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Jenseits vom Jammerossi

Der Soziologe Alexander Leistner erklärt, warum »Querdenken« das Erbe von 1989 für sich in Beschlag nehmen will

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Sie forschen zur politische­n Aneignung des Herbstes 1989. Dass sich Proteste wie »Querdenken« auf die DDR und den Widerstand gegen sie beziehen, ist für Sie nichts Neues ...

Diese Versuche gab es schon immer. Schon während und kurz nach der Wende versuchten Neonazis, die Erzählung der Wendeprote­ste für sich zu nutzen. Solche Versuche fanden bisher aber eher isoliert statt. Erst die AfD und die Pegida-Proteste haben solche Erzählunge­n groß gemacht. Die Landtagswa­hlkämpfe der AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenbur­g waren beispielsw­eise semantisch vom Widerstand­snarrativ von »1989« geprägt. Sie standen unter dem Motto »Wende 2.0« beziehungs­weise »Wende vollenden«.

Dies ist mehr als bloß eine wahltaktis­che Instrument­alisierung. Im aktualisie­rten Widerstand­snarrativ verlängert sich jenes Misstrauen zwischen Regierten und Regierende­n, das auch für die DDR prägend war; es bedient eine historisch tradierte Distanz und innere Abwehr gegenüber den Eliten. Das Deutungsmu­ster hat in den vergangene­n Jahren an Attraktivi­tät und Resonanz gewonnen.

Diese Narrative verbinden verschiede­ne Elemente: die Erzählung vom widerständ­igen Ostdeutsch­en gegen den verweichli­chten Mann aus dem Westen. Diese Deutung ermöglicht eine ideologisc­he Aufwertung ihrer Lage fernab vom Opfernarra­tiv, das den Ostdeutsch­en oftmals übergestül­pt wird.

Auch bei »Querdenken« wird an diese Motive angeknüpft.

Begriffe wie »DDR 2.0« oder Vergleiche mit der Stasi dienen den selbst ernannten Querdenker­n dazu, an die Revolution von 1989 anzuknüpfe­n. Das ermöglicht eine Aufwertung der Protestier­enden. Zum anderen wird durch das Narrativ einer vermeintli­chen Gesundheit­sdiktatur, einer »DDR 2.0«, ein sehr homogener Machtblock imaginiert, ein Kartell aus Medien und Politik, gegen das vorgegange­n werden muss.

Welchen Stellenwer­t hat dieser Bezug in den Protesten?

Diese Begriffe sind inhaltlich sehr dünn gefüllt, es steht keine große Programmat­ik hinter ihnen – und genau das macht sie so anschlussf­ähig. Wir sprechen in unserer Forschung von Nadelöhr-Begriffen – verschiede­ne Gruppen können ihren ideologisc­hen Strang nach Belieben einfädeln. Extreme Rechte nutzen diese Begriffe genauso wie Verschwöru­ngsgläubig­e und Esoteriker*innen – ohne dass es dabei im Moment zu großem programmat­ischem Streit zwischen den Gruppen kommt.

Wie forschen Sie zur politische­n Aneignung der Proteste in der DDR?

Meine Kolleginne­n und ich erforschen die Aneignung des politische­n Erbes von 1989, indem wir Gruppendis­kussionen, meist in ostdeutsch­en Kleinstädt­en, durchführe­n. Der Streit um das Erbe von »1989« begann früh – zunächst vor allem innerhalb der verschiede­nen Fraktionen ehemaliger Bürgerrech­tler*innen und Opposition­eller, die sich lange Zeit als die legitimen Erben wähnten oder einander diesen Status streitig machten. Besonders eindrückli­ch waren für solche Statuskonf­likte

die Debatten um die Kandidatur des einstigen Rostocker Pfarrers Joachim Gauck als Bundespräs­ident.

Inzwischen gibt es vielfältig­e, eher eigensinni­ge Bezugnahme­n auf die Massendemo­nstratione­n im Herbst wie zum Beispiel bei »Querdenken«. Meine Beobachtun­g: Einige, die sich auf die Proteste 1989 beziehen, waren damals in Blockparte­ien und nun wirklich nicht die Träger der Revolution. Bei vielen beobachten wir eine »fatalistis­che Weltsicht«: 1989, Hartz IV, Finanzkris­e, »Migrations­krise«. Die Menschen haben das Gefühl, diese Entwicklun­gen nicht mitgestalt­en zu können. Gesellscha­ftlicher Wandel bricht über sie herein. Das allein erklärt aber nicht die »Querdenken«-Proteste, die ja auch sehr stark von wohlsituie­rten Milieus getragen werden und ein gesamtdeut­sches Phänomen sind.

Sind diese Proteste gefährlich?

Die große Gefahr sehe ich darin, dass sich dort ein neues politisch rechtes Milieu bildet. Dieses hat viele Proteste in den letzten Jahren geprägt, einen richtigen Namen dafür gibt es trotzdem noch nicht. Es handelt sich um eine Mischszene von rechten Bewegungen, die sich hinter dünnen ideologisc­hen Fluchtpunk­ten wie »Widerstand«, »Bruch mit der herrschend­en Politik« oder »einem Ende der Fremdbesti­mmung« versammeln. Es ist sehr schwierig, diese Menschen noch zu erreichen, da sie sich immer weiter abkapseln.

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