Das Risiko, Schwarz zu sein
Studie der Universität Bochum belegt Diskriminierungen durch die Polizei
Berlin. Wie groß ist das Rassismusproblem in der deutschen Polizei? Diese Frage ist stark umkämpft und war als Thema in diesem Jahr fast so präsent wie die Coronapandemie. Erinnert sei nur an die Skandale um rechtsradikale Polizeichats. Doch obwohl das Problem weit älter ist, gibt es dazu bis heute nur sehr wenige Daten. Am Mittwoch wurde in Berlin der zweite Zwischenbericht der RuhrUniversität Bochum »Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen« (KviAPol) vorgestellt.
62 Prozent der befragten Personen of Color und 42 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund gaben an, in Gewaltsituationen von der Polizei diskriminiert worden zu sein. Zudem wurden als »nicht deutsch« wahrgenommene Personen häufiger abseits von Großveranstaltungen kontrolliert.
Wie groß das Problem in der deutschen Polizei sei, könne anhand der vorliegenden Daten nicht beurteilt werden, weil es primär um rechtswidrige Polizeigewalt gegangen sei, sagte der Rechtswissenschaftler und Kriminologe Tobias Singelnstein bei der Präsentation. Für die Studie waren in den vergangenen drei Jahren 3370 Menschen befragt und 63 Experteninterviews geführt worden.
Die Wissenschaftler*innen konnten zeigen, dass das Verhalten der Polizei von Betroffenen oft als diskriminierend bewertet wurde, von Beamt*innen hingegen als »Erfahrungswissen«, welches laut Studie häufig Zuschreibungen und Stereotype enthält. Um eine fundiertere Aussage über Rassismus in der Polizei treffen zu können, empfehlen die Wissenschaftler*innen weitergehende Forschung zum Thema Rassismus und Diskriminierung in der polizeilichen Praxis. Dies mahnte im März auch die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz an. Nach der Studie »Being Black in Europe« von 2019 hielten 44 Prozent der Befragten in der EU eine selbst erfahrene Polizeikontrolle für rassistisch motiviert.
Menschen, die als »nicht deutsch« wahrgenommen werden, erleben den Kontakt mit der Polizei ganz anders als die Beamten selbst. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher der Uni Bochum.
Anwalt Blaise Francis El Mourabit ist Anwalt und vertritt ehrenamtlich Betroffene rassistischer Diskriminierung. Und auch er selbst macht unschöne Erfahrungen. Wenn er nicht im Anzug, sondern in Jogginghose unterwegs sei, werde auch er oft von der Polizei kontrolliert. Dabei komme es zu Äußerungen wie: »Rück doch die Drogen gleich raus.«
El Mourabit schilderte solche Begebenheiten am Mittwoch bei der Vorstellung aktueller Ergebnisse der Studie »Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen« der RuhrUni Bochum. Bei einer nicht repräsentativen Befragung gaben 62 Prozent der People of Color (PoC) unter den Teilnehmenden an, bei Kontrollen und anderen Kontakten zu Polizisten Diskriminierung erfahren zu haben. Menschen mit dunklerer Hautfarbe sind demnach überproportional von herabsetzendem Verhalten Beamter betroffen. Auch 42 Prozent der Personen mit Migrationshintergrund fühlten sich durch Polizisten diskriminiert, von denjenigen ohne Einwanderungsgeschichte waren es 31 Prozent.
Der Leiter der Untersuchung, der Kriminologe Tobias Singelnstein, sagte bei der Vorstellung des Zwischenberichts »Rassismus und Diskriminierungserfahrungen im Kontext polizeilicher Gewaltausübung«, diese sei zwar nicht repräsentativ, liefere jedoch wichtige Hinweise. Für die Studie wurden 3373 Personen befragt, die körperliche Gewalt durch Polizisten erfahren haben und diese als rechtswidrig einstuften. Die Befragungen hätten ergeben, dass PoC und Menschen mit Migrationshintergrund »andere Diskriminierungserfahrungen« machten und »stärkere psychologische Folgen durch die Erfahrung von Ungleichbehandlung« zu tragen hätten, so Singelnstein.
Prof. Dr. Tobias Singelnstein
Bei der Polizei gebe es demgegenüber wenig Problembewusstsein. Rassistische Einstellungen, die sich etwa durch Beleidigung von Betroffenen äußern könnten, spielten zwar eine Rolle. Wesentlich häufiger gäben Beamte aber sogenanntes Erfahrungswissen als Grund für Verhaltensweisen an. Dieses speise sich aber nicht nur aus persönlichem Erleben, sondern aus dem von Kollegen, aus gesellschaftlichen Diskursen, die von Vorurteilen und Stereotypen geprägt seien. Es handele sich also nicht um »neutrales Wissen«. Insbesondere in von der Polizei als »Gefahrengebiete« ausgewiesenen Vierteln würden Personen anders behandelt. Thematisierten Betroffene gegenüber der Polizei Diskriminierung, könne dies zu einer weiteren Eskalation führen, weil die Beamten dies als diskreditierend wahrnähmen.
Anwalt El Mourabit berichtete, Beamte träten seinen Mandanten gegenüber teilweise autoritär auf und erklärten ihnen nicht die rechtliche Grundlage von Kontrollen. Von der Politik fühlten sich viele von ihnen im Stich gelassen. Rechte Chatgruppen und aufgrund rassistischer Vorfälle abgebrochene Polizeiausbildungen sollten eigentlich ausreichen, um die Verantwortlichen zum Handeln zu bewegen. Von Einzelfällen zu sprechen, sei absurd.
Astrid Jacobsen, Professorin an der Polizeiakademie Niedersachsen, mahnte, Politik und Behörden dürften ihren »Abwehrreflex« nicht länger aufrecht erhalten. Die Polizeiforschung habe allerdings noch wenig anzubieten. Es sei aber wichtig, die richtigen Fragen zu existierenden Vorurteilen zu formulieren, um Antworten zu finden.
Auf nd-Nachfrage erklärte Singelnstein, die »Kriminalpolitik zu Clans« sei »durchaus problematisch« und die Fokussierung darauf in manchen Ländern fragwürdig. Materialien wie die jüngst als Vorurteile reproduzierend kritisierte Handreichung für Essener Polizisten zum Umgang mit Mitgliedern »krimineller Clans« hält auch der Polizeiwissenschaftler für bedenklich.
»People of Color haben stärkere psychologische Folgen durch die Erfahrung von Ungleichbehandlung.«