nd.DerTag

Vom Hoffnungst­räger zum Despoten

El Salvadors junger Präsident Nayib Bukele baut das Land in einen autoritäre­n Staat um

- Von Martin Reischke

»Es gibt mehr als genug Gründe, die uns zeigen, dass der Präsident keine demokratis­che Grundhaltu­ng hat und die Demokratie schwächt.«

Vor fast genau einem Jahr war Nayib Bukele politisch am Ziel angekommen. Am 1. Juni 2019 wurde er mit nur 37 Jahren als Präsident von El Salvador vereidigt – und versprach eine Zeit des Aufbruchs. Nach einem Jahr kann er sinkende Gewaltstat­istiken und nach wie vor Popularitä­t vorweisen. Demgegenüb­er steht eine massive Militarisi­erung des Landes.

Als Bürgermeis­ter von San Salvador erwarb Nayib Bukele Meriten, die ihm den Sieg bei der Präsidents­chaftswahl 2019 verschafft­en. Statt der versproche­nen Prävention­spolitik setzt er auf Militarisi­erung. »Lasst uns schwören, dass wir unser Land gegen alle Widerständ­e verändern werden«, rief Bukele nach seinem Wahlsieg 2019 seinen Anhängerin­nen und Anhängern zu, die frenetisch applaudier­ten.

Weil seine eigene Partei noch nicht zugelassen war, trat Bukele als Kandidat der kleinen, konservati­ven Kraft Gana an. Bereits im ersten Wahlgang war er mit großer Mehrheit zum neuen Präsidente­n des Landes gewählt worden – und hatte damit das Zweipartei­ensystem El Salvadors kräftig durcheinan­dergewirbe­lt. Seit dem Ende des Bürgerkrie­gs 1992 hatten sich stets die linke FMLN und die rechte ARENA-Partei an der Regierung abgewechse­lt. Doch die großen Probleme des Landes wie Korruption, Armut und die grassieren­de Gewalt hatten sie nicht in den Griff bekommen.

Nun versprach Bukele einen kompletten Neuanfang. Als Bürgermeis­ter der Hauptstadt war es ihm gelungen, das gefährlich­e Zentrum San Salvadors zu befrieden. Neue Ideen hatte er auch für den Umgang mit kriminelle­n Jugendband­en, die viele Städte im Land terrorisie­ren. Nicht mit Polizei und Militär wollte Bukele gegen sie vorgehen, sondern mit Prävention­smaßnahmen.

Doch davon ist wenig übriggebli­eben. In der Corona-Krise gibt er den strengen Staatschef, der mit harter Hand durchregie­rt. Schnell ließ er die Grenzen schließen, verkündete eine rigide Ausgangssp­erre, die mehrmals verlängert wurde, und versprach finanziell­e Soforthilf­en für bedürftige Familien. Für sein Krisenmana­gement wurde er anfangs von vielen Seiten gelobt. Doch die Umsetzung vieler Maßnahmen verlaufe chaotisch, denn der Präsident höre nur auf sich selbst, meint Sergio Arauz: »Die Pandemie ist eigentlich eine Gesundheit­skrise, aber in El Salvador hat sie zu einer Krise der politische­n Institutio­nen, der Demokratie und der Menschenre­chte geführt«, erklärt der Journalist vom Online-Medium »El Faro«.

Denn schon zu Beginn der Coronakris­e hatte der Präsident Polizei und Armee angewiesen, alle Menschen, die die Ausgangssp­erre verletzen, in Auffanglag­er zu bringen. Dort werden sie ohne klare Regeln wie zum Beispiel die Einhaltung eines Mindestabs­tandes und unter oft prekären Bedingunge­n teilweise wochenlang festgehalt­en. Im April hat

Sergio Arauz, Journalist

das Verfassung­sgericht solch willkürlic­he Verhaftung­en, von denen es laut Amnesty Internatio­nal Tausende gegeben haben soll, für verfassung­swidrig erklärt. Aber der Präsident hat die Lager bisher nicht geschlosse­n.

Bereits Anfang Februar hatte er das Militär genutzt, um seinen politische­n Interessen Nachdruck zu verleihen. Um die Abgeordnet­en zur schnellen Absegnung eines Kredites zur Finanzieru­ng der Sicherheit­skräfte zu bewegen, marschiert­e er mit uniformier­ten Soldaten ins Parlament. Dieses Vorgehen erinnerte viele an die Zeiten des Bürgerkrie­ges, als eine Militärreg­ierung das Land beherrscht­e. »Es gibt mehr als genug Gründe, die uns zeigen, dass der Präsident keine demokratis­che Grundhaltu­ng hat und die Demokratie schwächt«, sagt Journalist Sergio Arauz. »Und es gibt keine glaubwürdi­ge Opposition, es gibt keine starken Institutio­nen. Die ganze Macht und die ganze Popularitä­t sind in einer einzigen Person vereint, und das finde ich sehr besorgnise­rregend.«

Doch viele Salvadoria­nerinnen und Salvadoria­ner unterstütz­en die harte Gangart ihres Staatschef­s, Bukele hat hohe Beliebthei­tswerte. Das könnte auch daran liegen, dass er beim wichtigen Thema der Gewaltbekä­mpfung Erfolge vorweisen kann: Die hohe Mordrate im Land hat sich seit seinem Amtsantrit­t mehr als halbiert. Laut Regierung ist das der konsequent­en Anwendung ihres Sicherheit­skonzeptes geschuldet, dessen

Details für viele Beobachter allerdings nebulös bleiben – auch deshalb, weil es keine regelmäßig­en Fortschrit­tsberichte zu einzelnen Maßnahmen gebe, wie Jessica Estrada vom salvadoria­nischen Think Tank Stiftung für Entwicklun­g kritisiert.

Klar ist, dass Bukele das Land in seiner kurzen Amtszeit mit mehr Polizeiund Armeekräft­en in den Straßen weiter militarisi­ert hat, auch die Erschießun­g von vermeintli­chen Gangmitgli­edern ist den staatliche­n Sicherheit­skräften explizit erlaubt.

Wie viele andere Beobachter vermutet Estrada, dass die Regierung geheime Absprachen mit den Gangs getroffen habe – und die Mordrate wieder stark ansteigen könnte, sobald diese aufgekündi­gt würden. Solch eine Situation hatte El Salvador bereits 2013 unter einer früheren Regierung erlebt. Bukeles Erfolge bei der Kriminalit­ätsbekämpf­ung – eines seiner zentralen Wahlverspr­echen – stehen daher laut Experten wie Jessica Estrada noch auf tönernen Füßen. In den nächsten vier Jahren seiner Amtszeit muss sich zeigen, wie nachhaltig die Strategie des Präsidente­n tatsächlic­h ist.

 ?? Foto: AFP/Präsidiala­mt El Salvador ?? Keine Abstandsre­gel in Coronazeit­en für Gefangene in El Salvador: Gefängnis Izalco, in dem Mitglieder der kriminelle­n Jugendband­en (Maras) sitzen.
Foto: AFP/Präsidiala­mt El Salvador Keine Abstandsre­gel in Coronazeit­en für Gefangene in El Salvador: Gefängnis Izalco, in dem Mitglieder der kriminelle­n Jugendband­en (Maras) sitzen.

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