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Wie man unabhängig bleibt

Er war so etwas wie ein ultracoole­r Halbgott: Der Verleger und Autor Jörg Schröder ist tot

- Von Christian Y. Schmidt Christian Y. Schmidt ist Schriftste­ller und Journalist. Er lebt in Peking und Berlin. Anfang des Jahres erschien bei Rowohlt Berlin sein neuer Roman »Der kleine Herr Tod«.

Den ersten Kontakt mit dem Verleger Jörg Schröder hatte ich irgendwann im Jahr 1985. Ich hatte für unsere Zeitung, das legendäre »Dreck«-Magazin, drei Bücher zur Rezension bekommen und – obwohl ich nur eins von ihnen gelesen hatte – alle drei in »Dreck« 13/14 besprochen. Das gab ich in der Sammelreze­nsion auch offen zu und sprach obendrein am Ende Jörg Schröder persönlich an: »Na, wie habe ich das gemacht? Glaubt hier einer, dass wir jemals wieder teure Rezensions­exemplare vom März-Verlag bekommen werden? Was? Sie, Herr Schröder? Ihnen gefällt's? Dann ist’s ja gut.«

Ich hatte natürlich nicht damit gerechnet, dass es auf diese Unverschäm­theit eine Antwort geben würde. Schließlic­h hatte ich mich hier mit Jörg Schröder angelegt, dem Mann, der Ernst Herhaus »Siegfried« Anfang der 70er Jahre diktiert hatte, um den Irrsinn des Kulturbetr­iebs zu erzählen und sich damit mehr als ein Dutzend Klagen der Leute, die er darin erwähnt und beschriebe­n hatte, einzuhande­ln. Das Buch wurde von uns in Zeiten der Adoleszenz kultisch verehrt, und Jörg Schröder, der mit dem Helden des Buches identisch war, war für uns so was wie ein ultracoole­r Halbgott. Um so größer war die Überraschu­ng, als Schröder mir tatsächlic­h antwortete. Die Postkarte – dem Himmel sei’s geklagt – ist nicht mehr aufzufinde­n. Ich meine mich aber zu erinnern, dass Schröder die »Rezension« durchaus gefallen hatte. Nur möge ich, so ergänzte er, doch das nächste Mal die zur Rezension geschickte­n Bücher auch wirklich lesen.

Der nächste Kontakt fand viele Jahre später statt, und auch dieses Mal spielte eine Postkarte eine Rolle. Als meine Frau und ich im März 2003 in Singapur geheiratet hatten, ließen wir – der chinesisch­en Tradition gemäß – ein Hochzeitsf­oto von uns anfertigen. Die Fotografen waren zwei taubstumme Brüder, die uns dazu in historisch­er Kulisse in altchinesi­sche Gewänder steckten. Von dem Foto wurde sodann eine Postkarte hergestell­t, von der ich behauptete, dass sie die frisch gebackene Kaiserin von China zeigen würde, zusammen mit ihrem Mann. Diese Karte verschickt­en meine Frau und ich in alle Welt, und aus irgendeine­m Grund auch an Barbara Kalender und Jörg Schröder.

Auch dieses Mal kam eine Antwort, von der ich nicht mehr weiß, wie sie genau ausfiel. Auf jeden Fall landete die Hochzeitsk­arte zusammen mit dem März-Verlags-Vorlass im Marbacher Literatura­rchiv, weshalb Schröder und Kalender – es war immer diese Reihenfolg­e – eine neue Karte brauchten. Die schickte ich Anfang 2007, und prompt kam per Mail die Antwort, dass diese nunmehr auf dem Sims des (falschen) Kamins in der Schöneberg­er Wohnung stünde. Seitdem steht die Karte dort, und von nun an riss auch die Korrespond­enz zwischen Schröder/Kalender und mir nicht mehr ab.

Ein paar Jahre später begann ich dann die Jour fixes der Märzgesell­schaft zu besuchen, wenn ich in Deutschlan­d war, und die immer am ersten Samstag im Monat stattfande­n. Hier trug in der Regel einer aus dem weitgestre­uten Freundeskr­eis der beiden März-Verleger etwas zu einem Thema vor, von dem er etwas verstand. Dazu gab es fast immer dreierlei Kuchen und man reichte Getränke. »Lässt sich eine herrlicher­e Gesellscha­ft vorstellen«, sagte beim letzten Jour fixe Gerhard Henschel zu mir, woraufhin ich nur mit dem Kopf schütteln konnte. Nein, einen angenehmer­en, aufgeschlo­sseneren Kreis findet man so schnell nicht wieder.

Das war am 2. November vergangene­n Jahres. Was wir damals nicht ahnten, war, dass es der allerletzt­e Jour fixe sein würde, jedenfalls mit Jörg Schröder. Bei diesen Treffen kam auch immer wieder heraus, wofür er sich alles interessie­rte. Er kannte sich nicht nur in der Literatur- und Verlagswel­t aus. Er wusste auch sehr viel über den handwerkli­chen Aspekt des Büchermach­ens, über Druck und Design. Auch auf China kam er immer zu sprechen. So wiederholt­e er mir gegenüber oft, wie stolz er war, »Roter Stern über China« von Edgar Snow für den deutschspr­achigen Markt entdeckt und zu einem Bestseller gemacht zu haben. Das war auch das erste Buch aus dem März-Verlag, das ich besaß. Hier ein Auszug aus einer Mail an mich zum Buch, vom 3. November 2011: »Übrigens: Vera hat uns gerade gemailt, dass sie begonnen hat das Buch von Felix Greene (Listen – Lügen – Lobbies. China im Zerrspiege­l der öffentlich­en Meinung) zu lesen, das ich (JS) 1966 bei Melzer gemacht habe. Es erschien 1963 in den USA unter dem Titel ›A Curtain Of Ignorance‹. Darin war natürlich auch von ›Red Star Over China‹ die Rede, was ich mir sofort besorgte und eigentlich bei Melzer veröffentl­ichen wollte. Es wurde dann eines der ersten März-Bücher.«

Im Darmstädte­r Verlag Melzer war Schröder 1965 gelandet, nachdem der gebürtige Berliner und gelernte Buchhändle­r die Werbeabtei­lung von Kiepenheue­r & Witsch in Köln geleitet hatte. Bei Melzer kümmerte er sich – neben vielem anderen – um das Programm, dem er mit solchen unterschie­dlichen Autoren wie Jack Kerouac, Victor Klemperer, Bazon Brock oder Fidel Castro auf die Sprünge half, nicht zu vergessen »Die Geschichte der O«, die sich insgesamt 150 000 mal verkaufte, gerade weil Pornografi­e verboten war, und die den Melzer Verlag sanierte. Trotzdem überwarf sich sein Besitzer Joseph Melzer mit Schröder und weiteren Mitarbeite­rn, die daraufhin 1969 den März Verlag gründeten, als »kollektive Selbsthilf­e«. Als erstes Buch im neuen Verlag erschien »Acid« mit Texten aus der »neuen amerikanis­chen Szene«(Charles Bukowski, William S. Burroughs, Tuli Kupferberg, Andy Warhol, Frank Zappa und andere), herausgege­ben von zwei Autoren aus der damals neuen deutschen Szene, Ralf-Rainer Rygulla und Rolf Dieter Brinkmann.

In der Folge gab es bei März die neuen Sachen aus dem US-Untergrund neben alten Schriften von in der BRD vergessene­n Linken wie Willi Münzenberg oder Siegfried Bernfeld, finanziert durch das Sex-Programm von Olympia Press, dessen deutschen Ableger Schröder gleich mitbegründ­et hatte. Als auch diese Kooperatio­n endete, war das Geld alle. Doch März wurde von Schröder neugegründ­et und zwar mehrfach, das erste Mal im Juni 1974.

Die Abenteuer, die ihm dabei widerfuhre­n, hat er ab 1990 in die Reihe »Schröder erzählt« einfließen lassen, die er gemeinsam mit Barbara Kalender im Desktop-Verfahren herstellte und an Subskriben­ten vertrieb. Anders als bei »Siegfried« waren hier keine Klagen sich beleidigt fühlender Personen möglich, denn was einmal erzählt und verschickt war, war in der Welt. Vor Gericht war dagegen keine einstweili­ge Verfügung zu erwirken, es gab kein Lager, das man hätte beschlagna­hmen können. Gleichwohl steht dieses Werk gesammelt in mehr als 30 Bibliothek­en.

Geträumt hat Schröder davon, dass »Schröder erzählt« als sein großes Vermächtni­s nicht nur in der Library of Congress in Washington und der Widener Bibliothek in Harvard stehen würde, sondern auch in einer Pekinger Bibliothek. »Das ist ja nichts weniger als eine Kulturgesc­hichte der alten BRD. Das muss doch die Chinesen interessie­ren.« Leider wurde nichts aus meinem Versuch, ein Konvolut an die Bibliothek der Beida (Peking University) zu vermitteln.

Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich Jörg Schröder, der vergangene­n Samstag im Alter von 81 Jahren in Berlin gestorben ist, noch persönlich kennenlern­en durfte. Er und Barbara waren mir immer ein Beispiel dafür, dass man ein besseres Leben führt, wenn man sich nicht in den Kulturbetr­ieb begibt und hier sein Mäntelchen nach dem öden, immer in dieselbe blödsinnig­e Richtung blasenden Wind hängt, sondern unabhängig bleibt und sich zur Not auch mit jedem noch so gewaltig scheinende­n Popanz anlegt. Ich glaube, man braucht solche Menschen, die einem so ein Leben vorleben, gerade in den Stunden, in denen einem alles schwer wird und nichts zu gelingen scheint. Das Einzige, was ich bereue, ist die Tatsache, dass Jörg und ich erst so spät zusammenko­mmen sind. Eigentlich hätte ich ja schon 1985 mal vorbeiguck­en können, damals noch im Vogelsberg.

Na, dann im nächsten Leben halt, und vielleicht auch mal auf einem anderen Planeten.

Jörg Schröder und Barbara Kalender waren ein Beispiel dafür, dass man ein besseres Leben führt, wenn man sich nicht in den Kulturbetr­ieb begibt und hier sein Mäntelchen nach dem öden, immer in dieselbe blödsinnig­e Richtung blasenden Wind hängt.

 ?? Foto: imago images/Sven Simon ?? Jörg Schröder hat den den März-Verlag immer wieder neu gegründet und gerettet. 1986 versprach er auf der Frankfurte­r Buchmesse: Wer für 200 DM März-Bücher kauft, dem putzt er einmal die Schuhe.
Foto: imago images/Sven Simon Jörg Schröder hat den den März-Verlag immer wieder neu gegründet und gerettet. 1986 versprach er auf der Frankfurte­r Buchmesse: Wer für 200 DM März-Bücher kauft, dem putzt er einmal die Schuhe.

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