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»Grund-, sinn- und erbarmungs­los erschlagen«

In Dessau wird an den 20. Jahrestag des Mordes an Alberto Adriano erinnert – und an weitere rechte Untaten

- Von Hendrik Lasch

Vor 20 Jahren ermordeten drei Nazis in Dessau Alberto Adriano. Am Jahrestag gibt es neue Formate des Gedenkens – und eine ernüchtern­de Bilanz.

Es war wohl ein kurzer Wortwechse­l, der in der Nacht zum 11. Juni 2000 im Stadtpark von Dessau in eine Prügelorgi­e mündete. Drei junge Skinheads traten brutal auf Alberto Adriano ein; drei Tage später starb er im Krankenhau­s. Der als Vertragsar­beiter aus Mosambik in die DDR gekommene Vater dreier Kinder wurde nur 39 Jahre alt.

Als die Neonazis, von denen zwei erst 16 Jahre alt waren, zehn Wochen später vom Oberlandes­gericht Sachsen-Anhalt wegen Mordes aus niederen Beweggründ­en verurteilt wurden, sagte der Vorsitzend­e Richter, sie hätten ihr Opfer »grund-, sinnund erbarmungs­los erschlagen«. Die Täter nannten Fremdenhas­s als Motiv. Reue zeigte keiner. Bundesweit sorgte der Mord für Entsetzen. Er und weitere rechte Untaten jenes Jahres veranlasst­en Bundeskanz­ler Gerhard Schröder (SPD) im Oktober 2000, die bundesdeut­sche Politik und Zivilgesel­lschaft zum »Aufstand der Anständige­n« aufzurufen.

20 Jahre danach wird in Dessau auf vielfältig­e Weise an den rassistisc­hen Mord erinnert – und an viele ähnliche Taten in Stadt und Bundesland. In Sachsen-Anhalt seien seit 1990 neben Adriano mindestens 14 weitere Menschen von Rechtsradi­kalen ermordet worden, erinnert das Multikultu­relle Zentrum Dessau. Am Jahrestag werden deshalb nicht nur Blumen für Adriano – an einer Gedenksäul­e, die seit vielen Jahren im Stadtpark steht – niedergele­gt, sondern auch an 13 weiteren Tatorten im gesamten Bundesland.

Die Ehrung ist Teil eines »Tages der Erinnerung«, an dem man auch unter den Bedingunge­n der Corona-Beschränku­ngen festhielt. Eine geplante Konferenz im Bauhaus-Museum kann zwar nicht stattfinde­n. Es gibt aber viele andere, teils ungewöhnli­che Formate: viele Berichte im freien Radio »Corax« aus Halle, ein Onlinesemi­nar zur Situation von Vertragsar­beitern nach 1990 oder den Blog www.warumadria­no.de, auf dem unter anderem ein gleichnami­ges Audiofeatu­re zu Perspektiv­en auf rechte Gewalt und zur Sicht der Opfer zu hören ist.

Mit den Veranstalt­ungen am 20. Jahrestag wird längst nicht nur in die Vergangenh­eit geblickt. Vielmehr zeigten die internatio­nalen Proteste unter dem Slogan »Black Lives Matter«,

die vom Tod des schwarzen USAmerikan­ers George Floyd durch Polizeigew­alt ausgelöst wurden, die »Aktualität und Dringlichk­eit« des Themas, stellt das Multikultu­relle Zentrum in einem Beitrag im Hallenser »Transit-Magazin« fest. Konstatier­t wird dabei auch ein »bedrückend­er Alltag« verbaler und physischer rassistisc­her Attacken in Deutschlan­d, der »in keiner polizeilic­hen Statistik auftaucht, weder angezeigt noch in den Medien berichtet wird, jedoch beim Zusammentr­effen letztlich zufälliger Umstände jederzeit und überall eine tödliche Dimension entwickeln kann«.

Das beschreibt die Situation in der Pfingstnac­ht vor 20 Jahren, aber auch mehrere weitere Fälle allein in Dessau. So werden nach der Ehrung für Alberto Adriano auch Blumen an einer Bank vor dem Hauptbahnh­of niedergele­gt, wo am 1. August 2008 der obdachlose und behinderte Hans-Joachim Sbrzesny von zwei Männern im Schlaf erschlagen wurde – ein Verbrechen, das trotz offenkundi­ger entspreche­nder Gesinnung der Täter vor Gericht nicht als rechtsextr­eme Gewalttat eingestuft wurde.

Verwiesen wird zudem auf den Tod von Oury Jalloh in einer Polizeizel­le in Dessau am 7. Januar 2005. Die genauen Umstände sind auch nach zwei langen Gerichtspr­ozessen unklar. Nach Überzeugun­g der »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« handelt es sich ebenfalls um eine rassistisc­he Gewalttat. Die Initiative lädt gleichfall­s zu einer Ehrung im Stadtpark – und anschließe­nd zum Protest vor dem Polizeirev­ier. Dort habe es, wird angemerkt, 1997 und 2002 weitere Todesfälle gegeben, bei denen die Opfer Spuren von Gewalteinw­irkungen aufwiesen.

Auch die Gedenkinit­iative erinnert am jetzigen Jahrestag an den 20 Jahre alten Aufruf des Altkanzler­s zum »Aufstand der Anständige­n« – und zieht mit Blick auf spätere Gewaltakte wie die Mordserie des NSU oder das Attentat auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019 ein ernüchtern­des Fazit: Den »sogenannte­n Aufstand« habe es in zwei Jahrzehnte­n »nicht nachvollzi­ehbar gegeben«.

Alltäglich­e rassistisc­he Angriffe können jederzeit eine tödliche Dimension entwickeln – so wie vor 20 Jahren in Dessaus Stadtpark.

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