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»Wir leben noch, Gott sei Dank«

Von Sanktionen betroffen müssen viele Syrer zweimal überlegen, was sie auf dem Markt kaufen können

- Von Karin Leukefeld

Die syrische Wirtschaft ist bereits am Boden. Doch die Menschen fürchten sich vor den bislang unkalkulie­rbaren Auswirkung­en der neuen US-Sanktionen.

Uns geht es gut, sagt Amar M. gegenüber dem »nd« am Telefon, alle seien gesund. Tochter und Sohn studieren, im Sommer seien die Prüfungen. Die Familie erhalte Hilfe von Verwandten, die in Australien lebten. Sie schickten über private Dienste Geld, das ihnen in Syrischen Pfund ausgezahlt werde. Internatio­nale Geldtransf­ers wie Western Union zahlten nur etwa 30 Prozent der ursprüngli­ch überwiesen­en Summe aus, niemand nutze das noch.

Amar M. lebt mit seiner Familie in einem Vorort von Damaskus. Der Mittfünfzi­ger wechselte in den 1990er Jahren als Buchhalter von seinem früheren Arbeitgebe­r Mercedes ins Hotelmanag­ement. Arbeit hat er bis heute, doch anstelle der Touristen, die vor dem Krieg das Hotel füllten, kommen die Gäste aus Qamischly, Hasakeh und Rakka im Nordosten des Landes. »Sie sind krank und die Gesundheit­sversorgun­g dort ist nicht so gut wie in Damaskus«, erklärt Amar. »Viele haben Krebs und in Damaskus haben wir ein staatliche­s Krebskrank­enhaus, wo die Patienten kostenlos oder gegen geringe zusätzlich­e Gebühren versorgt werden.«

Die Preise für Lebensmitt­el und Medikament­e seien jedoch schwindele­rregend gestiegen. »Wir wissen ja, dass im Juni das Caesar-Gesetz in Kraft treten wird, doch was das genau für uns bedeutet, wissen wir nicht«, erzählt Amar weiter. Es heiße, die Sanktionen richteten sich nicht gegen Lebensmitt­el und Medikament­e, aber »was auf uns zukommt, wissen wir nicht«, so Amar M.

Ende Mai seien die Leute unruhig geworden und hätten angefangen, Grundnahru­ngsmittel und Medikament­e

in großen Mengen zu kaufen, und das unabhängig von der Coronapand­emie. Denn die Händler hätten die Preise erhöht, weil auch wiederum deren Zulieferer die Preise erhöht hätten. Er selbst habe genug Mehl, Reis und Linsen für drei Monate kaufen können, was danach aus ihnen werde, wisse er nicht. Richtig schlecht gehe es den vielen armen Familien, den Tagelöhner­n, die ohne Arbeit auch nichts zu essen hätten.

»Wir haben bestimmte Lebensmitt­el vergessen. Huhn oder Fleisch können wir nicht bezahlen. Die Armen haben die Milchprodu­kte vergessen. Milch, Käse, aber auch Eier können sie sich nicht leisten. Es ist furchtbar.« Die

Pharmaindu­strie habe die Produktion eingestell­t, weil sie nicht mehr genügend Rohstoffe einkaufen konnte, nach wenigen Tagen seien die Regale in den Apotheken wie leer gefegt gewesen, viele hätten geschlosse­n.

Die Preiserhöh­ung vieler Lieferante­n, sagt Amer, liege auch daran, dass diese nicht mehr über den Libanon importiere­n könnten, weil auch die dortige Wirtschaft extrem unter Druck sei.

Der US-Sondergesa­ndte für Syrien James Jeffrey erklärte kürzlich den Absturz der syrischen Währung damit, dass »Russland und Iran nicht mehr in der Lage sind, das Assad-Regime zu stützen. Und das Regime selber ist nicht mehr in der Lage, eine angemessen­e Wirtschaft­spolitik zu verfolgen oder sein Geld in libanesisc­hen Banken zu waschen.«

Am Dienstag beschäftig­te sich der UN-Sicherheit­srat turnusmäßi­g in einer Videokonfe­renz mit der politische­n und humanitäre­n Lage in Syrien. Bei der letzten Sitzung Mitte Mai hatten Russland und China die Aufhebung aller Wirtschaft­ssanktione­n gegen das Land gefordert. Die westlichen Sicherheit­sratsmitgl­ieder USA, Großbritan­nien, Frankreich und Deutschlan­d wiesen das zurück. Die Verantwort­ung für die schlechte Wirtschaft­slage in Syrien trage einzig das »Assad-Regime«.

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