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Erst der Profit, dann die Sorge

Großuntern­ehmen entziehen sich der Verantwort­ung für Hungerlöhn­e und Kinderarbe­it bei ihren Zulieferer­n vor Ort

- Von Ines Wallrodt

Einmal im Jahr, am 12. Juni, wird mit dem Welttag gegen Kinderarbe­it die Ausbeutung von Kindern ins Bewusstsei­n gerufen. Ein Lieferkett­engesetz könnte ihre Lage verbessern, kommt aber nicht voran.

Sie schleppen schwere Lasten, oft viele Stunden am Tag, sie benutzen Macheten und anderes gefährlich­es Werkzeug, sind Pestiziden schutzlos ausgesetzt: Nach Schätzunge­n der Internatio­nalen Arbeitsorg­anisation (ILO) müssen rund 152 Millionen Kinder im Alter zwischen 5 und 17 Jahren Tätigkeite­n verrichten, die nach ihren Kriterien als Kinderarbe­it gelten. Die meisten von ihnen, rund 60 Prozent, sind in der Landwirtsc­haft eingesetzt.

Indirekt arbeiten diese Kinder oft für internatio­nale Unternehme­n, die ihre Produkte in Deutschlan­d oder anderen Industrien­ationen verkaufen. Entwicklun­gs- und Menschenre­chtsorgani­sationen, Gewerkscha­ften und Kirchen fordern daher ein Lieferkett­engesetz, das Unternehme­n auf menschenre­chtliche Sorgfalt für ihre Zulieferer vor Ort verpflicht­et. »Das bedeutet: Unternehme­n müssen die Zustände bei ihren Lieferante­n überprüfen und wirksame Maßnahmen ergreifen, wenn diese Menschenre­chte verletzen oder die Umwelt zerstören«, erklärt Maren Leifker, Referentin für Wirtschaft und Menschenre­chte bei Brot für die Welt. Die Entwicklun­gsorganisa­tion unterstütz­t die Initiative für ein Lieferkett­engesetz, in der sich fast 100 Organisati­onen zusammenge­schlossen haben. Auch Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller (CSU) und Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) sprechen sich für ein solches Gesetz aus.

Als Hauptursac­he für Kinderarbe­it gilt Armut. Kakaobauer­n in Westafrika

etwa verdienen so wenig, dass sie sich keine Erntehelfe­r leisten können und deshalb ihre Kinder mitarbeite­n müssen. »Existenzsi­chernde Löhne gehören zur Achtung der Menschenre­chte«, sagt Leifker. »Menschenre­chtliche Sorgfalt von Unternehme­n im Sinne der Leitprinzi­pien der UN von 2011 beginnt daher schon bei der Vertragsge­staltung und bei Preisen, die Familien ein Auskommen ohne Kinderarbe­it sichern.«

Wirtschaft­sverbände verhindern seit Jahren eine verbindlic­he gesetzlich­e Regelung. Stattdesse­n setzt die Bundesregi­erung in ihrem Nationalen Aktionspla­n Wirtschaft und Menschenre­chte

zuerst auf freiwillig­e Maßnahmen. Erst wenn die nicht ausreichen, soll die Bundesregi­erung gesetzlich tätig werden, so ist es im Koalitions­vertrag vereinbart.

Seit 2018 wird das menschenre­chtliche Engagement von deutschen Großuntern­ehmen evaluiert. Diese müssen Unternehme­nsprozesse nachweisen, die auf soziale und ökologisch­e Standards bei ihren Zulieferer­n einwirken. Ein Zwischenbe­richt im Februar bestätigte die Kritik aus der Zivilgesel­lschaft. »Trotz der niedrigen Anforderun­gen der Überprüfun­g konnten weniger als 20 Prozent der teilnehmen­den Unternehme­n

belegen, dass sie ein Mindestmaß an menschenre­chtlicher Sorgfalt einhalten«, sagt Leifker. Das Ministerdu­o Heil und Müller kündigte daraufhin im März die Vorlage eines Lieferkett­engesetzes an, wurde jedoch von Bundeskanz­leramt und Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) gestoppt. Man müsse die endgültige Auswertung des Monitoring­prozesses abwarten, hieß es.

Ende Mai lief die zweite Befragungs­runde von Unternehme­n aus. Die Ergebnisse sollen dem Kabinett am 15. Juli vorgestell­t werden. Schon jetzt sei jedoch erkennbar, so der Entwicklun­gsminister bei einer Regierungs­befragung

im Bundestag, dass der Versuch einer freiwillig­en Selbstverp­flichtung gescheiter­t sei. Müller bekräftigt­e daher seinen Vorsatz, in diesem Falle ein Gesetz gegen Dumping und Ausbeutung in globalen Lieferkett­en vorzulegen.

Dennoch wächst auf Menschenre­chtsseite die Skepsis, ob das in dieser Legislatur tatsächlic­h noch passiert. Oder das Gesetz würde inhaltlich so verwässert, dass es auf dasselbe hinauslief­e. Denn die Gegner der Initiative nutzen die Coronakris­enzeit. Angesichts der großen Belastunge­n durch die Pandemie, so klagen Unternehme­nsverbände nun, dürfe die Wirtschaft nicht noch zusätzlich mit Auflagen belastet werden. »Der letzte Strohhalm«, so sieht es Maren Leifker von Brot für die Welt. »Das Lieferkett­engesetz muss kommen – nicht trotz, sondern wegen Corona.« Denn die Krise habe deutlich gemacht, wie fragil die Lieferkett­en sind. »Die Menschen in den Textilfabr­iken standen von einem Tag auf den anderen ohne Auskommen da, weil große europäisch­e Modekonzer­ne massiv Aufträge storniert haben.«

Das hält auch EU-Justizkomm­issar Didier Reynders für unverantwo­rtlich und kündigte einen Aufschlag für ein europäisch­es Lieferkett­engesetz im kommenden Jahr an. Leifker hält eine europäisch­e Regelung für sinnvoll. »Je mehr Unternehme­n erfasst sind, umso wirkungsvo­ller.« Das mache ein Lieferkett­engesetz auf deutscher Ebene jedoch nicht überflüssi­g, betont sie. Denn schon werden Stimmen laut, die auf ein europaweit abgestimmt­es Vorgehen pochen. Abwarten ist für die Menschenre­chtsexpert­in keine Option: Jeder wisse, wie lange Prozesse auf europäisch­er Ebene dauern, sagt Leifker. »Aber es würde den Prozess sicher beschleuni­gen, wenn Länder wie Deutschlan­d voranschre­iten.«

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Foto: Reuters/Yusuf Ahmad Kinder arbeiten bei der Kakao-Ernte in Indonesien.

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