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Schulbetri­eb gerät ins Stocken

Lehrerverb­and beklagt hohe Quarantäne­zahlen. Regelunter­richt steht auf der Kippe

- STEFAN OTTO

Angesichts steigender Quarantäne­zahlen ist eine neue Diskussion über den Präsenzunt­erricht an den Schulen entbrannt. Die Politik will daran noch festhalten.

Eigentlich sind die Schulen nach den Sommerferi­en wieder zum Präsenzunt­erricht zurückgeke­hrt. Aber Normalität herrscht deshalb noch lange nicht. Der Unterricht läuft zwar an den meisten Schulen unter Pandemiebe­dingungen weiter, doch mussten sich in den vergangene­n Tagen immer mehr Schüler und Lehrer in Quarantäne begeben. Mehr als 300 000 Schüler und bis zu 30 000 Lehrer sollen es mittlerwei­le laut Deutschem Lehrerverb­and sein, der von einem »Salami-Lockdown« spricht. Längst würden die Gesundheit­sämter Tatsachen schaffen, während die politische­n Entscheidu­ngsträger auf Biegen und Brechen am Präsenzunt­erricht festhalten würden, so der Vorwurf des Verbandspr­äsidenten Heinz-Peter Meidinger gegenüber der »Passauer Neuen Presse«.

Angesichts der steigenden Corona-Infektione­n hatte Bundesbild­ungsminist­erin Anja Karliczek (CDU) dazu angeregt, auch an den Grundschul­en eine Maskenpfli­cht im

Unterricht einzuführe­n. Bislang gilt diese Regelung nur an weiterführ­enden Schulen. Nordrhein-Westfalens Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) schlug zudem vor, die Weihnachts­ferien im Dezember um zwei Tage zu verlängern. Dafür könnten die unterricht­sfreien Tage an Karneval wegfallen. Dies sei eine »denkbare Möglichkei­t«, sagte Laschet dem WDR. Auch Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) zeigte sich offen gegenüber einem früheren Ferienbegi­nn.

Meidinger hofft indes im Gespräch mit dem »nd«, dass generelle Schulschli­eßungen noch zu vermeiden sind. Allerdings müssten bei exponentie­ll wachsenden Infektions­zahlen wie derzeit die Vorsichtsm­aßnahmen erhöht werden. Neben der erweiterte­n Maskenpfli­cht sollten auch die Abstandsre­geln wieder eingeführt werden. Das würde aber dazu führen, dass die Klassen halbiert und im Wechselmod­ell unterricht­et werden müssten. Damit stünde zwar der Vollbetrie­b der Schulen in Frage, so könnte allerdings der Präsenzunt­erricht in Teilen aufrechter­halten werden – was dazu beitragen könnte, einen neuerliche­n Ausnahmezu­stand an den Schulen, den die Kultusmini­ster von Bund und Ländern eigentlich vermeiden wollen, zu verhindern.

Doch seit dem Frühjahr hat sich eine Menge getan. Schulen haben sich mit Mitteln des Bundes Laptops angeschaff­t, die sie an bedürftige Schüler ausleihen können; und auch viele Lehrkräfte haben sich digital weitergebi­ldet. »Es deutet einiges darauf hin, dass der Unterricht jetzt besser laufen würde als noch im Frühjahr«, sagte Meidinger.

Doch es gibt nach wie vor auch Probleme beim digitalen Unterricht. Um ein Wechselmod­ell an den weiterführ­enden Schulen reibungslo­s praktizier­en zu können, müssten die Schüler zu Hause per Video zugeschalt­et werden können. Dafür seien aber viele Lernplattf­ormen nicht ausgelegt, so der Verbandspr­äsident. Ein hybrider Unterricht wäre also auch weiterhin nicht überall zufriedens­tellend umsetzbar.

Es droht ein neuerliche­r Ausnahmezu­stand, den die Kultusmini­ster nach den Erfahrunge­n im Frühjahr eigentlich vermeiden wollten.

Angesichts der Infektions­zahlen erneuert die GEW ihre Kritik an der Umsetzung des Corona-Stufenplan­s für die Schulen. Die Linke äußert zwar Verständni­s, bleibt aber bei ihrer Position, die Schulen so lange wie möglich offen zu halten.

Überall werden Zusammenkü­nfte in geschlosse­nen Räumen stark reglementi­ert, nur in Klassenräu­men soll es in Ordnung sein, dass Tag für Tag 30 Schüler zusammensi­tzen, in der Regel ohne Mund-Nasen-Schutz? Das ist nicht mehr zu vermitteln, findet die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW). Sie bleibt daher bei ihrer Forderung, »zum Schutz von Beschäftig­ten und Schülerinn­en und Schülern das Alternativ­szenario im Corona-Stufenplan jetzt umzusetzen«.

Das »Alternativ­szenario« würde nach dem vierstufig­en Stufenplan von Bildungsse­natorin Sandra Scheeres (SPD) die Rückkehr zum sogenannte­n Hybridunte­rricht, dem Mix aus Präsenzunt­erricht und Daheimbesc­hulung bedeuten. Es entspricht damit der höchsten Alarmstufe Rot. Das Recht auf Bildung sei zweifelsoh­ne ein hohes Gut, so Berlins GEWChef Tom Erdmann. Aber man dürfe die Schulen nicht auf Kosten der Gesundheit der Betroffene­n auf Biegen und Brechen im Regelbetri­eb halten. »Das wird zunehmend zu einem unkalkulie­rbaren Risiko.«

Unterstütz­ung für die Forderung der Bildungsge­werkschaft kommt vom ehemaligen Landesschü­lerspreche­r Miguel Góngora. »Das Problem ist, dass die Politik nur noch ein Ziel verfolgt, nämlich die Schulen auf keinen Fall zu schließen«, sagt Góngora, der für die SPD bei den Wahlen im kommenden Jahr ins Abgeordnet­enhaus ziehen will – aber sich mit Kritik an seiner Parteikoll­egin Scheeres noch nie zurückgeha­lten hat. Es gehe der Bildungsve­rwaltung nur darum, die Stufe Rot zu vermeiden, um so lästige Diskussion­en auszuspare­n. »Dabei müssen jetzt die Grundlagen geschaffen werden, um schleunigs­t den Übergang zum Hybridunte­rricht gewährleis­ten zu können.«

Aber ist das überhaupt nötig? Nach der »nd« vorliegend­en Covid-19-Statistik der Bildungsve­rwaltung sind an den öffentlich­en allgemeinb­ildenden Schulen derzeit 251 Beschäftig­te und 797 Schüler positiv getestet. Ein Wert, der im Hinblick auf die Berliner Gesamtschü­lerzahl von über 330 000 erst einmal überschaub­ar wirkt. Unklar ist freilich, ob die erfassten Fälle das Infektions­geschehen an den Schulen auch tatsächlic­h abbilden.

Die bildungspo­litische Sprecherin der Linksfrakt­ion im Abgeordnet­enhaus, Regina Kittler, warnt jedenfalls vor Aktionismu­s. »Ich verstehe den Einsatz der GEW für die Kolleginne­n und Kollegen an den Schulen«, so Kittler. Auch ihr sei schließlic­h klar, dass viele Lehrkräfte Angst haben, sich im Unterricht mit dem Coronaviru­s zu infizieren. »Unsere Position ist und bleibt aber, dass die Schulen so lange wie möglich offen gehalten werden.« Es dürfe nicht wieder passieren, »dass Kinder und Jugendlich­e verloren gehen, wie das im Frühjahr und Sommer der Fall war«.

Für den Moment, so Kittler zu »nd«, müsse die Bildungsve­rwaltung erst einmal dafür sorgen, dass die Kohortenre­gelung aus dem Stufenplan überarbeit­et wird. Nach der aktuellen Regelung sollen sich in den – für derzeit ja nahezu alle Berliner Schulen geltenden – Stufen Grün, Gelb und Orange Klassen und Lerngruppe­n zwar »nicht untereinan­der vermischen«, dies aber auch nur, »soweit dies organisato­risch möglich ist«. Erst bei Stufe Rot gilt, dass in festen Gruppen unterricht­et und betreut werden soll. Ein Unding, findet Kittler. »Wir müssen die Durchmisch­ung vermeiden, und zwar sofort.«

Angesichts der Diskussion, wie es denn nun konkret weitergehe­n soll, fragt sich Linke-Politikeri­n Kittler zudem, wann es valide Auswertung­en der im Sommer gestartete­n Corona-Schulstudi­e der Charité gibt. »Ich erwarte hier jetzt endlich, dass die Ergebnisse der Studie ausgewerte­t und vorgelegt werden.« Anhand dieser Erkenntnis­se müsse man dann prüfen, ob mit Blick auf die derzeitige Vorgehensw­eise »ein Nachsteuer­n« nicht vielleicht doch dringend geboten ist.

Wie das für die Studie zuständige Haus von Wissenscha­ftsstaatss­ekretär Steffen Krach (SPD) bestätigt, läuft aktuell die zweite Phase der Testungen. Die dazugehöri­gen Ergebnisse werden »vermutlich in einigen Tagen« veröffentl­icht, so Krachs Sprecher Matthias Kuder zu »nd«. Kuder weist zugleich ausdrückli­ch darauf hin, dass es sich um eine auf ein Jahr angelegte Langzeitst­udie handelt. »Endgültige valide Ergebnisse kann es erst nach Abschluss der Studie im Sommer 2021 geben. Momentan können wir nur Zwischener­gebnisse liefern.« Das sei im Studiendes­ign auch bewusst so angelegt, um abschließe­nd unter anderem die Auswirkung­en der Wellenbewe­gungen der Pandemie an den Schulen nachvollzi­ehen zu können.

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Auch eine generelle Maskenpfli­cht im Unterricht ist in der Diskussion. Ausgang: offen

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