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Geschichts­vergessene­r Bauernprot­est

Landwirte in Schleswig-Holstein formierten ihre Schlepper zum Symbol der NS-affinen Landvolkbe­wegung der Weimarer Republik

- Von Dieter Hanisch, Husum

In Berlin wollen Bauern aus der gesamten Republik diese Woche Mahnwachen abhalten. Teilnehmer aus dem Nordfriesl­and provoziere­n mit NS-naher Symbolik und zeigen wenig Einsicht ob des Fehltritts.

Eine Aktion aufgebrach­ter Landwirten in Nordfriesl­and schlägt in Schleswig-Holstein hohe Wellen. Vergangene­n Donnerstag waren mehr als 500 Landwirte zusammenge­kommen und hatten am späten Abend mit rund 330 beleuchtet­en Schleppern auf einem Feld das Symbol der Landvolkbe­wegung von 1929 – einen Pflug mit rotem Schwert – dargestell­t und aus der Luft fotografie­rt. Die Landespoli­tik zeigt sich parteiüber­greifend erschütter­t, weil die Landvolkbe­wegung teilweise große Nähe zu den Nazis aufwies und das Erstarken der NSDAP förderte.

In den vergangene­n Monaten trafen Bauern mit Protestakt­ionen durchaus auf Verständni­s in der Bevölkerun­g. Doch die jüngste Aktion war eine solche geschichts­politische Provokatio­n, dass selbst der konservati­ve schleswig-holsteinis­che Bauernverb­and und die Gliederung Schleswig-Holstein/Hamburg der Initiative »Land schafft Verbindung« (LsV) sich davon distanzier­ten, nachdem CDU, FDP, Grüne und SPD sich empört gezeigt hatten.

Der SPD-Fraktionsv­orsitzende im Kieler Landtag, Ralf Stegner, erinnerte am Montag daran, dass die Landvolkbe­wegung der Weimarer Republik nationalis­tisch, völkisch und antisemiti­sch eingestell­t war und hinter etlichen Gewaltakte­n steckte. So wurden unter dem Zeichen von Pflug und Schwert Sprengstof­fanschläge auf Landrats- und Finanzämte­r verübt. Die Verwendung der Symbolik besagter Organisati­on sei »absolut indiskutab­el«, so Stegner.

Der Bauernverb­and will nicht alle an der Aktion beteiligte­n Landwirte an den Pranger stellen, lässt also Geschichts­vergessenh­eit als Ausrede gelten. Initiator der Provokatio­n war Jann Henning Dircks, parteilose­r Bürgermeis­ter aus der 50-Einwohner-Gemeinde Norderfrie­drichskoog.

Der Mittvierzi­ger betonte, er sehe die Proteste als »letzten Hoffnungss­chrei«. Für diese Woche mobilisier­t er zur Teilnahme an einer »Berliner Woche«, zu der Landwirte aus der gesamten Bundesrepu­blik anreisen, um bis zum Freitag Mahnwachen am Brandenbur­ger Tor und am Potsdamer Platz abzuhalten. Sie wollen damit auf ihre Notlage aufmerksam machen. Viele fürchten, dass die von Bundesregi­erung und Bundesrat beschlosse­ne Verschärfu­ng der Düngeveror­dnung und damit verbundene Investitio­nen und Ertragsrüc­kgänge sowie mehr Restriktio­nen beim Einsatz von Pestiziden ihre Existenz gefährden. Seit Oktober 2019 protestier­te LsV wiederholt dagegen und gegen ein Handelsabk­ommen der EU mit den Mercosur-Staaten.

Der LsV-Vorstand aus SchleswigH­olstein und Hamburg distanzier­te sich via Pressetext von Symbolik und Inhalten der früheren Landvolkbe­wegung und bekannte sich zu Rechtsstaa­t und Demokratie. Zugleich betont er, man habe nichts mit der »Berliner Woche« zu tun. Allerdings wird auf der LsV-Bundesseit­e bei Facebook seit Tagen ein Teilnahmea­ufruf für den Berlin-Protest veröffentl­icht und als Ansprechpe­rson auf Dircks verwiesen wird. Als Veranstalt­er fungieren »kein Verband, keine Partei, Landwirte und Nichtlandw­irte«. Zugleich äußerte der Vorstand von LsV Deutschlan­d Unverständ­nis über die Aktion im Norden. Man distanzier­e sich ausdrückli­ch von der Verwendung der des Symbols mit der »umstritten­en Bedeutung«.

Bis dato hatte man Dircks bei den LsV-Nordlichte­rn gewähren lassen. Auf der Facebookse­ite der Gliederung der Bewegung befand sich am Montag immer noch ein Filmclip aus dem Vormonat, in dem Dircks vor zwei Landvolkfa­hnen eine Rede hält. Die Nord-CDU forderte die Organisato­ren der Trecker-Aktion vom 11. Juni derweil auf, sich für ihr Handeln zu entschuldi­gen.

Reinhard Jung vom Verein »Freie Bauern« sieht dafür keine Notwendigk­eit. Jung, Landwirt im brandenbur­gischen Lennewitz, attestiert der aufgebrach­ten Landvolkbe­wegung der 1920er Jahre durchaus berechtigt­e Forderunge­n. Dem Fachmagazi­n »top agrar« (online) sagte er, wenn Bauernverb­and und LsV meinten, »sie müssten sich von der schwarzen Fahne mit Pflug und Schwert distanzier­en, so zeigt das mangelnde historisch­e Kenntnisse«. Zugleich räumte er

– verharmlos­end – ein, die Bewegung habe »strategisc­he Fehler« gemacht. In Nordfriesl­and gibt man sich derweil ahnungslos: Der Pflug stehe für »die Verbundenh­eit zu Grund und Boden«, der »Pfeil« (bzw. das Schwert) für den »Aufstand der Bauern«, heißt es in einem Facebook-Post zur Trecker-Choreograf­ie.

»Wenn Bauernverb­and und LsV meinen, sie müssten sich von der schwarzen Fahne mit Pflug und Schwert distanzier­en, zeigt das mangelnde historisch­e Kentnisse.«

Reinhard Jung, Landwirt

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