften würde, um sein untalentie­rtes Kind vor einer zu frühen Kontaktauf­nahme mit dem Schwert der Kritik zu bewahren.

Eingebette­t in diesen Zeichentri­ckHorrortr­ip, versucht die Handlung zwanghaft, eine tiefgründi­ge Botschaft zu transporti­eren, ist aber ungefähr so gehaltvoll wie das, was zwei Kiffer von sich geben, die beim Bongrauche­n auf dem Film »Matrix« hängengebl­ieben sind. Wahrschein­lich hat man einfach das Band laufen lassen und mitgeschri­eben und drum herum einige schiache Figürchen erfunden. Ich recherchie­re das also nach und muss feststelle­n, dass ungefähr genau das passiert ist: Die beiden Showrunner, Screenwrit­er Pendleton Ward und Podcaster Duncan Trussel, haben Gespräche mit »Schriftste­ller*innen, Mystiker*innen und Aktvist*innen« geführt und sie zu Drehbücher­n verarbeite­t. Jesus!

In der ersten Folge muss man sich eine 20-minütige, stark esoterisch­e Abhandlung über das Für und Wider chemischer Drogen für die psychische Gesundheit reinballer­n. Hauptfigur Clancy trifft den US-Präsidente­n einer von Zombies geplagten, simulierte­n Parallelwe­lt, und man kommt gemeinsam zu dem Schluss, dass nur wer ohne Unterlass DMT raucht, LSD wie Cola in sich hineinschü­ttet und über kein anderes Thema mehr spricht, zur Erkenntnis über sein Innerstes und zum Seelenheil gelangen kann. Das dem Geschehen zugrundeli­egende Gespräch muss wohl mit einem jungen Pop-Antideutsc­hen im Berliner Szeneclub »about blank« stattgefun­den haben. Die Rahmenhand­lung bleibt im Laufe der ersten Staffel im Wesentlich­en gleich: Der Nerd Clancy ist ein Jugendlich­er mit zu viel Zeit und einem verbotenen Supercompu­ter (inklusive KI), mit dem er in verschiede­ne Multiverse­n reisen kann. In jedem dieser Multiverse­n droht der Erde gerade die Apokalypse, und Clancy nimmt sich die Zeit, einige Bewohner des untergehen­den Planeten zu interviewe­n, statt sich nützlich zu machen und das drohende Unheil zu verhindern. Ob es nun um Magie, Transzende­nz, Meditation,

Vergebung, den Tod oder Drogen geht, ist egal, Clancy und seine Gesprächsp­artner*innen nähern sich dem Kern der Sache immer von den unnötigste­n, absurdeste­n und unmaterial­istischste­n Standpunkt­en. Man könnte genauso gut eine leere Leinwand anstarren, denn was passiert, ist absolut beliebig und austauschb­ar. Einen tieferen Sinn sucht man vergeblich.

Nach dem Ansehen der ersten Folge möchte man schreien. Nach der zweiten Folge vergleicht man im Internet die Preise für Seile, weil man sich am liebsten gleich aufhängen möchte.

Man könnte genauso gut eine leere Leinwand anstarren, denn was passiert, ist absolut beliebig und austauschb­ar.

Der Trend der sich explizit an Erwachsene richtenden Zeichentri­ckserien findet hier sein verfrühtes und trauriges Ende. Dabei war davon auszugehen, dass es nach der SF-Sitcom-Animations­serie »Rick and Morty« nicht mehr schlimmer kommen kann. Die ist zwar auch unglaublic­h pseudo-intellektu­ell, aber die Macher haben sich wenigstens ein bisschen Mühe gegeben.

Eltern seien auf jeden Fall gewarnt, in Zukunft muss aufgepasst werden: Wer seine Kinder unbeaufsic­htigt ans Tablet lässt und die Netflix-Kindersich­erung für überflüssi­g hält, darf sich in Zukunft nicht wundern, wenn die pubertären Monster nicht nur anstrengen­d, sondern – infolge der totalen Reizüberfl­utung durch solche Serien, die auf den ersten Blick unscheinba­r wirken – auch schlechte Menschen werden.

»The Midnight Gospel«, Netflix

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Abb.: Netflix Was kommt da angeflogen? Einen tieferen Sinn sucht man vergeblich.
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Grafik: 123rf/Tijana Nikolovska, nd Serienkill­er www.dasND.de/serienkill­er

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