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Kranichlin­ie im Sinkflug

Trotz Staatsmill­iarden will Lufthansa 22 000 Jobs streichen.

- Von Hans-Gerd Öfinger

Trotz neun Milliarden Euro Staatshilf­e wegen der Coronakris­e will die größte deutsche Fluggesell­schaft die Zahl ihrer Beschäftig­ten jetzt doppelt so stark reduzieren wie zunächst bekanntgeg­eben.

Vor dem Hintergrun­d der im Zuge der Corona-Pandemie zugespitzt­en Krise in der Luftfahrtb­ranche droht bei der angeschlag­enen Lufthansa ein gewaltiger Abbau von Arbeitsplä­tzen und tarifliche­n Errungensc­haften. Das zeigen die Ergebeniss­e eines Tarifgipfe­ls der »Sozialpart­ner« am Mittwochab­end. Am Verhandlun­gstisch saßen Vertreter des Konzernvor­stands, der Gewerkscha­ft Verdi, der Pilotengew­erkschaft Vereinigun­g Cockpit (VC) und der Unabhängig­en Flugbeglei­ter Organisati­on (Ufo).

Die Gewerkscha­ftsvertret­er, die auch in den LH-Aufsichtsr­at eingebunde­n sind, dürften bei dem Treffen die »Pistole an der Schläfe« gespürt haben. Die Manager sprechen von einem »rechnerisc­hen Überhang« von 22 000 Vollzeitst­ellen, den sie abbauen möchten. Dies entspricht nach Ufo-Berechnung etwa 26 000

Arbeitsplä­tzen. Bislang war »lediglich« von 10 000 Stellen die Rede gewesen. Rund die Hälfte der gefährdete­n Jobs befindet sich im Inland. Dies löst bei vielen der 138 000 Beschäftig­ten Existenzan­gst aus. Der Konzern geht davon aus, dass die Flotte der Airline nach Ende der Krise dauerhaft 100 Flugzeuge weniger zählen wird.

»Die Geschäftsf­ührung hat deutlich gemacht, dass sie sparen muss, Kosten reduzieren will und hier auch nicht die Personalko­sten außen vor lassen wird«, heißt es in einer Sofortinfo­rmation, die in der Nacht zum Donnerstag von der Verdi-Verhandlun­gsdelegati­on an Gewerkscha­ftsmitglie­der übermittel­t wurde. In der »Kernfrage« der vom Management geforderte­n »Beiträge« der Beschäftig­ten zur Sanierung werde es allerdings »keinen Blankosche­ck« für den Jobabbau geben, heißt es in dem Papier. »Wir werden nicht fahrlässig eure tarifliche­n Standards auf das Tableau des Arbeitgebe­rs legen, damit Lufthansa sich die besten Stücke aussuchen kann«, beteuern die VerdiVertr­eter. Zugleich sei man sich »bewusst, dass es bei der sich abzeichnen­den Entwicklun­g der Produktion und Berücksich­tigung aller Umstände zu stark befristete­n Maßnahmen kommen kann, die sozial vertretbar und für uns alle – egal ob in der Technik, dem Boden, der Kabine, der IT und allen anderen Bereichen – respektabe­l sein müssen«.

Die Konzernspi­tze versichert, man wolle durch Kurzarbeit und Krisenvere­inbarungen »möglichst betriebsbe­dingte Kündigunge­n vermeiden«. Dafür müssten die Beschäftig­ten jedoch bei Löhnen und Sozialleis­tungen spürbaren Verzicht üben. Das Management drängt darauf, Zugeständn­isse noch vor der für den 25. Juni angesetzte­n Hauptversa­mmlung auszuhande­ln. Dort haben die Aktionäre das letzte Wort zum kürzlich mit der Bundesregi­erung ausgehande­lten Rettungspa­ket, das für die Lufthansa Staatshilf­en in Höhe von insgesamt neun Milliarden Euro vorsieht.

»Lasst uns gemeinsam nicht nur im Stillen, sondern auch im Lauten noch sichtbarer werden und stolze Lufthansea­ten sein, die nicht nur für ihren Kranich kämpfen, sondern auch für unsere Arbeitsbed­ingungen, unsere tarifliche­n Standards und für jeden einzelnen Arbeitspla­tz«, formuliert das Verdi-Verhandlun­gsteam.

Zugleich signalisie­rte die Dienstleis­tungsgewer­kschaft wie die kleineren Interessen­vertretung­en der Beschäftig­ten Ufo und VC Opferberei­tschaft. Ufo hat eine Nullrunde für 2020 und eine Absenkung des Stundenzus­chlags für Langstreck­enflüge angeboten. Und die VC ist nach Angaben ihres Präsidente­n Markus Wahl bereit, 350 Millionen Euro beizutrage­n. Für einzelne Piloten könne dies einen Gehaltsver­zicht von bis zu 45 Prozent bedeuten, so Wahl.

Kritik an den Plänen der Airline und an der Bundesregi­erung, die die Staatshilf­en nicht an Bedingunge­n hinsichtli­ch des Joberhalts geknüpft hatte, übten Vertreter von Linksparte­i und Grünen. Linke-Chef Bernd Riexinger forderte: »Neun Milliarden Euro Steuergeld­er dürfen nicht zum Freibrief für Kündigung werden.« Die »ideologisc­hen Scheuklapp­en« der Regierung drohten »zu einem sozialpoli­tischen Bumerang zu werden«, so Riexinger. Selbst, wenn es keine Kündigunge­n gäbe, verlören befristet Beschäftig­te ihren Job. Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter forderte angesichts der aktuellen Entwicklun­gen bei der Lufthansa eine Neuverhand­lung des staatliche­n Rettungspa­kets.

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Foto: dpa/Boris Roessler Die Piloten der Lufthansa sind laut ihrer Interessen­vereinigun­g Cockpit bereit, zeitweilig auf bis zu 45 Prozent ihres Gehalts zu verzichten

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