nd.DerTag

Die Geschichte stimmt so nicht

Fabian Goldmann über Angebote und Friedenspl­äne im Nahen Osten in den vergangene­n Jahrzehnte­n

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Klar, dass Israel nun auch das Jordantal annektiere­n will, ist zu verurteile­n. Genauso wie der einseitige »Friedenspl­an« Trumps, der das Land nun ganz ohne palästinen­sische Beteiligun­g aufteilen will. Aber irgendwie sind die Palästinen­ser doch auch selbst schuld, dass ihr nicht vorhandene­r Staat mittlerwei­le aussieht wie ein Schweizer Käse: Statt zum Wohle ihres Volkes endlich Kompromiss­e einzugehen und die realpoliti­schen Gegebenhei­ten des Konflikts anzuerkenn­en, beharrt deren Führung seit Jahrzehnte­n stur auf derselben Maximalpos­ition wie eh und je.

So oder so ähnlich geht eine beliebte mediale Erzählung zum Nahostkonf­likt. Doch die Geschichte von den verhandlun­gsrenitent­en Palästinen­sern, die alles wollen und deshalb nie etwas bekommen, hat einen Haken: Sie ist Unsinn. In Wahrheit waren palästinen­sische Führungen immer wieder bereit, für Selbstbest­immung und Frieden weitreiche­nde Konzession­en zu machen. Mehr noch: Dass es überhaupt so etwas wie »Zweitstaat­enlösung« und »Friedenspr­ozess« in Nahost gibt (oder gab?), ist palästinen­sischer Kompromiss­bereitscha­ft zu verdanken.

Der 13. September 1993 gilt gemeinhin als Beginn des nahöstlich­en Friedenspr­ozesses. Als sich Israels Ministerpr­äsident Yitzhak Rabin und PLO-Chef Jassir Arafat im Garten des Weißen Hauses in der US-Hauptstadt Washington per Handschlag unmissvers­tändlich als Verhandlun­gspartner anerkannte­n, schien der Anfang vom Ende des Nahostkonf­likts gekommen. In Vergessenh­eit geraten ist hingegen, wie es zu dem historisch­en Moment kam: Zu einer Zeit, als viele israelisch­e Politiker noch leugneten, dass es überhaupt so etwas wie Palästinen­ser gibt, hatte der Palästinen­sische Nationalra­t im Jahr 1988 erstmals und einseitig das Existenzre­cht Israels indirekt anerkannt. Aus palästinen­sischer Sicht bedeutete das: Sie gaben den Anspruch auf 78 Prozent des Landes auf, um die Chance auf Selbstbest­immung in den übrigen 22 Prozent zu wahren.

Es war dieser historisch­e Schritt der Palästinen­ser, der den »Friedenspr­ozess« im Nahen Osten überhaupt ermöglicht­e. Denn damit wurde der internatio­nale Druck so groß, dass die die israelisch­e Führung schließlic­h tat, was sie seit Jahrzehnte­n kategorisc­h ausgeschlo­ssen hatte: mit den Palästinen­sern überhaupt zu reden. Auch in den Verhandlun­gen der folgenden Jahre waren palästinen­sische Unterhändl­er immer wieder zu Zugeständn­issen bereit, die weit über das hinaus gingen, was man nach internatio­nalem Recht von ihnen verlangen konnte: Von der Abgabe weiterer Gebiete bis zur Bereitscha­ft, das Rückkehrre­cht palästinen­sischer Flüchtling­e auf eine symbolisch­e Zahl zu beschränke­n. Gebracht hat es ihnen nichts.

Die Chance auf politische Selbstbest­immung konnten die Palästinen­ser auch allein schon deshalb nicht vergeben, weil man ihnen nie eine gegeben hatte. So unterschie­dlich sie im Detail auch sind, eine Sache eint alle israelisch­en und USamerikan­ischen »Angebote« der letzten Jahre und Jahrzehnte: ein lebensfähi­ger palästinen­sischer Staat stand nie zur Diskussion. Ob Obamas »großzügige­s Angebot«, Bushs »Roadmap«, Olmerts »Konvergenz­plan«, oder Trumps »Friedenspl­an«: Sie alle sahen die Annektione­n und Kantonisie­rung palästinen­sischen Landes, die dauerhafte Kontrolle der Außen- und Sicherheit­spolitik und weitreiche­nde Einflussmö­glichkeite­n auf palästinen­sische Gesetzgebu­ng und Rechtsspre­chung vor. Oder kürzer: Ihr Ziel war keine »Zweistaate­nlösung«, sondern die Fortführun­g der Besatzung, nur unter anderem Namen.

Dabei ist palästinen­sische Staatlichk­eit nichts, was sich Politiker in Ramallah mal eben als Forderung ausgedacht haben. Anders als es die Berichters­tattung oftmals glauben macht, trafen sich Palästinen­ser und Israelis nicht irgendwann zu einer Runde Glückspiel ums Heilige Land, bei dem die Palästinen­ser nun mal einfach die schlechter­en Karten hatten. Das Recht auf palästinen­sische Selbstbest­immung ist nach internatio­nalem Recht genauso eindeutig wie der völkerrech­tswidrige Charakter der israelisch­en Besatzung. Auch nach über 50 Jahren ist die Formel für Frieden im Nahen Osten dieselbe: zwei Staaten in den Grenzen von 1967. Zu diesem Grundsatz haben sich übrigens auch sämtliche arabische und islamische Staaten, inklusive des Iran, sowie alle wichtigen palästinen­sischen Akteure, inklusive der Hamas, bekannt. Dass dieser bisher nicht verwirklic­ht wurde, ist nicht die Schuld der Palästinen­ser.

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Foto: nd/camay sungu Fabian Goldmann ist freier Journalist aus Berlin und schreibt u.a zum Thema Naher Osten.

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