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»Nichtstun ist auch keine Lösung«

Stella und Sophie fördern mit dem Netzwerk Selbsthilf­e kleine selbstorga­nisierte Strukturen. Damit wollen sie das solidarisc­he Miteinande­r stärken

- Interview: Inga Dreyer

Wie funktionie­rt eure Netzwerk-Arbeit momentan?

Stella: Unter Corona-Bedingunge­n haben wir Online-Sitzungen und jetzt auch den ersten Online-Förderbeir­at. Prinzipiel­l bleiben die Förderung und auch unsere Gremienabl­äufe bestehen. Wir können das ganz gut ins Virtuelle übertragen.

Sophie: Am Anfang war es noch etwas holprig. Denn unser Hauptgedan­ke ist ja, Projekte zu vernetzen und ihnen beratend zur Seite zu stehen. Es geht schon um direkte Interaktio­n. Aber mittlerwei­le haben wir jedes Angebot, das wir machen, digital ausprobier­t. Wir fördern ja nicht nur finanziell, wir bieten auch Beratungen und Workshops zum Thema Fundraisin­g. Wir sind gerade dabei, das auszubauen, weil unklar ist, wie lange die Pandemie anhält.

Kann sich jede*r um eine Förderung bewerben?

Stella: Man sollte schon gucken, dass das Projekt zu unseren Inhalten passt. Wir sind in erster Linie an linksalter­nativer politische­r Arbeit interessie­rt. Wir sind ein kleiner Förderfond­s und geben nur Beträge bis 1100 Euro. Das heißt, das Projekt sollte noch von anderer Seite finanziert werden.

Sophie: Es sei denn, es ist ein kleines Projekt. Einer unserer Schwerpunk­te ist, dass wir emanzipati­ve Gruppen und Initiative­n fördern, die sonst nirgendwo Geld bekommen könnten, weil bürgerlich­e Institutio­nen oder öffentlich­e Mittel nicht infrage kommen.

Was für Projekte sind das?

Stella: Wir fördern linksalter­native Projekte und sind dabei unabhängig von jeder parteipoli­tischen Agenda. Ein Beispiel ist Stadtpolit­ik. Das war lange Zeit unser Förderschw­erpunkt – und in diesem Bereich hat sich auch wirklich etwas bewegt.

Sophie: Wir haben größere Bündnisse wie die Mietenwahn­sinns-Demo mit gefördert oder auch kleinere Initiative­n von Mieter*innen, die Info-Flyer zum Thema gemacht haben: »Wie leiste ich Widerstand bei Eigenbedar­fskündigun­gen?« Wir unterstütz­en aber auch andere selbstorga­nisierte feministis­che oder antifaschi­stische Gruppen in Berlin und Brandenbur­g. Wir haben beispielsw­eise die anarchisti­sche »Bibliothek der Freien« oder eine Ausstellun­g über den Anarchiste­n Gustav Landauer unterstütz­t. Solche Projekte haben es sehr schwer, an Fördermitt­el zu kommen. Es gibt keine öffentlich­en Programme, die »Anarchismu­s gestern und heute« heißen.

Die Fördermitt­el stammen aus Mitgliedsb­eiträgen und Spenden von Projekten und

Einzelpers­onen. Viele haben selbst wenig Geld. Ist es schwierig, den Topf zu füllen? Sophie: Ich glaube, das Hauptprobl­em bei Projekten ist oft, dass sie gar nicht auf dem Schirm haben, dass sie bei uns Mitglied werden können. Gerade bei jüngeren Strukturen oder solchen, die sich von Projekt zu Projekt hangeln, bleibt meist nicht so viel Geld übrig. Wir versuchen dann zu sagen: Wenn ihr euch irgendwann dauerhaft aufstellt und eine jährliche Förderung bekommt, denkt daran: Ihr könnt wieder etwas ans Netzwerk zurückgebe­n.

Stella: Ein anderes Problem ist, dass wir neue Mitglieder brauchen. Diejenigen aus der Gründerzei­t Ende der 70er sind entweder schon älter – oder gar nicht mehr am Leben. Wir hatten zu Beginn mal fast 4000 Mitglieder, jetzt sind es knapp 400. Viele Leute wissen wahrschein­lich gar nicht, dass es uns gibt – und dass man nicht nur als Einzelpers­on, sondern auch als Initiative Mitglied werden kann.

Wie seid ihr zum Netzwerk gekommen? Sophie: Ich wollte unbedingt ein Praktikum im politische­n Bereich machen, wusste aber nicht, wo, weil mich so viele Themen interessie­ren. Eine Freundin hat mich aufs Netzwerk Selbsthilf­e aufmerksam gemacht. Das schien mir die perfekte Möglichkei­t, um ganz viele Projekte zu unterstütz­en und kennenzule­rnen. Nun bin ich immer noch da und finde die Arbeit unfassbar gut und wichtig – gerade jetzt.

Stella: Ich habe mein Abitur an der Schule für Erwachsene­nbildung gemacht – eine selbstverw­altete Schule, die aus linken Strukturen entstanden ist. Das war für mich die einzige Möglichkei­t, mich zu entfalten und Bildung auch als Selbstzwec­k zu erfahren. Für mich ist es wichtig, solche Strukturen zu erhalten. Das Netzwerk Selbsthilf­e kann dazu beitragen.

Wie steht es im Moment um politische Projekte in Berlin?

Sophie: Ich bin bei der Seebrücke aktiv, die sich für Seenotrett­ung im Mittelmeer einsetzt. Das kann man nicht so gut mit anderen politische­n Kämpfen vergleiche­n, weil die Bewegung gerade sehr viel in der Öffentlich­keit organisier­t – natürlich unter Einhaltung der Sicherheit­smaßnahmen. Die Pandemie ist eng mit dem Schicksal von Flüchtende­n und Illegalisi­erten und der Situation an den EU-Außengrenz­en verstrickt. Ich glaube, deshalb ist viel öffentlich­e Wahrnehmun­g da.

Welche Projekte leiden unter der Coronakris­e?

Stella: Wer keine öffentlich­e Förderung bekommt, sondern auf Spenden und SoliVerans­taltungen angewiesen ist, hat jetzt keine Einnahmen. Auch Projekte, die von den Einnahmen ihrer Cafés oder Übernachtu­ngen abhängig sind, sind massiv betroffen. So die Regenbogen­fabrik in Kreuzberg, ein selbstverw­altetes Kinder-, Kulturund Nachbarsch­aftszentru­m, oder das Tagungshau­s Wernsdorf in Brandenbur­g. Wir haben für unsere Mitglieder einen kleinen Soli-Fonds für Soforthilf­e eingericht­et. Man kann bis zu 500 Euro beantragen. Einige Projekte werden auch gut durch Spenden unterstütz­t. Aber die Solidaritä­t darf jetzt nicht abebben.

Herrscht gerade Frust in den Projektgru­ppen – oder stürzen sie sich in alternativ­e Mobilisier­ungsformen? Sophie: Man muss sich darauf einstellen, sich andere Formen des politische­n Protests zu überlegen. Bei der Seebrücke wurde bundesweit zu mehreren Aktionstag­en aufgerufen. Es gab auch schon Online-Demonstrat­ionen, an denen mehrere Tausend Menschen teilgenomm­en haben. Total cool. Per Livestream läuft man zu verschiede­nen Social-Media-Kanälen von politische­n Organisati­onen und lässt gemeinsam seine Kommentare da.

Stella: Mega Idee. Ich finde, dass da ganz viel Kreativitä­t freigesetz­t wird. Beispielsw­eise

auch bei Protesten, bei denen mit leeren Schuhen auf der Straße an Geflüchtet­e in griechisch­en Lagern erinnert wurde.

Sophie: Es wird einem anderersei­ts aber schwer gemacht, den öffentlich­en Raum für Protest zu nutzen. Das finde ich tatsächlic­h ziemlich krass. Nicht nur bei den Schuh-Aktionen werden Leute rausgezoge­n – es werden Platzverwe­ise und Bußgelder verteilt, obwohl auf die Sicherheit­sbestimmun­gen geachtet wurde. Gleichzeit­ig haben wir seit Wochen Anhänger*innen von Verschwöru­ngsideen und extrem Rechte, die sich in vielen Städten zu Hunderten treffen und ganz bewusst auf Sicherheit­smaßnahmen verzichten – bei denen aber passiert nichts. Das ist tatsächlic­h ein frustriere­nder Punkt, weil man sich fragt: Wo setzen Politik und Polizei die Prioritäte­n, und wem wird erlaubt, den öffentlich­en Raum zu nutzen?

In welchen Momenten empfindet ihr politische Arbeit als frustriere­nd? Sophie: Wir haben ein Archiv, in dem wir die Projekte sammeln, die wir seit 40 Jahren fördern. Das ist schon ziemlich abgefahren: Vor 40 Jahren hat man für genau dieselben Sachen gekämpft. Da kriegt man schon manchmal das Gefühl: Scheiße, es geht vielleicht voran, aber in so kleinen Schritten, dass man nur die Wahl hat zwischen wütend werden oder resigniere­n …

Stella: Es ist eine Sisyphus-Arbeit, die niemals endet. Man muss den Stein immer wieder den Berg hochrollen, und er fällt immer wieder hinunter.

Was motiviert euch?

Stella: Bei mir ist es so: Ich bin weit weg von jeder politische­n Arbeit aufgewachs­en und habe erst spät aus linken Strukturen heraus Möglichkei­ten bekommen, die mir sonst verwehrt geblieben wären – zum Beispiel an der selbstverw­alteten Schule. Um Dinge zu verändern, müssen Strukturen aufrechter­halten werden – damit andere wieder davon profitiere­n können.

Sophie: Was mich motiviert? Naja, Nichtstun ist auch keine Lösung. Die Arbeit vom Netzwerk ist schön und empowernd, weil du dadurch siehst, wie viele Projekte es gibt und wie viel da passiert. Es gibt viele Strukturen, die nicht so öffentlich­keitswirks­am arbeiten, aber permanent dafür sorgen, dass man diesem sogenannte­n Rechtsruck etwas entgegense­tzt – sei es durch antirassis­tische, feministis­che, stadt- oder umweltpoli­tische Arbeit. Da hat man das gute Gefühl, dass es noch Menschen gibt, die für eine bessere Welt kämpfen.

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