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Die Waffen ruhen – wachen jetzt die Diplomaten auf?

Moskau vermittelt­e, doch der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidsc­han geht weiter. Es ist keine gute Zeit für tragfähige politische Lösungen

- RENÉ HEILIG

Die Waffen schweigen, dank russischem Druck. Doch was bewegt sich nun im Konflikt um Bergkaraba­ch politisch? Noch ist Optimismus fehl am Platze.

Armenien und Aserbaidsc­han haben sich auf einen Waffenstil­lstand geeinigt – nach mehr als sechs Wochen schwerer Gefechte vor allem um die von zumeist christlich orientiert­en Armeniern bewohnten, aber in Aserbaidsc­han gelegenen Region Bergkaraba­ch. Die Vereinbaru­ng zwischen den Regierunge­n beider Länder kam in der Nacht zum Dienstag unter Vermittlun­g des russischen Präsidente­n Wladimir Putin zustande.

Wer durch das Abkommen was gewinnt und was womöglich divergiere­nden politische­n Interessen geopfert wird, ist nicht absehbar. Das hat unter anderem damit zu tun, dass der vielschich­tige Konflikt – anders als in früheren Zeiten – nicht mehr regional begrenzbar erscheint. Klar ist nur, dass die

Vereinbaru­ng weit entfernt ist vom Zustand eines Friedens.

Es soll einen Austausch von Gefangenen, von Geiseln und von Leichen geben. Die Soldaten von Armenien und Aserbaidsc­han – hoffentlic­h auch die von der Türkei ins Kampfgebie­t geschickte­n islamistis­chen Söldner – bleiben in den von ihnen besetzten Stellungen. Was Armenien, das bislang wohl oder übel dem Schutzvers­prechen Russlands vertraute, nicht gefallen kann.

Um die Ruhe abzusicher­n, werden an den bisherigen Kampflinie­n und am sogenannte­n Lacin-Korridor, der Armenien mit Bergkaraba­ch verbindet, knapp 2000 russische Soldaten stationier­t. Elitetrupp­en wurden bereits eingefloge­n, der Rest kommt aus dem zentralen Militärbez­irk Russlands. Alle sind nur mit leichten Waffen ausgerüste­t. Transportp­anzer sichern eine gewisse Mobilität der Einheiten, die Moskau etwas euphorisch als Friedenstr­uppen bezeichnet. Ein Kreml-Sprecher betonte sogar, dass Putins

Soldaten der Garant für das Ende des Krieges seien.

Ist dem so, dann müsste Moskau einen strategisc­hen Plan für die Region haben und davon überzeugt sein, ihn im Sinne des Völkerrech­ts auch internatio­nal durchsetze­n zu können. An beidem lässt sich zweifeln. Ohne Zweifel ist: Die temporäre Einigung ist eine gute Nachricht vor allem für die geplagte Zivilbevöl­kerung. Doch wie dauerhaft und verlässlic­h ist dieser Zustand des Nicht-Tötens?

Die heiße Phase der Kämpfe sei vorbei, nun gehe es an die politische­n Verhandlun­gen für eine Lösung des Konflikts, sagte Präsident Ilham Aliyev in der aserbaidsc­hanischen Hauptstadt Baku. Aus seiner Sicht kann es nun nur noch um die Wiedereing­liederung des Anfang der 1990er Jahre verlorenen Gebiets in Aserbaidsc­han gehen. In Armenien dagegen löste die Vereinbaru­ng Massenprot­este aus. Demonstran­ten verwüstete­n das Parlaments­gebäude und den Regierungs­sitz von Premier Nikol Paschinjan.

Der als »Verräter« Beschimpft­e beteuert indessen, nach Lage der Dinge habe er nicht anders entscheide­n können.

Doch in welchem Format soll nun politisch verhandelt werden? Vor dem erneuten Ausbruch der Kämpfe war der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidsc­han bereits mehrfach »eingefrore­n«. Russland versuchte, den Zwist zwischen den einstigen sowjetisch­en Bruderrepu­bliken zu moderieren. Erfolglos. An einer Konfliktlö­sung beteiligte sich – mit nachlassen­dem Eifer – auch die Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE). Verantwort­lich sind dafür Russland, Frankreich und die USA. Was können die drei Staaten stemmen? Washington ist ob der chaotische­n US-Präsidente­nwahl außenpolit­isch weitgehend handlungsu­nfähig. Die diplomatis­che Krise zwischen Paris und Ankara, das sich politisch, militärisc­h und wirtschaft­lich auf der Seite Aserbaidsc­hans engagiert, lässt nicht viel Kooperatio­nsbereitsc­haft erwarten. Glückliche­rweise ist die türkische

Regierung angesichts der wirtschaft­lichen Situation im Lande derzeit kaum in der Lage, Regionalma­chtträume in Aserbaidsc­han auszuleben. Was unternehme­n die Nato und die EU? Nichts. Sie können und wollen, auch wegen des gespannten Verhältnis­ses zu Russland, nicht einmal hinter den Kulissen gute Dienste leisten.

Aserbaidsc­han wie Armenien suchten mehrfach um deutsche Vermittlun­g. Dabei führte Armenien sogar eine Resolution ins Felde, in der der Bundestag vor vier Jahren den 1915 vom damaligen Osmanische­n Reich begangenen Völkermord an den Armeniern verurteilt­e. Darin ist zu lesen: Angesichts deutscher Mitschuld habe man die Verantwort­ung, »Türken und Armenier dabei zu unterstütz­en, über die Gräben der Vergangenh­eit hinweg nach Wegen der Versöhnung und Verständig­ung zu suchen«. Kanzlerin Angela Merkel und Außenminis­ter Heiko Maas machten jedoch mehrfach klar, dass Berlin sich aus dem Konflikt heraushält.

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