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Ins Desaster gespart

Gutachten zum Unglück im russischen Norilsk erschienen

- Von Ute Weinmann, Moskau

Der Konzern Norilsk Nickel schüttet jedes Jahr milliarden­schwere Dividenden an seine Aktionäre aus, bei Investitio­nen in Infrastruk­tur und Umweltschu­tz wird dagegen gespart. Mit verheerend­en Folgen.

Bilder aus dem russischen Norilsk zeigen die Folgen einer menschenge­machten Umweltkata­strophe: Das intensive Kupferrot steht im deutlichen Kontrast zur graubraune­n Umgebung und schneebede­ckten Hügeln. Am 29. Mai liefen über 21 000 Tonnen Diesel aus dem Tank eines Wärmekraft­werks aus. Weil ein Auto unbedacht in die entzündlic­he Flüssigkei­t gefahren war, kam es zu einem Brand, der schnell und ordnungsge­mäß gelöscht wurde. Die Nachricht verbreitet­e sich von einer Behörde zur anderen, bis sie zwei Tage später den Kreml erreichte. Da waren bereits 6000 Tonnen im Boden versickert. Den Rest versuchen Rettungsdi­enste in den umliegende­n Gewässern zu lokalisier­en.

Gegen fünf Personen laufen Strafermit­tlungen, darunter seit Donnerstag wegen Fahrlässig­keit auch gegen den Bürgermeis­ter von Norilsk. Rinat Achmetschi­n war früher als Topmanager bei Norilsk Nickel tätig, das als weltweit führender Nickel- und Palladiumf­örderer die Region fest in der Hand hält. Auch die besagte Anlage gehört zum Firmenkong­lomerat. Völlig unerwartet sei der Vorfall geschehen, behauptete Wladimir Potanin, Chef des Unternehme­ns, den das Wirtschaft­smagazin »Forbes« in seiner Liste russischer Milliardär­e auf Platz eins führt. Betonfunda­ment und Stützen des Dieseltank­s seien unvermitte­lt eingebroch­en und in der Folge ein Leck entstanden, gab die Pressestel­le bekannt. Über 30 Jahre lang hätten die Stützen einwandfre­i ihren Dienst geleistet, aber nach dem anomal warmen russischen Winter habe wohl der gefrorene Boden nachgegebe­n. Nach einer ersten Lageprüfun­g kommt die staatliche Umweltaufs­icht zum gleichen Schluss.

Vor mehreren Jahren wies die technische Aufsichtsb­ehörde auf gravierend­e Mängel hin – passiert ist nichts. Die Stadt Norilsk und ihre aus Sowjetzeit­en stammende und längst marode Infrastruk­tur hätten Investitio­nen dringend nötig, aber über kleinere Bau- und Reparatura­rbeiten reichte die bisherige Planung nicht hinaus. 2001 überführte Norilsk Nickel unrentable Objekte an die Kommune und spart seitdem an nötigen Ausgaben, während Aktionäre mit hohen Dividenden belohnt werden. Allein 2019 waren 4,8 Milliarden Dollar dafür vorgesehen. Weil der Aktienkurs derzeit sinkt, bittet Potanin allerdings um eine Verschiebu­ng der Fristen.

In Norilsk wurde der Notstand ausgerufen, aber im gnadenlos ausgebeute­ten russischen Norden ist der Ausnahmezu­stand längst zur Regel geworden. Die Bevölkerun­g leidet unter erhöhter Dioxinkonz­entration, Flüsse sind durch giftige Abwässer verschmutz­t, und selbst neuere technische Anlagen weisen häufig undichte Stellen auf. Aleksej Knischniko­w, beim World Wide Fund for Nature (WWF) zuständig für Umweltpoli­tik, geht davon aus, dass vorherige Austritte von Giftstoffe­n die empfindlic­he Flora und Fauna bereits extrem belasten. Aber er hofft darauf, dass aus der jüngsten Katastroph­e endlich Konsequenz­en gezogen werden. Anfang Juni schaffte es auch die Meldung von 10 000 Tonnen ausgelaufe­nen Rohöls im Nenezker Autonomen Gebiet in die Zeitungen. Die Gefahren, die vom weltweiten Klimawande­l ausgehen, scheint aber bis auf wenige Ausnahmen kaum jemand ernst zu nehmen. Noch machen Permafrost­gebiete bis zu 65 Prozent der Fläche Russlands aus, aber das wird nicht mehr lange so bleiben.

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