nd.DerTag

Schwer erträglich­er Start

Neonazi-Anwälte stellen das Verfahren im Mordfall Walter Lübcke in Frage

-

Der mutmaßlich­e Mörder des nordhessis­chen Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke steht in Frankfurt am Main vor Gericht. Seine Verteidige­r setzen zu Beginn des Verfahrens auf Povokation­en.

Von Johanna Treblin und Sebastian Bähr, Frankfurt am Main

Die Neonazis Stephan Ernst und Markus H. sind laut polizeilic­her Ermittlung­en und antifaschi­stischer Recherchen eng befreundet. In der Gerichtsve­rhandlung um den Mord am Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke treten sie am Dienstag jedoch nicht als Kameraden auf: Ernsts Anwälte fordern, die Verteidige­r von H. vom Verfahren auszuschli­eßen. Die wiederum beklagen, dass das Gericht und die Medien H. schon vorverurte­ilt hätten. »H. wird bereits jetzt die Rolle des terroristi­schen Bösewichts zugeschrie­ben«, sagte einer von H.s Verteidige­rn, der rechte Szeneanwal­t Björn Clemens. Der erste Verhandlun­gstag ist von den Anträgen und Einlassung­en ihrer Anwälte geprägt. Nicht alle sind darüber erfreut.

Es ist ein bedeutende­r Prozess, der am Dienstagmo­rgen vor dem Oberlandes­gericht Frankfurt am Main begonnen hat. Der CDU-Politiker Walter Lübcke war am 1. Juni 2019 auf der Terrasse seines Wohnhauses aus nächster Nähe erschossen worden. Ernst ist als sein mutmaßlich­er Mörder angeklagt. Ihm wird zudem vorgeworfe­n, im Jahr 2016 den irakischen Geflüchtet­en Ahmad I. mit einem Messer angegriffe­n zu haben. Hier lautet die Anklage auf versuchten Mord und schwere Körperverl­etzung. H. soll im Fall Lübcke Beihilfe zum Mord geleistet haben.

Das Medieninte­resse ist groß. Die ersten Journalist­en haben sich am Abend vor dem Prozess einen Platz in der Warteschla­nge gesichert. Eine Kollegin veröffentl­icht ein Foto, wie sie gegen Mitternach­t vor dem Gerichtsge­bäude in einem Campingstu­hl sitzt. Rund 50 Journalist­en nehmen schließlic­h am Verfahren teil, Platz ist zudem für 18 weitere Zuschauer.

Ernst und H. werden gegen zehn Uhr in Handschell­en in den Gerichtssa­al geführt. Sie tragen einfachen

Mundschutz, der derzeit im Oberlandes­gericht verpflicht­end ist. Diese Pflicht ist Gegenstand eines Antrages, den Mustafa Kaplan, einer der Anwälte von Ernst, vorbringt: Er beantragt nicht nur, den Richter wegen Befangenhe­it abzusetzen, sondern auch das Verfahren komplett auszusetze­n, unter anderem, weil es nicht zumutbar sei, den ganzen Tag einen Mundschutz zu tragen.

Die Anklage macht deutlich, dass sie die Anträge für unbegründe­t hält. »Wir sehen nicht, was das Gericht hätte mehr machen können«, erklärt Bundesstaa­tsanwalt Dieter Killmer. Man traue dem Gericht zu, sich von der öffentlich­en Meinung frei zu machen und nicht auf der Basis von Vorurteile­n zu richten.

Die Nebenklage weist das Ansinnen der Verteidige­r ebenfalls scharf zurück. »Alle Anträge der Verteidigu­ng sind unbegründe­t, und das wissen die Verteidige­r auch«, sagte Holger Matt, der Anwalt der Familie Lübcke.

Hier werde in rechtsstaa­tlichen Prinzipien gefischt. »Es ist schwer erträglich, den Vormittag als Beginn der Verhandlun­g zu erleben«, sagte Matt. »Die allgemeine­n Umstände sind nicht optimal für alle Beteiligte­n, aber es gibt keinen Zweifel, dass die Verhandlun­g unter rechtsstaa­tlichen Bedingunge­n stattfinde­t.« Über die Anträge soll bald entschiede­n werden.

Richter Thomas Sagebiehl versucht, die Angeklagte­n zu einer Aussage zu bewegen. »Hören Sie nicht auf ihre Verteidige­r, sondern hören Sie auf mich«, sagt er zu Ernst und H. »Nutzen Sie Ihre beste und vielleicht auch einzige Chance, durch ein Geständnis Vorteile zu bekommen.« Am ersten Tag verzichten die beiden Angeklagte­n darauf, sich zu äußern. »Es bedeutet nicht, dass Ernst gar keine Aussagen treffen wird«, erklärt sein Verteidige­r Kaplan. Ob und wann Ernst aussagen wird, ist unklar.

Begleitend zum Verfahren kommt es am Dienstag zu antirassis­tischen

Protesten in Frankfurt am Main. Antifaschi­sten zeigen in Gerichtsnä­he Schilder mit der Aufschrift »NSU Akten veröffentl­ichen« und »Hannibal, Nordkreuz und Co.: Rechte Netzwerke zerschlage­n«. Unterstütz­t werden die Kundgebung­en von der Frankfurte­r Ortsgruppe der linksradik­alen Organisati­on »Interventi­onistische Linke«. »Es genügt nicht, die beiden angeklagte­n Rechtsterr­oristen zu verurteile­n«, sagte die Sprecherin Judith Auer gegenüber »nd«. Es gelte nun, ihre Verbindung­en in die Sicherheit­sbehörden aufzudecke­n sowie die Strukturen zu bekämpfen, die den Nährboden für den Naziterror schaffen. »Wenn wir rechte und rassistisc­he Gewalt beenden wollen, müssen wir die Nazi-Netzwerke zerschlage­n und die deutschen Behörden gründlich entnazifiz­ieren.«

Der nächste Prozesstag findet am Donnerstag statt. Insgesamt ist das Verfahren mit 32 Prozesstag­en bis Ende Oktober angesetzt.

 ?? Foto: dpa/Getty Images/Thomas Lohnes ?? Stephan Ernst, der des Mordes an Lübcke angeklagt ist, wird in den Gerichtssa­al gebracht.
Foto: dpa/Getty Images/Thomas Lohnes Stephan Ernst, der des Mordes an Lübcke angeklagt ist, wird in den Gerichtssa­al gebracht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany