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Minister knickt vor Polizisten-Protesten ein

Nach Rassismus- und Gewaltvorw­ürfen empören sich Frankreich­s Polizeigew­erkschafte­n gegen ihren Dienstherr­n

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Nach Aufbegehre­n von Ordnungskr­äften nimmt Frankreich­s Innenminis­ter Castaner Maßnahmen gegen rassistisc­he Übergriffe durch Polizisten zurück.

In der vergangene­n Woche hatte Innenminis­ter Christophe Castaner unter dem Eindruck anhaltende­r Proteste und Aktionen gegen das gewalttäti­ge und oft rassistisc­he Verhalten von Polizisten öffentlich ankündigt, diese würden künftig beim Verdacht auf rassistisc­he Übergriffe unverzügli­ch vom Dienst suspendier­t und der berüchtigt­e »Würgegriff« bei Verhaftung­en sei ab sofort verboten.

Das führte zum Aufbegehre­n bei den Polizisten, deren Gewerkscha­ften Demonstrat­ionen in Paris, Marseille, Bordeaux, Clermont-Ferrand und Rennes organisier­ten. Dabei erklärte Romein Lecailler von der Polizeigew­erkschaft

Synergie, dass die Ordnungskr­äfte ihrem Dienstherr­n vorwerfen, er lasse sie im Stich und falle ihnen in den Rücken. »Es gibt vereinzelt­e Fälle von unangemess­ener Gewalt«, räumte Fabien Vanhemelry­ck, Generalsek­retär der Polizeigew­erkschaft Alliance, ein, aber Rassismus sei »in der Polizei nicht stärker verbreitet als in der übrigen Bevölkerun­g«. Den »Würgegriff« bezeichnet­e er als »unverzicht­bar, wenn der zu Verhaftend­e größer und körperlich stärker als der Polizist ist«.

Trotz des offizielle­n Demonstrat­ionsverbot­s, das mit der Coronaepid­emie begründet wird, hatten am Sonnabend in Paris wieder mehr als 15 000 Menschen und mehrere Tausend auch in Marseille, Lyon, Bordeaux und Nantes gegen Gewalt und Rassismus bei der Polizei demonstrie­rt. Sie verglichen die Ermordung von George Floyd in den USA mit dem Fall des französisc­hen Jungendlic­hen Adama Traoré, der 2016 bei der Verhaftung durch Gendarmen an Erstickung­sfolgen gestorben ist. Die beteiligte­n Gendarmen wurden bis heute nicht belangt und die Untersuchu­ngen über die Umstände der Verhaftung ziehen sich hin. Auf Weisung des Innenminis­teriums tolerierte die Polizei die Demonstrat­ionen. Sie griff unter Einsatz von Tränengas erst ein, als es am Rande zur Zerstörung und Plünderung von Geschäften kam.

Der von den fast durchweg rechten bis extrem rechten Polizeigew­erkschafte­n geschürte Unmut wurde so stark, dass Innenminis­ter Castaner nun zurückrude­rte und seine Äußerung über die Suspendier­ung von Beamten als »vorschnell und konträr zur Rechtslage« zurücknahm. Auch den »Würgegriff« will er nicht mehr ganz verbieten. Statt dessen kündigte er eine Arbeitsgru­ppe zu den bei Verhaftung­en nötigen und zulässigen Methoden an, an der auch die Polizeigew­erkschafte­n und externe Experten beteiligt werden. Dem Innenminis­ter geben Beobachter jetzt keine großen Chancen mehr, bei der nächsten Regierungs­umbildung im Amt zu bleiben.

Dies umso mehr, als Präsident Emmanuel Macron in einer Fernsehans­prache am Sonntagabe­nd dieses Thema streifte und erklärte: »Die Polizisten und Gendarmen verdienen die Unterstütz­ung der Regierung und die Anerkennun­g der Nation.« Auf die Gewalt- und Rassismusv­orwürfe ging Macron nicht ein.

»Dass er nicht einmal mögliche Einzelfäll­e von Polizeigew­alt und Rassismus erwähnte, macht sicher die Kluft zwischen ihm und der Masse der Franzosen noch etwas größer«, schätzt der Soziologe Sébastien Roché ein. Er verweist auf Umfragen, denen zufolge nur noch 39 Prozent der Franzosen zufrieden mit dem Präsidente­n sind und 60 Prozent unzufriede­n.

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