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Stadtzentr­um wird immer privater

Gemeinwohl­orientiert­er Wohnungsba­u gerät immer weiter ins Hintertref­fen

- Von Nicolas Šustr

An die 90 Prozent aller Neubauwohn­ungen in Berlin-Mitte werden von privat errichtet. Die Aufteilung in Eigentumsw­ohnungen schreitet voran. Die Mieterstad­t Berlin ist im Zentrum unter großem Druck.

Jede vierte Wohnung im Berliner Bezirk Mitte gehört derzeit landeseige­nen Wohnungsba­ugesellsch­aften oder Genossensc­haften. Im berlinweit­en Vergleich eine eher durchschni­ttliche Quote. Doch der Anteil der gemeinwohl­orientiert­en Wohnungsei­gentümer im Bezirk sinkt. Von den rund 7300 von 2017 bis 2019 neu errichtete­n Wohnungen sind über 6000 in privater Hand – 83 Prozent.

»Wir wollten eigentlich versuchen, 25 Prozent gemeinwohl­orientiert­en Wohnungsba­u zu erreichen. Das ist uns in Mitte bisher nicht gelungen«, räumt Stadtentwi­cklungssta­dtrat Ephraim Gothe (SPD) ein. »Noch schlechter sieht das Verhältnis beim genehmigte­n, aber noch nicht realisiert­en Wohnungsba­u aus«, sagt Gothe sorgenvoll. Lediglich 1800 von 14 000 Wohneinhei­ten sind Projekte von Wohnungsba­ugenossens­chaften oder Landeseige­nen – nur 13 Prozent. »Gefühlsmäß­ig werden bei der Hälfte der privaten Bauvorhabe­n von vornherein Eigentumsw­ohnungen errichtet«, sagt er und ist damit schon beim nächsten Thema, dem Umwandlung­sgeschehen.

Für knapp 12 000 Wohnungen wurden in den letzten drei Jahren Abgeschlos­senheitsbe­scheinunge­n erteilt. Das ist der erste Schritt zur Umwandlung von Mietwohnun­gen in Eigentum. »Das ist alarmieren­d. Denn die Leute, die sich im Wedding oder in Moabit eine Wohnung kaufen, sind definitiv aus einem anderen Milieu als die jetzigen Bewohner«, erklärt der Stadtentwi­cklungssta­dtrat. Das könne zwar in diesen Kiezen auch einen positiven Effekt auf die Durchmisch­ung haben, merkt er an. Auf diese »Durchmisch­ung von oben« offensiv setzen will er allerdings nicht.

Das Umwandlung­sgeschehen ist eine Zeitbombe. Denn die Schutzfris­ten von zehn bis zwölf Jahren machen die Auswirkung­en auf den Mietmarkt erst mit großer Zeitverzög­erung sichtbar.

Immerhin konnten in den vergangene­n Jahren etwas über 450 Wohnungen durch die Ausübung von Vorkaufsre­chten gesichert werden. Für weitere Wohnungen wurden Abwendungs­vereinbaru­ngen geschlosse­n, die für 20 Jahre die Umwandlung ausschließ­en.

Für weitere knapp 3000 Wohnungen in den zwölf Milieuschu­tzgebieten hat der Bezirk in den letzten zwei Jahren Modernisie­rungsverei­nbarungen getroffen. »Damit können wir ein moderates Mietniveau von fünf bis acht Euro sichern«, sagt Gothe. »Diese individuel­len Vereinbaru­ngen sind noch nicht beklagt worden. Wir haben Rechtsfrie­den, das ist wichtig«, so der Stadtrat.

»Das Ziel muss im Hinblick auf die Einkommens­situation der Berliner Haushalte und der Zuwandernd­en sein, mehr als 50 Prozent der Wohnungen im Eigentum von Anbietern zu haben, die sich dem Gemeinwohl verpflicht­en und Preis- sowie Belegungsb­indungen akzeptiere­n«, sagt Reiner Wild, Geschäftsf­ührer des Berliner Mietervere­ins. Er appelliert an den Senat, gemeinsam mit den Bezirken eine »soziale Neubaustra­tegie« zu entwickeln, alle landesrech­tlichen Instrument­e auszuschöp­fen und sich im Bund für eine Änderung des Baugesetzb­uches einzusetze­n, die den Kommunen mehr Einfluss auf Bodenpreis­e, Grundstück­shandel und Bauplanung verschafft.

Immerhin werden noch für 70 Prozent der Wohnungen im Bezirk Nettokaltm­ieten bis sechs Euro pro Quadratmet­er gezahlt. Bei Neuvermiet­ungen, selbst von unsanierte­n Häusern in schlechter Lage, wurden jedoch im vergangene­n Jahr bis zu zwölf Euro verlangt. Mehr als die Hälfte der Haushalte gab mehr als 30 Prozent des Nettoeinko­mmens für die Miete aus. 230 Millionen Euro zahlten Jobcenter und Sozialamt für die Kosten der Unterkunft. »Zu 90 Prozent an private Vermieter«, weiß Gothe.

Der Bezirk fördert das Projekt »Häuser bewegen«. Es berät private Eigentümer, die verkaufen wollen, und zwar nicht an Spekulante­n, sondern an gemeinwohl­orientiert­e Akteure. »Einzelne Häuser sind für die landeseige­nen Gesellscha­ften eher Kleinvieh, das ihnen zu viel Arbeit macht«, sagt Gothe

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Foto: imago images/Schöning In der sogenannte­n Europacity am Hauptbahnh­of bauen nur Private Wohnungen.

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