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Daniel Kösling und Falk Ortlieb retten die Zauneidech­se

Fachleute erklären am Beispiel der Zauneidech­se, wie geschützte Arten bei Bauvorhabe­n in Sicherheit gebracht werden sollen

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Feldhamste­r, Wachtelkön­ig oder Juchtenkäf­er sind bei Kommunen und privaten Bauträgern oft schlecht gelitten – sie gelten gerne als Verhindere­r des Fortschrit­ts. Welchen Ruf hat die Zauneidech­se?

Kösling: Die Zauneidech­se ist in diesen Kreisen nicht sonderlich beliebt, sie gilt vielen als »Baustopper«. Die Art lebt gerne in Steinhaufe­n, deswegen ist sie zum Beispiel bei der Deutschen Bahn bei jedem Bauvorhabe­n ein Thema.

Warum muss sie, wie jetzt zum Beispiel auch für den Bau der Tesla-Fabrik in Brandenbur­g, überhaupt umgesiedel­t werden? Ortlieb: Die Zauneidech­se ist laut Bundesarte­nschutzver­ordnung streng geschützt und im Anhang IV der FFH-Richtlinie der Europäisch­en Union gelistet. Damit ist es verboten, sie zu töten, ihre Lebensräum­e zu beschädige­n oder zu zerstören. Das Problem bei Bauprojekt­en ist, dass die Art sehr ortstreu ist und ihr Habitat nicht verlassen wird. Sie besiedelt Flächen, für die sich lange Zeit niemand interessie­rte, wie etwa Bahnhofsge­lände, Brachen oder alte Industrieg­ebiete. Genau diese Flächen sind jetzt aber in Zeiten des Baubooms besonders betroffen. Man muss die Eidechsen also häufig umsiedeln.

Weil man sie oft in Siedlungsn­ähe sieht, entsteht der Eindruck, sie komme häufig vor. Ortlieb: Bei manchen Vorhabentr­ägern wie der Bahn gilt sie in der Tat quasi als Haustier, aber abseits solcher Sonderstan­dorte ist sie stark rückläufig. Ihre natürliche­n Lebensräum­e, etwa Waldränder, Heckenland­schaften oder Ackerraine, sind seltener geworden. Deswegen steht sie in Deutschlan­d auf der Roten Liste.

Umsiedeln hört sich schlicht an: Eidechsen fangen und anderswo aussetzen. Wie gehen Sie bei den Fangaktion­en vor?

Ortlieb: Wir arbeiten entweder mit Schutzzäun­en, die mit Sammeleime­rn versehen sind, oder wir fangen sie mit der Hand, teilweise auch mithilfe von künstlich Verstecken. Manchmal wissen wir durch Kartierung­en vor Ort, wo sich die Tiere auf der Fläche aufhalten. Falls wir das nicht wissen, wird die Suche unter Umständen deutlich aufwendige­r.

Das braucht Zeit.

Ortlieb: Es gibt kein Vorhaben, bei dem wenige Wochen ausreichen. Im Zuge einer von uns begleitete­n Bachelor-Arbeit wurden dazu Daten empirisch ausgewerte­t und festgestel­lt, dass etwa 110 Personenst­unden pro Hektar nötig sind, um ausreichen­d viele Tiere zu sammeln. Wenn man bedenkt, dass manche Flächen sehr groß sind, kann das dauern.

Ist eine Fläche überhaupt »zauneidech­senfrei« zu bekommen?

Ortlieb: Nein, nicht zu 100 Prozent. Laut Rechtsprec­hung zum Bundesnatu­rschutzges­etz sind rund 80 bis 90 Prozent das Ziel. Die Fachlitera­tur geht davon aus, dass man zwei bis drei Jahre braucht, um eine Fläche freizufang­en.

Die Zeit haben Sie in der Praxis doch nicht.

Kösling: Richtig, das findet im Alltag so gut wie nie statt. Ob der Abfang fertig ist, lässt sich kaum messen. Häufige Praxis ist, dass die zuständige Naturschut­zbehörde drei Termine ohne Sichtung vorgibt und die Fläche daraufhin als eidechsenf­rei gilt. Sicher wissen wir es aber nie, zumal häufig erst der Herbst die Sichtungen beendet.

Wichtig für das Überleben der Tiere ist das passende Ersatzbiot­op. Wie muss das aussehen? Ortlieb: Es kling banal, aber entscheide­nd ist, dass die Aussetzung­sfläche geeignet ist. In der Praxis werden Tiere oft auf Flächen ausgesetzt, die noch nicht fertig sind. Das können zum Beispiel Ackerfläch­en sein, die schnell zu Reptilienf­lächen umgewandel­t wurden. Doch dieser Wandel kann dauern: Es braucht zum Beispiel ein bestimmtes Mosaik an Vegetation, damit die Tiere Deckung und Nahrung finden. Zudem dürfen auf den Flächen keine Zauneidech­sen vorkommen. Wir wollen neue Individuen nicht auf Flächen bringen, die schon besetzt sind, sonst kommt es zu Konkurrenz­kämpfen. Wir wollen auch eine bestehende Population nicht schwächen, indem die Neuankömml­inge eventuell Krankheite­n einschlepp­en. Und die Eidechsen sollen nicht zu weit von ihrer bisherigen Heimat ausgesetzt werden, Entfernung­en von 500 bis 1000 Metern sind ideal.

Ist es schwierig, Ersatzfläc­hen zu bekommen? Kösling: In Deutschlan­d sind freie Flächen knapp. Das macht dem Naturschut­z insgesamt das Leben sehr schwer. Bei Umsiedlung­smaßnahmen von Eidechsen ist es noch schwerer, weil diese Flächen geeignet, aufwertbar und möglichst langfristi­g gesichert sein sollten. Insbesonde­re Großstädte wollen Freifläche­n behalten, weil sie ja auch irgendwann mal was bauen müssen. Zudem sind die Flächen sehr teuer. Bauherren suchen deswegen oft in angrenzend­en Landkreise­n.

Wie kommen Sie an die Flächen? Kösling: In der Regel ist das eine Sache des Bauherrn und des zuständige­n Umweltamte­s. Das Amt sagt dem Bauherrn: Ihr müsst Ausgleichs­flächen bereithalt­en; der Bauherr fragt zurück: Und wo? Dieser Prozess kann oft dauern. Es gab auch Vorhaben, da haben wir bei der Suche geholfen. Irgendwann findet man schon etwas. Generell sind fehlende Ersatzfläc­hen aber ein großes Problem.

Wann ist eine Umsiedlung geglückt? Ortlieb: Sie ist dann erfolgreic­h, wenn Gesamtzahl und Altersstaf­felung der Individuen am neuen Standort identisch sind mit denen am alten Standort. Die Aussichten, dass die Tiere dort dauerhaft leben können, müssen sehr gut sein.

Wie stellen Sie das fest?

Ortlieb: Durch ein gut geplantes und umgesetzte­s Monitoring im Gelände. Dafür werden die Tiere erfasst. Teilweise lassen sich die Tiere anhand von Fotos wiedererke­nnen, die im Rahmen des Abfangs angefertig­t wurden.

Kösling: Tatsächlic­h ist es aber so, dass wir nur bei weniger als einem Fünftel der Vorhaben, zu denen wir als ökologisch­e Baubegleit­ung hinzugezog­en werden, ein Monitoring machen dürfen. Das kann regional variieren. Noch zu wenige Behörden verlangen regelmäßig ein Maßnahmenm­onitoring.

Gibt es keine Standards?

Ortlieb: In Mecklenbur­g-Vorpommern arbeiten wir gerade daran. Jeder zuständige Sachbearbe­iter in der Unteren Naturschut­zbehörde, auch außerhalb Mecklenbur­g-Vorpommern­s, hat seine eigenen Ansprüche. Wir bräuchten Standards für viele Verfahrens­schritte, zum Beispiel beim Fang der Tiere: Wie viel Aufwand muss beim Fang betrieben werden? Wann gilt die Fläche als leer? Welche Qualifikat­ionen muss das Personal vorweisen, das Eidechsen fängt?

Kösling: Auch die rechtliche Sicherung der Aussetzung­sflächen und insbesonde­re die Pflege der Ersatzlebe­nsräume müssen standardis­iert werden. Ob und wann ein Zaun zum Einsatz kommt, wird oft willkürlic­h entschiede­n. Auch für die Ersatzhabi­tate fehlen einheitlic­he Vorgaben. Manche kippen nur Steine und Kies hin, zum Teil sogar belasteten Bauschutt, weil das ja auch als Steinhaufe­n gilt. Manche nehmen Baumstämme, andere nur Zweige, gelegentli­ch gar von Ziergehölz­en, was natürlich völlig falsch ist.

Bei Stuttgart 21 hat die Deutsche Bahn rund 15 Millionen Euro für die Umsiedlung von Eidechsen ausgegeben. Was entgegnen Sie Kritikern, die die hohen Ausgaben beklagen? Ortlieb: Die Roten Listen werden immer länger; gerade kleinere Tiergruppe­n wie Reptilien und Amphibien sind extrem unter Druck. Wir sind bislang noch nicht sehr erfolgreic­h – wir müssen mehr tun. Dies gilt vor allem für die Land- und Forstwirts­chaft.

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Foto: imago images/blickwinke­l

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