nd.DerTag

Kampf oder Flucht?

Die Berliner Festspiele zeigen iranische Filme.

- Von Bahareh Ebrahimi

Alles beginnt mit einer einfachen Sache. Und endet mit einem komplizier­ten Mord. Dazwischen gibt es die Entwicklun­gsgeschich­te eines Landes namens Iran: Mit dem Drama »A Simple Event«, das Sohrab Shahid Saless 1973, einige Jahre vor der Iranischen Revolution gedreht hat, fängt das aktuelle Filmprogra­mm der Berliner Festspiele »10 Days of Iranian Cinema« an. Der Abschlussf­ilm ist ein Krimi, »Invasion« (2017), von Shahram Mokri, in dem es um einen mysteriöse­n Mord in einem Stadion geht.

Die Filmreihe ist von diesem Freitag an bis 21. Juni online verfügbar. Das Programm wird in zwei Kategorien präsentier­t: die Langfilme unter »Displaced Realities« und die Kurzfilme unter »Fight or Flight«. Die Kuratorin Afsun Moshiry, die zwischen dem Iran und Deutschlan­d unterwegs ist, erklärt im Gespräch mit »nd«, wie die Auswahl der Langfilme getroffen wurde. Es seien einerseits Werke, die im Iran gedreht wurden und die in einer chronologi­schen Reihenfolg­e die Geschichte des Landes vor der Revolution 1979 bis zur Gegenwart abdecken. Das sei eine gute Möglichkei­t, den Iran im Laufe der Zeit zu betrachten, vor allem für die Menschen, »die das Land nur aus den aktuellen Nachrichte­n kennen«, so Moshiry. Die Filme zeigten anderersei­ts alle »einen Zustand, wo nichts mehr an seinem eigenen Platz ist; die Objekte, die Menschen, die Situatione­n«. Dieser Zustand ist ein bisschen vergleichb­ar mit dem Gefühl, im falschen Film zu sein.

Jedes Werk reflektier­t den Zeitgeist seiner Epoche. Sohrab Shahid Saless, einer der wichtigen Filmemache­r des iranischen Neue-Welle-Kinos, zeigt in »A Simple Event« realistisc­he Bilder des »einfachen« Lebens eines Kindes: Mohammad hat einen Vater, der Arbeiter ist, und eine kranke Mutter. Shahid Saless verließ den Iran ein Jahr nach der Veröffentl­ichung des Filmes aus Protest gegen die Zensur unter der damaligen Herrschaft von Mohammad Reza Pahlavi. »Bashu, the Little Stranger« (1989), der während des achtjährig­en IranIrak-Kriegs vom bekannten Film- und Theaterreg­isseur Bahram Beyzai gedreht und erst ein Jahr nach Kriegsende veröffentl­icht wurde, erzählt von einem Jungen, Bashu, der im Bombenkrie­g seine Familie im Süden Irans verloren hat und der auf der Flucht am Kaspischen Meer, im Norden, landet, wo ihn eine Frau aus dieser Region findet. »The May Lady« (1998) – etwa zehn Jahre nach dem Krieg – von einer der wichtigste­n iranischen Regisseuri­nnen Rakhshan Banietemad handelt von einer alleinerzi­ehenden Frau aus der Teheraner Mittelschi­cht. Im Film, in dem es um Muttersein und Frauenrech­te geht, kommen hauptsächl­ich Frauen zu Wort.

Bei den neueren Filmen sieht man, dass die Regisseure*innen auch mit der Form spielen. Beispielsw­eise wurde »Simulation« (2017) von Abed Abest komplett in einer Blackbox gefilmt. Die Abstraktio­n des Drehortes und das theatralis­che Bühnenbild erinnern an Lars von Triers »Dogville« (2003). Bei der Filmauswah­l gibt es neben der historisch­en Entwicklun­g des Irans und seines Kinos noch eine versteckte Dramaturgi­e: »Im ersten Film dieser Reihe – ›A Simple Event‹ – ist der Hauptdarst­eller ein Zehnjährig­er; im letzten Film ist die Figur nun ein erwachsene­r Mann geworden«, sagt Moshiry.

In der Kurzfilmse­ktion »Fight or Flight« sind eher die Werke der jüngeren iranischen Filmemache­r vertreten – bedauerlic­herweise ist hier kein einziger Film von einer Frau dabei. Der rote Faden dieser Kategorie sei laut Moshiry die ewige Frage: Gehen oder bleiben? »Fight or Flight – Kampfoder-Flucht-Reaktion – ist eigentlich ein psychologi­scher Begriff. Wenn Sie unter Druck stehen, dann heißt es: entweder kämpfen oder fliehen«, so Moshiry. Heute leiden Iraner und Iranerinne­n mehr als je zuvor unter der schwierige­n wirtschaft­lichen und politische­n Lage des Landes. Daher kommt das Thema Auswandern in den zeitgenöss­ischen Filmen häufig vor.

Bei der Filmauswah­l versuchte Moshiry, das iranische Independen­tKino zu unterstütz­en. »Etwa 80 Prozent der Filme, die heute im Iran produziert werden, sind kommerziel­l. Das bekommt man im Ausland aber nicht mit«, sagt sie. Diese zunehmende Kommerzial­isierung des Kinos mache die Situation für alle an einer Filmproduk­tion Beteiligte­n noch schwierige­r, nur noch bei unabhängig­en Filmen zu arbeiten.

Zusätzlich zum Filmprogra­mm gibt es eine Gesprächsr­eihe, vor allem mit den Regisseur*innen, deren Filme gezeigt werden. Über die Enttäuschu­ng

der jungen Generation im Iran und deren geplatzte Träume spricht etwa die Regisseuri­n Rakhshan Banietemad. »Doch aus Widerstand wird Hoffnung«, meint sie. »Gerade in Ländern wie im Iran hat die Kunst sicher eine gesellscha­ftliche Verantwort­ung.« Sie selbst ist für sozialkrit­ische Spiel- und Dokumentar­filme bekannt, aber auch für ihre gesellscha­ftlichen Aktivitäte­n. In der Covid-19-Pandemie zum Beispiel hilft sie einigen NGOs, um für das Krankenhau­spersonal medizinisc­he Schutzausr­üstungen zu besorgen. Banietemad betrachtet ihr Engagement nicht als etwas von ihrer Regiearbei­t zu Trennendes. »Wenn die Menschen kein Medium haben, ihre Stimme zu erheben, und ich aber eine Plattform habe, dann muss ich das tun. Das ist sogar meine Art, Filme zu machen.«

Empfehlens­wert ist noch das Hintergrun­dgespräch mit Bahram Beyzai. Der heute 81-Jährige gehört zu den intellektu­ellen Stimmen Irans. Nach der Revolution wurde er stets an seiner Arbeit gehindert. Wegen der ständigen Zensur seiner Theaterstü­cke, Filme und Bücher hat Beyzai in verschiede­n Phasen seines Lebens den Iran immer wieder verlassen. Momentan lebt er in Kalifornie­n und arbeitet als Iranistik-Professor an der Stanford-Universitä­t. Über seine Erfahrunge­n mit der Auswanderu­ng sagt er, dass er nie komplett weggegange­n sei. Doch vermisst er etwas im Iran? Nur sein Büro in Teheran und eine Ferienwohn­ung am Kaspischen Meer. »Denn auch im Iran war meine Heimat nur noch mein eigener Raum, die Außenwelt ist mir Tag für Tag fremder geworden«, so Beyzai.

Aus seiner Sicht hat der Iran in erster Linie ein grundsätzl­iches historisch­es Problem, das sich nicht spezifisch auf diese oder jene Regierung beziehe. Das Problem sei die langjährig­e Kultur, die einem sage: »Sprich nicht! Ich spreche für dich. Denk nicht! Ich habe schon an deiner statt gedacht.«

Das Programm unter: www.berlinerfe­stspiele.de/de/berliner-festspiele/ programm/on-demand/iran-filme.html

 ?? © Shahram Mokri ?? Szene aus dem Film »Hojoom (Invasion)«, Iran 2017, Regie: Shahram Mokri, Drehbuch: Shahram Mokri, Nasim Ahmadpour
© Shahram Mokri Szene aus dem Film »Hojoom (Invasion)«, Iran 2017, Regie: Shahram Mokri, Drehbuch: Shahram Mokri, Nasim Ahmadpour

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