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Acht Wochen bis zum Rausschmis­s

In Neukölln regt sich Protest gegen die bevorstehe­nde Zwangsräum­ung der Kollektivk­neipe »Syndikat«

- Von Darius Ossami

Der Corona-Lockdown brachte eine Atempause für viele von Zwangsräum­ung bedrohte Mieter*innen und Projekte der Hauptstadt. Jetzt nimmt die Verdrängun­g wieder an Fahrt auf, auch die des »Syndikats«.

Es wird ernst: Die Neuköllner Kiezkneipe »Syndikat« hat eine Räumungsve­rfügung für den 7. August erhalten. Es ist bereits der zweite Räumungste­rmin, nachdem der erste vom 17. April wegen der Corona-Pandemie kurzfristi­g abgesagt wurde. Die Nachricht komme nicht überrasche­nd, sagt Christian, Kollektivi­st vom »Syndikat«, sei aber dennoch »ätzend, traurig und macht wütend«. Gerade erst habe man zumindest den Außenberei­ch wieder öffnen können.

Die linke Kiezkneipe mit einer breiten Anhängersc­haft besteht seit 35 Jahren. Im September 2018 hatte die luxemburgi­sche Briefkaste­nfirma Firman Properties der Kneipe den Mietvertra­g gekündigt, doch das Kollektiv verweigert­e die Schlüsselü­bergabe. Im November 2019 hatte das Berliner Oberlandes­gericht dann einen Räumungsti­tel erlassen.

Lange war nicht bekannt, wer hinter dem Kauf und der Räumungskl­age steckt; das umtriebige »Syndikat«-Kollektiv hat dies schließlic­h selbst recherchie­rt. Demnach ist Firman Properties eine von unzähligen Briefkaste­nfirmen in Luxemburg, die Pears Global Real Estate angehören, einem Unternehme­n der britischen Milliardär­sfamilie Pears. Das Unternehme­n besitzt mutmaßlich über 3000 Wohnungen allein in Berlin.

»Vorher kannte die keiner«, ist Christian ein bisschen stolz. Erst Mitte April war bekannt geworden, dass Pears Global nicht, wie geplant, mehr als 160 Wohnungen in einem Häuserbloc­k an der Leine- und Oderstraße kaufen kann, da der Bezirk Neukölln sein Vorkaufsre­cht ausgeübt hat. »Ich sehe das als Erfolg unserer Kampagne, dass wir ihnen die Tour versauen konnten«, sagt Christian.

So etwas ist beim »Syndikat« nicht mehr möglich, juristisch sind alle Mittel ausgeschöp­ft. Pears Global habe jeden Dialog verweigert und führe sich auf wie ein »mittelalte­rlicher Gutsherr«, heißt es in einem Redebeitra­g auf einer Kundgebung, an der am Sonntag 200 Menschen teilnahmen. Von der Politik zeigt man sich enttäuscht: Die Neuköllner Bezirksver­ordnetenve­rsammlung habe ihre Solidaritä­t erklärt, aber ansonsten nichts weiter unternomme­n. Auch der Senat habe sich nicht für das Schicksal der linken Kneipe interessie­rt.

Das Kollektiv will in den kommenden Wochen versuchen, den Protest gegen die drohende Zwangsräum­ung zu organisier­en – »den Termin bekannt geben, mobilisier­en und schauen, was passiert«, wie es Christian lakonisch ausdrückt. Jeden Sonntag um 16 Uhr soll es ein offenes Treffen geben. Auch am kommenden Samstag wird das »Syndikat« anlässlich des Mietenwahn­sinns-Aktionstag­es aktiv sein, gemeinsam mit weiteren von Räumung bedrohten Projekten wie den Jugendzent­ren Potse und Drugstore, der Kneipe »Meuterei« und dem Hausprojek­t Liebig 34.

Der geplante Räumungste­rmin ist der letzte Ferientag in Berlin. Am Tag darauf hätte eigentlich das traditione­lle Weisestraß­enfest stattfinde­n sollen. Dieses wurde wegen Corona abgesagt, die Räumung hingegen soll stattfinde­n – denn die »Maschineri­e der Verdrängun­g muss laufen wie zuvor«, kritisiert ein Redner. Er befürchtet ein ähnliches Szenario wie bei der Räumung des Kiezladens Friedel 54 vor drei Jahren, zumal derselbe Gerichtsvo­llzieher zuständig ist.

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