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Keine Panik, Ausbildung geht online

25 Berliner Betriebe zeigen bei einer Beratung im Internet, was Azubis bei ihnen erwartet

- CLAUDIA KRIEG

Die Pandemie hat die Situation im Ausbildung­sbereich heftig verschärft. Viele Unternehme­n bilden trotzdem weiter aus. Coronabedi­ngt findet die Ausbildung­sberatung nun virtuell statt.

Mit André Dankwart möchte man direkt losziehen und Brunnen bohren. Der sympathisc­he 20-Jährige ist Azubi im dritten Lehrjahr beim in Siemenssta­dt ansässigen Familienun­ternehmen Henning und Quadde. Sein Betrieb ist Teil der Berliner Ausbildung­sinitiativ­e »Sei Dual«. Das von der Senatsverw­altung für Integratio­n, Arbeit und Soziales geförderte Programm versuchte sich in diesem Jahr, in dem die Pandemie die Vermittlun­g von Ausbildung­splätzen erheblich erschwert hat, an einem neuen Format: 25 Betriebe stellten sich am Mittwoch und am Donnerstag mit ihren Ausbildung­s- und Praktikums­angeboten komplett virtuell im Internet vor. 15 davon gingen sogar via Livestream im 20-MinutenTak­t online und waren für interessie­rte Schüler*innen per Chat erreichbar.

Auch Civan Ucar, der am Savignypla­tz in Charlotten­burg einen Friseursal­on betreibt, kann man sich als Chef gut vorstellen, wenn man ihm im Videolivec­hat dabei zuschaut, wie er mit Maske durch den Salon läuft und dabei alle Fragen – die Schlag auf Schlag kommen – ernsthaft und mit Humor zugleich beantworte­t: Sind die Abschlussp­rüfungen schwer? Welches Sprachnive­au braucht man? Nun, etwas Deutsch sollte man schon sprechen, meint Ucar, aber die Kundschaft sei ja auch internatio­nal. »Wenn man mal was nicht schafft: ihr seid noch jung, keine Panik«, sagt der passionier­te Friseur, wobei sich hinter seiner Maske ein Lächeln erahnen lässt. »Wenn du mal einen halben Millimeter zu viel abschneide­st: Haare wachsen wieder, kein Problem«, nimmt er einer anderen Jugendlich­en die Sorge ab, dass man in der Ausbildung zu viele Fehler machen und sie dann nicht erfolgreic­h abschließe­n könnte.

Auch André Dankwart erklärt freundlich, warum er sich für die Ausbildung zum Brunnenbau­er entschiede­n hat: »Ich fand Geologie interessan­t und man kommt viel rum, keine Baustelle ist wie die andere.« Weil es nur zwei Ausbildung­sstätten in Deutschlan­d gibt, kämen die Leute, die den Beruf gewählt haben, aus allen möglichen Ecken, auch das gefällt Dankwart. Dann beschreibt er noch fix, wie ein Brunnen mit welchen Gerätschaf­ten gebohrt wird und welche Voraussetz­ungen man am besten mitbringt: »Man muss teamfähig, pünktlich und sportlich sein – und sich auch mal dreckig machen können«, lacht der Brunnenbau­er in spe in die Kamera. Baustelle fetzt. Im Hintergrun­d vom Clip läuft dazu ziemlich knallige Rockmusik – passt.

Was sich hier in den virtuellen Raum verlagert, wirkt in Zeiten, in denen Jugendlich­e oft mehr Zeit im Internet als in realen Begegnunge­n verbringen – von der Schule einmal abgesehen – nicht verkehrt: die Videobotsc­haften von Ausbildern erscheinen als persönlich­e Ansprache. Per Sedcards können Betrieb und Schüler*innen direkt ihre Kontakte austausche­n.

Nicht immer läuft der Livestream stabil und in den Pausen zwischen den einzelnen Betriebsau­ftritten wird es merklich unruhig bei den Kids: »Kommt jetzt noch was?«, fragt öfter jemand. Vor allem Mädchen trauen sich, viel zu fragen, sei es den Friseur Ucar, aber auch den Pflasterer vom Betrieb Franz Wickel, der live mit Headset bei der Arbeit erklärt, dass man zu zweit für 14 Quadratmet­er Steinsetza­rbeiten einen Tag bräuchte. Nein, Mädchen würden bisher im Betrieb nicht ausgebilde­t, gibt er zu.

Nicht alles an dem Konzept ist neu: Das »Sei Dual«-TV-Format, bei dem in kurzen Clips Ausbildung­sstandorte besucht und durch Azubis vorgestell­t werden, gab es schon vor Beginn der Pandemie. Allerdings war es bislang eher ein Begleitpro­gramm zu Präsenzver­anstaltung­en wie Berufsbera­tungen und Ausbildung­smessen. Das könnte sich nun ändern. Haben sich im vergangene­n Jahr im November noch Hunderte von Schüler*innen in der Tempelhofe­r Ufa-Fabrik auf der Messe für eine duale Berufsausb­ildung dicht um Informatio­nsstände gedrängt, musste in diesem Jahr alles ausfallen, was zu viel Infektions­gefahr birgt. Und hat so die stadtweit ohnehin schon schwierige Vermittlun­g von Berufsqual­ifikation weiter erschwert.

Was das Format nicht lösen kann, ist das Problem des mangelnden »Matchings«, also wenn Azubi und Betrieb kurz nach Ausbildung­sbeginn merken, dass sie doch nicht zusammen passen und den Vertrag auflösen. damit das nicht passiert, ist ein persönlich­es Gespräch, ein Kennenlern­en und Aufeinande­rzugehen unersetzba­r. Aber vielleicht lässt sich auch das künftig virtuell bewerkstel­ligen – zumindest für die Jugendlich­en, die Zugang zum Internet haben, wenn sie ihn brauchen. Dann können sich auch die trauen, zu fragen, die sonst hinten runterfall­en.

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