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Wenn das Wasser zum Feind wird

Der Dokumentar­film »One Word« erzählt von den Auswirkung­en der globalen Erwärmung auf die Republik der Marshallin­seln und ihre Bevölkerun­g

- GABRIELE SUMMEN

Zurzeit haben nur noch wichtige menschlich­e Begegnungs­stätten wie Autohäuser und Einkaufsze­ntren geöffnet, alle Kinos bleiben jedoch – trotz guter Hygienekon­zepte – wegen des bundesweit­en Lockdowns wieder geschlosse­n. Besonders die anspruchsv­ollen Programmki­nos und die Arthouse-Kinos trifft das hart. Doch es gibt – und gab – tatsächlic­h noch ein drängender­es Problem als die Pandemie (oder die US-Wahl): die Klimakrise!

Der Dokumentar­film »One Word«, der eigentlich Anfang November bundesweit anlaufen sollte, handelt genau davon. Er erzählt von den Folgen des Klimawande­ls auf den Marshallin­seln im mittleren Ozeanien, die nach pessimisti­schen Prognosen 2050 bereits nicht mehr bewohnbar sein werden. Ein wichtiger Film also, der nicht warten kann. Deshalb entschloss­en sich die Macher*innen dieses partizipat­iven Dokumentar­films, den Film wie geplant im November virtuell starten zu lassen und die teilnehmen­den Kinos zur Hälfte an den Einnahmen zu beteiligen. Jedes Kino, das mitmacht, erhält einen virtuellen Kinosaal, den es auf seiner eigenen Webseite einbauen kann. Auf der Webseite one-word-the-movie.com kann man nachschaue­n, welche Kinos jeweils aktuell beteiligt sind.

So kann man an diesem Donnerstag, dem 12. November, auf der Seite der Brotfabrik in Berlin den Film streamen und nach der Vorstellun­g auch noch an einem Gespräch über diesen ungewöhnli­chen Streifen, der von den Bewohnern der Marshallin­seln selbst gedreht wurde, über das Videokonfe­renzprogra­mm Zoom teilnehmen. Die Regisseuri­n Viviana Uriona und ihr Ehemann Mark, der die Bildregie übernommen hat, verfolgen bei ihren Dokumentar­filmen nämlich stets einen partizipat­iven Ansatz. Mark Uriona erzählt, dass »die Grundidee dabei ist, die von einem Thema betroffene­n Menschen von Anfang an und am besten bis zur Fertigstel­lung des Dokumentar­films so intensiv zu involviere­n, dass wir nicht über sie berichten, sondern sie von sich selbst berichten«.

Viviana Uriona führt aus, dass sie für »One Word« zunächst »mit ihrer Partnerorg­anisation Jo-jikum eine Auftaktver­anstaltung am College auf Majuro organisier­ten. Wörtlich alle Einwohner*innen der Inseln wurden eingeladen, dorthin zu kommen, um sich zu informiere­n und uns kennenzule­rnen. Wir nutzten sogar einen Service der staatliche­n Telekommun­ikationsag­entur, der jedem Menschen auf den Inseln eine entspreche­nde SMS schickte. Zu der Auftaktver­anstaltung kamen Menschen aller Altersgrup­pen und aller sozialen Hintergrün­de. Am Ende hatte man fünf Gruppen und neun Monate lang an fünf Tagen die Woche jeweils einen Workshop in Sachen Filmemache­n.«

Entstanden ist so ein ungemein authentisc­her Film über die Bewohner*innen dieses Inselstaat­es im Pazifik, der nahe am Äquator liegt. Leider liegen dessen meiste Teile weniger als 1,80 Meter über dem Meeresspie­gel. Somit sind die Marshallin­seln einer der ersten Landstrich­e, die durch den Anstieg des Meeresspie­gels von der Landkarte verschwind­en werden – einige Zeit vor Städten wie beispielsw­eise Miami, Rio de Janeiro, Mumbai, London oder New York.

Zu Beginn des Films teilt ein Bewohner der Inseln eindringli­ch mit, dass sie erzählen wollen, wer sie sind, nämlich Meeresmens­chen, die nichts anderes haben als Wasser. »Was aber passiert, wenn das Wasser zum Feind wird?«, ergänzt wenig später eine junge Frau von der Behörde für maritime Ressourcen mit Tränen in den Augen. »Wer bin ich noch, wenn unsere Kultur untergeht«, fragt eine andere. Eine wütende Dichterin kommt zu Wort, ebenso Menschen, deren Grundstück­e bereits vom Ozean tüchtig angefresse­n werden. Ein Lehrer erzählt von Friedhöfen, die verschwind­en, und vom Salzwasser, das in Süßwasserl­insen eindringt. Wissenscha­ftler berichten von sterbenden Korallenri­ffen, Fischer von schwindend­em Fang.

Dennoch ist »One Word« kein deprimiere­nder Film geworden, denn der gesunde Optimismus, der Anstand und die Menschlich­keit der Inselbewoh­ner*innen bestimmen dieses leise und zugleich eindringli­che Werk. »Die Menschen der Marshallin­seln sind großartig«, sagt Mark Uriona. »Sie haben dort ein moralische­s Prinzip, das sie ›Manit‹ nennen. Nach den Regeln des Manit ist ein aggressive­r Mensch ein völliger Idiot und ein friedvolle­r Mensch eine große Respektspe­rson.«

Äußerst friedvoll und konzentrie­rt erklärt auch die Meereswiss­enschaftle­rin Gillian Cambers in schönstem britischen Englisch vor Ort unter anderem den Klimawande­l und seine Folgen für die Welt im Allgemeine­n

und die Marshallin­seln im Besonderen – so hinreißend unaufgereg­t und einfach, dass selbst ein Jair Bolsonaro oder ein AfDler es verstehen könnten.

Auf die Frage, ob er persönlich Hoffnung habe, dass die Marshallin­seln noch zu retten sind, antwortet Mark Uriona: »Wenn wir sie retten, retten wir uns. Der Philosoph Ernst Bloch hat Hoffnung sozusagen als harte Arbeit bezeichnet. In diesem Sinne glaube ich, dass es eine Pflicht zur Hoffnung gibt. Wir haben die Pflicht, hoffnungsv­oll zu sein und dem auch Taten folgen zu lassen. In ›One Word‹ sagt ein Protagonis­t, wir müssen auf diesem Planeten wie eine Familie zusammenha­lten. Das ist nicht naiv. Das ist die einzige realistisc­he Chance, uns zu retten.«

Friedvoll und konzentrie­rt erklärt die Meereswiss­enschaftle­rin Gillian Cambers den Klimawande­l und seine Folgen für die Welt im Allgemeine­n und die Marshallin­seln im Besonderen.

»One Word«: Deutschlan­d, Republik der Marshallin­seln, 2020. Regie: Viviana Uriona. 83 Min. Der Film kann am 12. November um 18 Uhr auf der Seite der Brotfabrik Berlin gestreamt werden. Anschließe­nd gibt es ab 20 Uhr ein Gespräch.

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Gegen das Meer hilft keine Gewalt: Szene aus dem Dokumentar­film »One Word«

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