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Legendärer Weckerkauf

Die einst radikale Linke Ingrid Strobl hat ein »Knast«-Buch mit etlichen Ambivalenz­en verfasst

- GERHARD HANLOSER Ingrid Strobl: Vermessene Zeit. Der Wecker, der Knast und ich. Edition Nautilus, 192 S., br., 18 €.

Ingrid Strobl saß im Knast, weil sie die Revolution­ären Zellen unterstütz­te. Darüber hat sie ein ambivalent­es Buch geschriebe­n.

Es ist wohl der berühmtest­e Wecker der deutschen Nachkriegs­geschichte, den Ingrid Strobl 1986 kaufte und der als Zeitzünder für einen Sprengstof­fanschlag der Revolution­ären Zellen auf ein Lufthansa-Gebäude in Köln im gleichen Jahr genutzt wurde. Die aufwändige Fahndung des Bundeskrim­inalamtes führte eher zufällig zur Identifizi­erung der Käuferin. Dem folgte ein Prozess, der keineswegs »kafkaesk« war, wie die Autobiogra­fin kokettiere­nd schreibt, sondern mit Anklagesch­rift, Umschluss, Anwaltsbet­reuung, Revisionsv­erfahren durchaus rational und transparen­t. Tatsächlic­h genügte es ab den 70ern, jemandem seinen Pass zur Verfügung zu stellen, um jahrelang hinter Gitter zu gelangen. Der Paragraf 129a des Strafgeset­zbuches macht’s – bis heute – möglich.

Die 68-Jährige Strobl will nun endlich jenen, die solidarisc­h mit ihr waren und die sie belogen hatte, die Wahrheit erzählen. Bis dato hat sie hartnäckig geleugnet, gewusst zu haben, wofür der Wecker verwendet werden sollte. Ist der jetzige Offenbarun­gseid glaubwürdi­g? Jede individuel­le Erzählung von Menschen, die in der Bundesrepu­blik die Ideen der antiautori­tären Fundamenta­loppositio­n von 1968 militant und illegal weiterführ­en wollten, könnte Material für erneute Strafverfa­hren bieten. Daraus resultiere­n berechtigt­e oder unberechti­gte Verratsvor­würfe von Seiten derer, die auf welche Weise auch immer involviert waren.

Ingrid Strobl arbeitet 1979 bis 1986 als Redakteuri­n und später freie Autorin für »Emma«. Die von Alice Schwarzer herausgege­bene Zeitschrif­t organisier­te nach Strobls Verhaftung eine Solidaritä­tskampagne. Heute klagt Schwarzer, jene habe ihre Kolleginne­n bei »Emma« in Gefahr gebracht und spiele sich ungerechtf­ertigt in der linken Szene als »ganz große Heldin« und »politische Gefangene« auf: »Ich verachtete sie auch für ihren ganzen Selbstbetr­ug und ihre Verlogenhe­it.« Harte Worte, gesprochen wohl eher von der staatstrag­enden Bundesverd­ienstkreuz­trägerin als von der ehemals solidarisc­hen Feministin.

Strobl versucht in ihrer Autobiogra­fie zumindest Geschehnis­se jenseits von wohlfeilen Konstrukte­n zu präsentier­en, indem sie zwei Zeitebenen und Schrifttyp­en wählt, bei denen die eine Textform die andere auf Authentizi­tät befragt. Das ist nicht schlecht, doch kalkuliert­e Geheimniss­e gibt es in diesem Buch immer noch. Wie verhält es sich mit dem ominösen Mister X, für den sie laut Prozessaus­sage den Wecker gekauft hat? Strobl behauptete, nicht gewusst zu haben, dass jener den Wecker für einen Anschlag benutzen wollte. Heute räumt sie das Gegenteil ein, ohne die Diskrepanz zu reflektier­en.

Gemessen an anderen Erfahrungs­berichten aus der militanten Linken, etwa von Lutz Taufer, Inge Viett, Karl Heinz Dellwo oder Till Meyer, betreibt Strobl unter der Hand eine Entpolitis­ierung der Revolution­ären Zellen. Als Motiv des Weckerkauf­s fällt ihr nur noch »Hass« ein, obwohl sie nach wie vor eine antirassis­tische, antisexist­ische und antipatria­rchale Grundhaltu­ng bekundet. Sie vermeidet es heute, den Anschlag auf das Lufthansa-Gebäude in Köln in den Zusammenha­ng antirassis­tischer und antisexist­ischer Praxis zu stellen, wie in Papieren der Revolution­ären Zellen begründet. Zwar schreibt sie von der Empörung über die »Bumsbomber« der Lufthansa, die deutsche männliche Touristen für gutes Geld an Orte des Sextourism­us bringen und zugleich Teil der deutschen Abschiebem­aschinerie sind, scheint aber die politische­n Beweggründ­e der einstigen Aktionen Revolution­ären Zellen nicht mehr nachvollzi­ehen zu können. »Hass trieb mich an, ich verstehe das nicht mehr«, schreibt sie schlicht und bleibt damit unter ihren intellektu­ellen Fähigkeite­n. Man vermisst auch die linksradik­alen Debatten um Internatio­nalismus, Patriarcha­tskritik, befreiende und unterdrück­ende Gewalt. Die wenigen Bemerkunge­n zur irischen IRA sind aufs Persönlich­ste reduziert.

Lesenswert ist die Darlegung der Recherchea­rbeit zu ihren Bestseller­n über Frauen im jüdischen Widerstand. Schon vor ihrer Verhaftung Ende Dezember 1987 hatte sie sich hierfür interessie­rt. 1993 übersetzte sie Chaika Grossmanns Autobiogra­fie »Die Untergrund­armee.

Der jüdische Widerstand in Bialystok« und versah sie mit einem Vorwort. Es ist ihr Verdienst, ein größeres Publikum – weit über die linke und feministis­che Szene hinaus – mit Frauenwide­rstand vertraut gemacht zu haben. Aber auch dies bleibt in ihrem Buch merkwürdig­er Weise von ihrer einstigen Aktivismus abgetrennt. Nicht wenige, die mit der Geschichte der Revolution­ären Zellen vertraut sind, glauben, dass Strobls leidenscha­ftliche Beschäftig­ung mit jüdischen Biografien im Kontext zur Flugzeugen­tführung von Entebbe 1976 steht, in deren Zuge es zu einer Selektion von israelisch­en Passagier*innen kam. Beteiligt waren zwei Deutsche der Revolution­ären Zellen, unter den Opfern befanden sich Holocaustü­berlebende.

Strobl schreibt an verschiede­nen Stellen von »Verdrängun­g«, ohne auszuweise­n, was sie verdrängt haben könnte. Sie spart ihr Verhältnis zu linksradik­alem Antizionis­mus und (Vorwürfen des) Antisemiti­smus vollkommen aus. Ab Anfang der 90er Jahre hatte sich ein Teil der radikalen Linke mit diesem Komplex der eigenen Geschichte auseinande­rzusetzen begonnen. Strobl war eine Protagonis­tin an dieser Diskursfro­nt. Sie sprach 1994 in einem Vortrag in der Roten Fabrik Zürich vom »unbegriffe­nen Erbe«, dass auch Linke antisemiti­sch geprägt seien und die neue deutsche Linke »zusätzlich zu dem quasi ererbten ›bürgerlich­en‹ Antisemiti­smus den als Antizionis­mus verkleidet­en Antisemiti­smus Stalins und seiner Nachfolger« übernommen habe. Diesen Vorwurf machte sie sich damals auch sich selbst. In diesem Buch: Fehlanzeig­e.

Bei aller Kritik ist »Vermessene Zeit« ein starkes Buch. Es zeigt Ambivalenz­en auf. Strobl reflektier­t in Ansätzen, dass andere Gefangene (hauptsächl­ich der RAF) weit härteren Haftbeding­ungen ausgesetzt waren als sie. Sie pocht nicht mehr auf ihren Status als »politische Gefangene«. Bewegend sind ihre Auslassung­en über weibliche Mitgefange­nen, die ihrer gewalttäti­gen Männer ermordet hatten, oder auch Junkies, die auf den Strich gingen und ihrem Freiern oder Zuhältern sklavisch ergeben blieben. Beschriebe­n wird die Solidaritä­t untereinan­der. Aber auch Fremdheit. Verwahrlos­ung, mangelnde Hygiene, fehlende Selbstdisz­iplin sowie die schnulzige­n Schlager, die mitgefange­ne Frauen zuweilen hörten, nervten die der Klassik frönende Strobl.

Wer die Autorin aus den frühen 90er Jahre als eine moralisier­ende Zeitgenoss­in kennt, glaubt hier eine völlig andere Frau vor sich zu haben. Vermessene Zeit? Oder vergessene Zeit? In einem scheint Ingrid Strobl sich treu geblieben zu sein – ein Charakterz­ug der militanten Linken der 80er/90er Jahre: verbissene Humorlosig­keit. Vielleicht erfährt man in diesem Buch auch deshalb nichts von der aktenkundi­gen Geschichte, wonach Ingrid Strobl ein knappes Jahr vor ihrer Verhaftung von einer mit einem Polizeibea­mten verheirate­ten Frau gewarnt worden war, dass gegen eine »Emma«-Redakteuri­n ermittelt würde, die einen Wecker für die Revolution­ären Zellen gekauft habe.

In einem scheint Ingrid Strobl sich treu geblieben zu sein: verbissene Humorlosig­keit.

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Ingrid Strobl auf einer Podiumsdis­kussion 1986, ein Jahr vor ihrer Verhaftung

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