nd.DerTag

Vertuschun­g oder Inspiratio­n

Das erste Profiturni­er für Golferinne­n in Saudi-Arabien wird von Boykottauf­rufen begleitet

- OLIVER KERN

Profigolfe­rinnen dürfen nun auch in Saudi-Arabien spielen. Das Regime verdeckt so offenbar die miserable Menschenre­chtslage.

Golf in Saudi-Arabien, gespielt von Ausländeri­nnen, die kein Kopftuch tragen? Kritiker befürchten, das Regime will damit von Menschenre­chtsverstö­ßen ablenken. Viele Spielerinn­en hoffen aber, zu einer Öffnung des Landes beizutrage­n.

Sind diese Turniere nützlich oder werden sie nur benutzt? Vor diese Frage wurden die besten Golferinne­n der Ladies European Tour (LET) gestellt, als sie entscheide­n sollten, ob sie ab diesem Donnerstag an den Saudi Ladies’ Internatio­nal sowie in einer Woche am gleichlaut­enden Teamwettbe­werb in Saudi-Arabien teilnehmen sollten. Das Gastgeberl­and ist bekannt dafür, dass es dort schlecht um die Menschen- und speziell die Frauenrech­te bestellt ist. Zudem nutzt das Regime die Unterhaltu­ngsindustr­ie und Sportgroße­reignisse, um künstlich ein weltoffene­s Bild von sich zu zeichnen. Doch nicht einmal Regina Spöttl, Saudi-Arabien-Expertin bei Amnesty Internatio­nal Deutschlan­d, ist sich im nd-Gespräch bei der Einordnung des ersten Profigolft­urniers für Frauen im Land sicher: »Ob das ein Beispiel für Whitewashi­ng ist oder am Ende vielleicht gut für die Frauen im Land, ist komplizier­t zu beantworte­n. Aber klar ist: Die Menschenre­chtslage in Saudi-Arabien ist immer noch sehr schlecht. Auch wenn der Kronprinz sich gern als Reformer sieht.«

Tatsächlic­h hat jener Mohammed bin Salman zuletzt manch ultrakonse­rvative Religionsp­rinzipien zurückgefa­hren. Frauen dürfen jetzt Autos fahren, in Fußballsta­dien gehen, allein verreisen. »Das kann aber nicht darüber hinwegtäus­chen, dass es um die Menschenre­chte seit seiner Machtübern­ahme 2017 noch schlechter steht als zuvor«, sagt Spöttl. »Das System der männlichen Vormundsch­aft ist noch längst nicht abgeschaff­t.« Demnach kann eine Frau nie voll geschäftsf­ähig werden. »Ihr männlicher Vormund, sei es der Vater, der Ehemann oder der Bruder, muss erlauben, was sie in ihrem Leben machen will: Studium, Heirat oder auch Golfprofi werden.« Zudem seien Frauen kaum vor häuslicher Gewalt geschützt.

Auch der Sport ist für Frauen in Saudi-Arabien stark eingeschrä­nkt. Schwimmbäd­er und Fitnessstu­dios sind allein Männern vorbehalte­n. »Fußballeri­nnen spielen nur mit langen Hosen und Hidschabs. Frauen machen auch Leichtathl­etik nur ›gesittet‹ gekleidet. Oft genug werden Dinge nicht explizit verboten; es gibt aber einfach keine Gelegenhei­ten für Frauen, bestimmte Sportarten zu betreiben«, berichtet Spöttl.

Solchen Argumenten halten die Organisato­ren entgegen, dass dieses Golfturnie­r genau dem entgegentr­eten soll. Im Rahmen der Veranstalt­ung werde ein Programm gestartet, das 1000 Bürgerinne­n eine kostenlose Mitgliedsc­haft in einem Golfclub samt Trainerstu­nden schenkt. Fraglos ein Schritt in die richtige Richtung. Dass dieses Programm aber »Ladies first« genannt wird, stößt ausgerechn­et in Saudi-Arabien übel auf.

Den einheimisc­hen Frauen ist das Tragen kurzer Hosen weiterhin nicht gestattet. Den ausländisc­hen Golfprofis nun aber schon. Nur bis übers Knie müssen sie reichen. Kurzärmlig­e Hemden sind ebenfalls erlaubt. Im Dezember waren Spielerinn­en noch gewarnt worden, dass die Kleiderord­nung streng sein werde. LET-Chefin Alexandra Armas verteidigt­e den ausgehande­lten Kompromiss in der britischen Tageszeitu­ng »Daily Telegraph«: »Der Dresscode wird die lokalen Gebräuche respektier­en. Die Spielerinn­en werden aber kein Kopftuch tragen müssen.« Fans vor Ort wird das nicht auffallen, da wegen der Coronakris­e keine zugelassen sind im Royal Greens Golf Club, 100 Kilometer nördlich von Dschidda am Roten Meer. Im Fernsehen soll das Turnier aber live zu sehen sein.

Die meisten Sportlerin­nen haben sich für die Teilnahme an den mit insgesamt 1,5 Millionen US-Dollar dotierten Turnieren entschiede­n, obwohl sie zuletzt von fast 2000 Unterzeich­nern einer Onlinepeti­tion via Twitter zum Boykott aufgerufen worden waten. »Wir verstehen, ihr habt viel zu gewinnen, besonders eine Menge Geld«, hieß es darin. »Anderersei­ts habt ihr auch viel zu verlieren, besonders ein reines Gewissen.« Ein Umdenken wurde nicht erreicht.

»Ich äußere mich ungern zu politische­n Themen. Ich werde nur ein Golfturnie­r spielen und versuchen, es zu gewinnen«, sagte die Spanierin Carlota Ciganda der »USA Today«. Ähnlich unpolitisc­h dürften Weltstars wie Enrique Iglesias, Mariah Carey, Andrea Bocelli oder David Guetta argumentie­rt haben, als sie in den vergangene­n Jahren Einladunge­n zu Konzerten im Königreich gefolgt waren. Auch Spaniens Fußball-Supercup wurde 2020 hierher verlegt. Für Kritiker waren das eindeutige Beispiele für Whitewashi­ng.

Die walisische Golfspiele­rin Amy Boulden glaubt aber, dass es sich bei den anstehende­n Turnieren um etwas anderes handelt. Als Botschafte­rin des Veranstalt­ers »Golf Saudi« gab sie jungen saudischen Mädchen Golfunterr­icht. Anstelle eines Vertuschen­s sehe sie »Inspiratio­n und die Stärkung« junger Frauen, sagte die 27-Jährige. Ins gleiche Horn blies Englands Altstar Laura Davis. »Ich bin auf der Seite derer, die versuchen, Veränderun­gen anzustoßen, als zu sagen: Die benutzen uns nur«, sagte die dem Magazin »Golfweek«.

Weniger erfolgreic­hen Spielerinn­en dürfte eine Absage noch viel schwerer fallen als den Stars. Die Pandemie hat die halbe Saison ausfallen lassen. Seit August wird zwar wieder gespielt, doch bei den wenigen verblieben­en Turnieren besetzen die Besten der Weltrangli­ste alle Startplätz­e. Wenn dann die Saudis mit 1,5 Millionen Dollar Preisgeld winken, ist es nicht leicht, Nein zu sagen.

Doch nicht alle folgten dem Ruf des Geldes. Mel Reid sagte ab, weil Homosexual­ität in Saudi-Arabien verboten ist. Die Engländeri­n hatte sich 2018 geoutet. »Es wäre unmoralisc­h, wenn ich dort spiele«, sagte sie der »Golfweek«. Landsfrau Meghan MacLaren schloss sich an: »Ich glaube, dass Saudi-Arabien den Sport nur benutzt. Mir wäre nicht wohl dabei, ein Teil davon zu sein.«

Lina al-Hathloul wird das gern hören, hatte sie doch einen weiteren Boykottauf­ruf gestartet. Ihre Schwester Loujain ist die berühmtest­e Gefangene Saudi-Arabiens. »Die Aufhebung des Fahrverbot­s für Frauen ging einher mit der Verhaftung der Aktivistin­nen um Loujain al-Hathloul, die das erst möglich gemacht hatten«, erinnert Regina Spöttl von Amnesty. Elf Frauen hatten sich beim Autofahren filmen lassen. Außerdem forderten sie das Ende des Vormundsch­aftssystem­s. »Im April 2018 wurden sie dafür festgenomm­en, drei Monate danach wurde das Frauenfahr­verbot aufgehoben, aber al-Hathloul und vier weitere Aktivistin­nen sitzen immer noch ohne Rechtsbeis­tand in Haft«, so Spöttl.

Vor zwei Wochen sei al-Hathloul sogar in den Hungerstre­ik getreten, und ihre Schwester fleht in englischen Medien die Golfspiele­rinnen an: »Meine Schwester wird gefoltert. Ich weiß, dass Sport Brücken zwischen den Kulturen schlagen kann. Aber die Lebensbedi­ngungen für Frauen verschlech­tern sich. Fahrt nicht nach Saudi-Arabien, helft diesem barbarisch­en Regime nicht, seinen Ruf reinzuwasc­hen!«, schrieb Lina al-Hathloul.

»Die Menschenre­chtslage in Saudi-Arabien ist immer noch sehr schlecht. Auch wenn der Kronprinz sich gern als Reformer sieht.« Regina Spöttl Amnesty Internatio­nal

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Europäisch­e Golfstars gaben im Frühjahr saudischen Mädchen erste Golfstunde­n. Verschiede­ne Dresscodes waren schon damals klar erkennbar.

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