Philosophierender Maurergeselle
In memoriam Alfred Kosing
Ich lernte als Aspirant Alfred Kosing zu Beginn der 70er Jahre an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED kennen und schätzen. Er war ein Exponent jener undogmatischen und schöpferischen Atmosphäre wissenschaftlichen und philosophischen Lebens in dieser Einrichtung, deren Koordinaten Erich Hahn und Walter Schmidt, Mitstreiter Kosings, treffend beschrieben haben: einerseits selbstverständlich der Politik der SED verbunden, andererseits bestrebt, die Realität ungeschminkt wahrzunehmen und darzustellen. Ein Widerspruch, für den durchaus produktive Bewegungsformen und Lösungswege gefunden wurden, die aber letztlich an systemrelevante Grenzen stießen. Alfred Kosing hat an ihnen immer gerüttelt, lange vor der »Wende«.
Der 1928 im ostpreußischen Wolfsdorf Geborene hat sich bewusst für die philosophische Profession entschieden. Sein Talent, sein politischer Enthusiasmus, sein wissenschaftliches Können führten ihn in leitende Positionen der DDR- und internationalen Philosophie, die er wesentlich mitgeprägt hat. Marxistischer Philosoph war er vor und blieb er nach dem »Beitritt« zur BRD. Opportunismus war seinem Charakter und seinem theoretischen Denken fremd. Marx auf seine ökonomischen Theorien zu reduzieren oder Lenin einfach im märkischen Sand zu vergraben, war seine Sache nicht. Die sachliche und sorgfältige Analyse dessen, was der Realsozialismus und der ihn stützende Marxismus/Leninismus tatsächlich waren und leisteten und warum sie letztlich in der Systemauseinandersetzung mit dem Kapitalismus nicht erfolgreich bestanden, brannte ihm auf der Seele. Und dies schrieb er sich auch in mehreren Büchern von der Seele. Mit ihm darüber nicht mehr debattieren zu können, ist ein großer Verlust für die Linken. Denn zur Erarbeitung von Zukunftsstrategien ist nicht nur die Analyse des modernen globalen Finanzkapitalismus unerlässlich, es muss gleichermaßen der erste praktische Sozialismusversuch der Menschheit in all seinen Varianten analysiert werden. Ein »Ende der Geschichte« sah Alfred Kosing nicht, das widersprach seiner dialektischen Weltsicht.
Der Philosoph erwies sich auch als erstaunlich praktisch. Der gelernte Maurer konnte nicht nur mauern, sondern auch sehr gut kochen, segeln, professionell mit dem Computer umgehen, kosmetische Creme herstellen und dergleichen mehr. Dass der »Elitenaustausch« nach 1990 ihn zwang, für das Kosmetikstudio seiner Frau zu arbeiten, um die Veröffentlichung seiner zahlreichen neuen Schriften zu ermöglichen, zeigt, mit welcher Bosheit die Abwicklung der DDR-Eliten betrieben worden ist.