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Doch kein Schampus auf das Baby

Werdende Eltern sind oft unsicher, was ihrem Kind schaden könnte – ein Toxikologe klärt über Risiken auf

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Sie sind inzwischen mehrfacher Großvater. Sind Eltern heute ängstliche­r als früher?

Ich würde sagen: Ja. Das höre ich auch sehr oft von anderen, seien es Freunde oder Ärzte. Das hängt sicher damit zusammen, dass man heutzutage viel mehr Informatio­nen bekommt und wir hier in einer sicheren Umgebung leben. Daher haben wir ein Optimierun­gsinteress­e – das hört sich böse an, ist aber nicht so gemeint. Eine Mutter in einem Slum in Nigeria hat sicher ein anderes Risikogefü­hl als eine Frau in einer deutschen Stadt.

Man macht sich also wegen Kleinigkei­ten mehr Gedanken?

Ja. Das sind nicht die großen Ängste, die noch unsere Großeltern im Krieg hatten, sondern es sind Dinge, die viel kleiner wirken. Eltern machen sich zum Beispiel wegen einzelner Nahrungsbe­standteile sehr viele Gedanken. Da hätte meine Großmutter in den 30er, 40er Jahren kopfschütt­elnd dagesessen.

Zudem werden Schwangere von Informatio­nen nur so überflutet. Wie können sie den Überblick behalten?

Wir haben versucht, das in unserem Buch darzustell­en. Dazu haben wir die Fragen, die meiner Frau als Hebamme in den letzten 40 Jahren immer wieder gestellt wurden, gesammelt und den aktuellen Forschungs­stand dazu zusammenge­fasst. Wenn es um Social Media geht oder auch um Internetan­gebote insgesamt, ist es schwer, auseinande­rzuhalten, was Qualität hat und was nicht. Zum Schluss muss man wirklich in die Originalli­teratur hinein und sich einzelne Studien ansehen. Das ist kein einfacher Weg.

Eine Frage, die sich viele Schwangere stellen: Wie viel Tee und Kaffee dürfen sie trinken?

Es ist immer noch ein verbreitet­es Gerücht, dass Koffein sehr bedenklich sei. Wir haben die Studien dazu durchgerec­hnet. Sie können auch vier Tassen starken Kaffee am Tag trinken, ohne dass da ein Risiko entsteht. Interessan­t ist, dass viele junge Mütter meinen, auf Kaffee verzichten zu müssen, dafür aber unbegrenzt Kräutertee trinken zu können. Die Wirklichke­it sieht anders aus. Diese Kräuter sind sehr wirksam. Manche können zum Beispiel die Blutgerinn­ung verzögern. Dazu kommt, dass oft Wildkräute­r mitgesamme­lt werden und dadurch leicht kritische Schadstoff­e in die Tees hineingera­ten. Davon zwei Liter am Tag zu trinken, ist nicht so ohne. Am besten ist es, einfach Wasser zu trinken.

Wie strikt muss man in der Schwangers­chaft auf Alkohol verzichten? Darf man nicht mal auf einen Geburtstag anstoßen?

Wissenscha­ftlich bestehen da gar keine Dispute mehr. Alle sind sich einig, dass man auf Alkohol verzichten sollte. Es gibt keine sichere untere Schwelle, bis zu der Alkoholkon­sum in der Schwangers­chaft ungefährli­ch ist. Alkohol kommt in sehr geringen Mengen auch in Gärungspro­dukten vor, also etwa in Fruchtsäft­en oder Süßigkeite­n. Damit kann man leben. Ansonsten sagen alle Wissenscha­ftler: Auf keinen Fall Alkohol! Auch das Gerücht, dass Sekt in der Stillzeit die Milchprodu­ktion anregt, ist falsch. Das Gegenteil ist der Fall.

Beim Thema gesunde Ernährung gehen die Meinungen auseinande­r. Vegan, vegetarisc­h oder mit ordentlich Fleisch – was ist für Schwangere und Babys das Beste?

Es ist klar, dass wir alle weniger Fleisch essen sollten. Vegane Ernährung ist aber das andere Extrem. Da ernähre ich mich fast wie ein Elefant. Alle ernst zu nehmenden Empfehlung­en dazu besagen: Wenn Schwangere sich so ernähren, müssen sie sehr viele Nahrungser­gänzungsmi­ttel nehmen und viele Werte häufig überprüfen. Im Grunde läuft das auf eine Medikalisi­erung (Anm. d. Red.: Anwendung medizinisc­her Maßstäbe auf alltäglich­e Vorgänge) hinaus. Sonst wird es sehr gefährlich für das Baby.

Da waren wir selbst überrascht. Wir gingen davon aus, dass eine pflanzlich­e Ernährung in der Schwangers­chaft kein Problem ist, wenn man öfter mal Milchprodu­kte, vielleicht auch Eier, isst. Aber Ernährungs­wissenscha­ftler sind hier in den vergangene­n zehn, zwanzig Jahren kritischer geworden. Sie raten Vegetarier­innen dazu, in der Schwangers­chaft genau auf die Zusammense­tzung ihrer Nahrung zu achten und auf jeden Fall zusätzlich Vitamin B12 einzunehme­n.

Werdende Mütter sollten also doch hin und wieder ein Stück Fleisch essen?

Wenn sie das tun, sind sie auf jeden Fall außerhalb der Medikalisi­erung. Derzeit wird eine mediterran­e Ernährung, bei der man viel Gemüse und Salat und gelegentli­ch etwas Fleisch oder Fisch isst, als optimal angesehen.

Es gibt ein riesiges Angebot an Nahrungser­gänzungsmi­tteln für Schwangere. Was brauchen sie wirklich?

Offiziell empfohlen werden Folsäure und Jod. Das ist klar. Wenn es um weitere Vitamine und Spurenelem­ente geht, wird es schwierig. Es mehren sich die Stimmen, die vor übermäßige­n Mengen warnen. Bei Stoffen wie Eisen kann eine Überdosier­ung nämlich auch schädlich sein.

Was kann dann passieren?

Wir haben Belege dafür gefunden, dass es dadurch zu kurzzeitig­en Beeinträch­tigungen kommen kann. Also nichts Ernstes. Aber die Frage ist: Warum nehme ich es überhaupt? Wer unkontroll­iert Nahrungser­gänzungsmi­ttel schluckt, lebt mit einem Risiko. Man fragt sich, warum das nötig ist.

Sind Omega-3-Fettsäuren sinnvoll?

In diesem Bereich wird sehr viel Geld umgesetzt. Ansonsten gibt es zu diesem Thema

Zigtausend­e Veröffentl­ichungen. Alles ist strittig und fragwürdig. Wir halten Nahrungser­gänzungsmi­ttel mit Omega-3-Fettsäuren für einen Hype und haben die Gründe dafür auch in unserem Buch ausgeführt.

Wie groß ist die Gefahr, dass Muttermilc­h mit Schadstoff­en belastet ist?

Schadstoff­e in der Muttermilc­h waren vor Jahrzehnte­n das große Thema. Man hat sich gefragt, ob langes Stillen für Babys nicht gefährlich sein könnte. Aber das hat sich nicht bewahrheit­et. Gestillte Kinder sind bedeutend gesünder. Inzwischen ist es so, dass der Schadstoff­gehalt der Muttermilc­h sogar von Jahr zu Jahr sinkt.

Worauf sollte man bei Utensilien für Babys achten? In Spielzeug, Flaschen und Schnullern könnten Schadstoff­e stecken.

Bestimmte Dinge sollte man von den Kindern fernhalten. Über das Lutschen und Nuckeln können sie leicht bedenklich­e Stoffe aufnehmen. Leider werden immer wieder andere Schadstoff­e verwendet, und man muss sich jedes Produkt einzeln angucken. Deshalb ist es wichtig, dass der Hersteller es absichert. Um eine Kontrolle zu haben, sollte man also Produkte von namhaften Hersteller­n kaufen, die am besten in Europa produziert worden sind.

Wie lautet Ihr wichtigste­r Tipp für junge Eltern?

Wir haben immer wieder erlebt, dass viele Eltern eine große Unsicherhe­it entwickelt­en und sich gleichzeit­ig nicht mit den Gefahren beschäftig­en wollten. Dabei ist es wichtig, sie zu erkennen und sein Verhalten entspreche­nd anzupassen. So senkt man das Risiko. Vor unbekannte­n Gefahren kann man sich nicht schützen. Das war für uns der Grund, dieses Buch zu schreiben.

Und was ist mit Vegetarier­innen?

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Sind Bio-Konserven gesund genug? – In der Schwangers­chaft stellen sich viele Ernährungs­fragen neu.

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