nd.DerTag

Es geht um jeden Euro

Experten fordern bei einer Anhörung im Bundestags­ausschuss für Arbeit und Soziales Nachbesser­ungen am neuen Entsendege­setz

- Von Jörg Meyer

Die Umsetzung der EU-Entsenderi­chtlinie war Thema im Sozialauss­chuss. Einigkeit bestand nur in einem Punkt: Der Gesetzentw­urf aus dem Bundesarbe­itsministe­rium muss geändert werden.

Es ist eine komplizier­te Materie. Die Umsetzung der EU-Entsenderi­chtlinie in deutsches Recht sorgt für Diskussion­en. Den Gesetzentw­urf des Bundesarbe­itsministe­riums bewerteten in einer öffentlich­en Anhörung des Bundestags­ausschusse­s für Arbeit und Soziales Expert*innen von Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­rverbänden sowie aus der Wissenscha­ft.

Während die Arbeitnehm­er*innenseite kritisiert, dass der Gesetzentw­urf nicht weit genug geht und hinter dem zurückblei­bt, was die EURichtlin­ie von 2018 vorgibt, befürchtet die Arbeitgebe­r*innenseite mehr Bürokratie und eine Schwächung der Tarifauton­omie.

Einer der Hauptstrei­tpunkte ist die Frage, welche Tarifvertr­äge für EUBürger*innen,

die nach Deutschlan­d zum Arbeiten entsendet wurden, hier gelten sollten. Die EU-Richtlinie sieht vor, dass alle allgemeinv­erbindlich­en Tarifvertr­äge auch für ausländisc­he Beschäftig­te gelten. Im deutschen Gesetzentw­urf sind regionale Tarifvertr­äge zunächst ausgenomme­n. Das heißt: Wenn es einen bundesweit­en allgemeinv­erbindlich­en – also für alle Beschäftig­ten einer Branche geltenden – Tarifvertr­ag gibt, gilt der ab sofort für entsandte Beschäftig­te. Wenn der Tarifvertr­ag dagegen nur regional gilt, gilt er für die ausländisc­hen Beschäftig­ten erst, wenn sie länger als 18 Monate in Deutschlan­d arbeiten.

Der DGB, Grüne und Linke kritisiere­n diese Einschränk­ung. Sie untergräbt ihrer Ansicht nach das Prinzip »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort«. Die im Ausschuss am Montag angehörten Expert*innen waren naturgemäß nicht einer Meinung. Der Vertreter der Bundesvere­inigung Deutscher Arbeitgebe­rverbände (BDA), Roland Wolf, sagte, die Umsetzung der Richtlinie für alle, also die regional geltenden Tarifvertr­äge,

wäre ein Bruch mit dem in Deutschlan­d bestehende­n Tarifvertr­agssystem und ein »schwerer Eingriff« in die Tarifauton­omie. Die sieht vor, dass Unternehme­n oder ihre Verbände und Beschäftig­te beziehungs­weise ihre Gewerkscha­ften ihre Vertragsbe­ziehungen ohne staatliche­n Eingriff frei verhandeln können.

Gewerkscha­ften und in der Anhörung befragten Arbeitsrec­htler lassen diese Kritik nicht gelten. Antonius Allgaier, der für den DGB an der Anhörung teilnahm, verwies auf die in der Bauwirtsch­aft geltenden regionalen Tarifvertr­äge. Diese würden gut funktionie­ren. Es gehe darum, das deutsche Tarifvertr­agssystem auch für ausländisc­he Beschäftig­te »gangbar« zu machen. Der Gesetzentw­urf der Bundesregi­erung müsse an der Stelle deutlich nachgebess­ert werden.

Ähnlich sieht das Nadine Absenger, Leiterin der Abteilung Recht beim DGB-Vorstand. Der Gesetzentw­urf setze die Richtlinie nicht ausreichen­d um. Die Arbeitnehm­erentsendu­ng sei ein hochprekär­er Bereich. Deshalb brauche es einen schärferen Schutz der Beschäftig­ten.

Die Frage, welche Tarifvertr­äge gelten sollen, ist nur eine Kritik, die am Gesetzentw­urf aus dem Haus von Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) laut wurde. Die mangelhaft­e Umsetzung der EU-Richtlinie wird auch an anderer Stelle kritisiert.

Was wirkt wie ein Streit ums Tarifrecht unter Jurist*innen, von denen zwei zusammen sprichwört­lich drei Meinungen haben, hat einen durchaus politische­n Hintergrun­d.

Rund zwei Millionen entsendete Beschäftig­te arbeiten in den EU-Mitgliedss­taaten. Diese Zahl ist zwischen 2010 und 2015 um 41 Prozent gestiegen. Die Arbeitsbed­ingungen sind oft unterirdis­ch, und wo keine Tarifvertr­äge gelten und das auch nicht kontrollie­rt wird, sind schlechte Arbeitsbed­ingungen und Lohndumpin­g – unter dem auch Unternehme­n leiden – an der Tagesordnu­ng. Darum muss der Gesetzgebe­r eingreifen.

Den Kritiker*innen scheint es kaum verständli­ch, warum die Bundesregi­erung hinter der EU-Richtlinie zurückblei­bt. Arbeitsrec­htler Florian Rödel von der Freien Universitä­t Berlin brachte es auf den Punkt: Es sollten alle Schritte unternomme­n werden, um die internatio­nale Lohnkonkur­renz abzuschwäc­hen, »und da zählt jeder Euro«. Denn die Angleichun­g der sozialen, Lohn- und Arbeitsbed­ingungen sei einer der Grundpfeil­er der europäisch­en Integratio­n.

Den Gesetzentw­urf zur Änderung des Arbeitnehm­erentsende­gesetzes wird der Bundestag am Donnerstag in zweiter und dritter Lesung beraten.

»Die Arbeitnehm­erentsendu­ng ist ein hochprekär­er Bereich. Deshalb braucht es einen schärferen Schutz der Beschäftig­ten.«

Nadine Absenger, Leiterin der Abteilung Recht beim DGB-Vorstand

Newspapers in German

Newspapers from Germany