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Sie muss nichts mehr beweisen

In Klagenfurt beginnt der Bachmann-Wettbewerb, Helga Schubert ist mit 80 Jahren wieder dabei

- Von Karsten Krampitz

Lange Zeit war beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt von ostdeutsch­en Autoren nichts zu hören. Ihre Lebenswelt und ihr Erfahrungs­horizont interessie­rten nicht, die Zone schien auserzählt und das selbst 2019, dreißig Jahre nach dem Mauerfall. Dabei haben Schriftste­ller mit DDR-Hintergrun­d den »Bewerb« früher einmal dominiert. Um nur die Hauptpreis­träger zu nennen: Ulrich Plenzdorf, Katja Lange-Müller, Angela Krauß, Wolfgang Hilbig, Kurt Drawert, Uwe Tellkamp (auch der!) Lutz Seiler und zuletzt im Jahr 2010 Peter Wawerzinek. Man stelle sich vor, über viele Jahre hinweg hätte kein Österreich­er bei den Tagen der deutschspr­achigen Literatur gelesen. Ein Skandal wäre

Es wird eine Literatur gefeiert, die es ohne den »Bewerb« nicht geben würde, die außerhalb der Blase des Literaturb­etriebs kaum jemanden interessie­rt.

das gewesen, auch wenn es nur halb so viele Ösis wie Ossis gibt!

In diesem Jahr nun wird alles anders, und zwar wirklich alles. So finden die »Tage der deutschspr­achigen Literatur« (TddL) vom 17. bis zum 21. Juni diesmal coronabedi­ngt virtuell statt. Die Lesungen wurden voraufgeze­ichnet, die Jurydiskus­sion findet zwar live, aber eben auch in der Ferne statt. Außerdem, und jetzt kommt’s: Die Ostdeutsch­en sind wieder dabei! Mit Helga Schubert ist eine 80-Jährige für das Wettlesen nominiert!

Um es kurz zu machen: Helga Schubert muss nichts mehr beweisen. Die Frau kann erzählen. Einige ihrer Bücher durften in der DDR nicht erscheinen. Ihre bekanntest­e Arbeit ist das Szenarium für Lothar Warnekes »Die Beunruhigu­ng« aus dem Jahr 1982 – im DDR-Kino einer der besucherst­ärksten Filme (laut Wikipedia 4,3 Millionen). Die Geschichte der an Brustkrebs erkrankten Inge Herold stammte aus der Feder von Helga Schubert. Etliche Jahre später dann sorgte sie mit dem Buch »Judasfraue­n« für großes Aufsehen im nunmehr gesamtdeut­schen Feuilleton. »Zehn Fallgeschi­chten weiblicher Denunziati­on im Dritten Reich«, so der Untertitel. Ihrer Meinung nach waren es mehr Frauen als Männer, die unter Hitler ihre Mitbürger denunziert­en und damit in vielen Fällen dem Tod ausliefert­en. Helga Schubert fragte nach der »Schuld der Mütter«.

Eingeladen nach Klagenfurt von der Jurorin Insa Wilke, ist es für Helga Schubert bereits die zweite Nominierun­g

– 1980 wurde ihr die Ausreise aus der DDR verwehrt. Zwei Jahre zuvor hatte Ulrich Plenzdorf mit der DDR-kritischen Erzählung »Kein runter, kein fern« den IngeborgBa­chmann-Preis gewonnen. Die SEDLiterat­urfunktion­äre

(wir nennen keine Namen) waren von da an bemüht, eine Wiederholu­ng der literarisc­hen »Hetze« zu verhindern.

Nur war ein Boykott auf Dauer nicht durchzuset­zen. In den 1980er Jahren lebten bereits etliche OstSchrift­steller in Westdeutsc­hland, die ihre DDR-Staatsbürg­erschaft behalten hatten, bekannte Autoren wie Jurek Becker, Klaus Schlesinge­r oder eben der sprachmäch­tige Wolfgang Hilbig. Und selbst der brauchte etwas Glück, um in Klagenfurt dabei zu sein: Im Sommer 1989 war eigentlich nur Natascha Wodin, seine Frau, zum Wettbewerb eingeladen. Ihrem Juror aber war der zweite Vorschlag ausgefalle­n, wegen Krankheit oder weil der Mann nicht mehr wollte. Und so empfahl sie ihm Wolfgang Hilbig.

Es war das erste Jahr, in dem die Lesungen auf 3sat live übertragen wurden – und Helga Schubert war jetzt Jurymitgli­ed. Auch das hat’s gegeben. So wie die DDR als Staat zu verschiede­nen Zeiten verschiede­n war, unterlag auch ihre Kulturpoli­tik etlichen Schwankung­en.

Von 1987 bis 1990 vertrat Helga Schubert gemeinsam mit Werner Liersch das vierte deutschspr­achige Land in der Bachmann-Preis-Jury. Sie saß in einer Reihe mit Helmut Karasek, Karl Corino, Volker Hage und anderen. Und wie die Legende erzählt, hat es in jenem Sommer nach dem Auftritt von Wolfgang Hilbig nicht allzu viel Diskussion gegeben. Der Siegertext war ein Auszug aus dem Roman »Eine Übertragun­g«, also ein Text, den es ganz sicher auch ohne den Wettbewerb gegeben hätte. Eben das kann man von vielen späteren Preisträge­rn nicht mehr sagen. Bei den »TddL« wird seit längerer Zeit eine Literatur gefeiert, die es ohne den »Bewerb« nicht geben würde, und ich wage zu behaupten: die außerhalb der Literaturb­etriebsbla­se kaum jemanden interessie­rt. Ausnahmen, wie im letzten Jahr Birgit Birnbacher­s wunderbare­r Gewinnerte­xt »Der Schrank«, bestätigen die Regel.

In diesem Jahr aber wird alles besser. Allein schon weil Helga Schubert dabei ist! Und vielleicht gewinnt auch wieder ein Ostdeutsch­er: Matthias Senkel, geboren 1977 im thüringisc­hen Greiz. Auch er wurde das zweite Mal eingeladen.

»Wenn Literatur nicht bei denen bleibt, die unten sind, kann sie gleich als Party-Service anheuern.«

Von der Eröffnung heute um 19 Uhr bis zur Preisverga­be am Sonntag wird alles auf bachmannpr­eis.ORF.at gestreamt.

Jörg Fauser, 1981

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Foto: imago stock&people Mit 80 Jahren für das Wettlesen in Klagenfurt nominiert: Helga Schubert

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