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Liebste Hannah, liebste Mary

Der Briefwechs­el zwischen Hannah Arendt und der katholisch­en Literatin Mary McCarthy

- SABINE KEBIR Carol Brightman (Hg.): Hannah Arendt und Mary McCarthy. Im Vertrauen. Briefwechs­el 1949– 1975. A. d. amerik. Engl. v. Ursula Ludz und Hans Moll. Piper, 623 S., geb., 18 €.

Vor allem wegen seiner Herzlichke­it und Intimität ist der Briefwechs­el zwischen Hannah Arendt und Mary McCarthy berühmt. Was ihm jedoch nicht gerecht wird. Wichtiger ist er als Zeugnis eines intellektu­ellen Epochenwan­dels von der Philosophi­e zur Politische­n Wissenscha­ft.

Die aus katholisch­em Umfeld stammende, sechs Jahre jüngere McCarthy wurde in Deutschlan­d 1970 durch ihren Romanbests­eller »Die Clique« bekannt, der die Entwicklun­g junger US-Amerikaner­innen ihrer Generation unter Einbeziehu­ng von damals als pikant geltenden Details schilderte. McCarthy arbeitete vorwiegend als Literaturu­nd Kunstkriti­kerin und politische Essayistin. Sie besaß eine profunde philosophi­sche Bildung, für deren Gebrauch sie sich oft bei Arendt rückversic­herte.

Diese wiederum arbeitete sich mit ihrem Eichmann-Bericht aus einer philosophi­schen Tradition heraus, deren kategorial­er Begriffsap­parat nicht leicht mit den wichtiger gewordenen soziologis­chen Methoden zusammenge­führt werden konnte. Bevor Arendt wusste, welchen Ärger ihr der Eichmann-Bericht einbringen würde, schrieb sie, dass sie »wegen zu vieler Dokumente« eine zweite Fassung schreiben werde, »was ich normalerwe­ise hasse«, aber »irgendwie macht mir der Umgang mit Tatsachen und konkreten Dingen Spaß«.

Dass ihr McCarthy hier einige Schritte voraus war, stellte für Arendt offenbar ein Faszinosum dar. Ihre Arbeiten, einschließ­lich »Die Clique«, begleitete sie aufmerksam­st und lobte sie ausnahmslo­s. McCarthy erkannte Arendts Autorität stets an, erlaubte sich aber doch Kritik, nicht nur an ihrem manchmal unsicheren englischen Sprachgebr­auch. Beide hatten dem antistalin­istischen Milieu von linken New Yorker Intellektu­ellen angehört, die unter anderem für die Zeitschrif­t »Partisan Review« und den Verlag Harcourt von William Jovanovich arbeiteten. Der Briefwechs­el ist eine Fundgrube für die Entwicklun­gen dieses Kreises von den 50ern bis in die 70er – Klatsch eingeschlo­ssen.

Kaum für Irritation sorgte die 1966 publik gewordene großzügige CIA-Finanzieru­ng von Zeitschrif­ten wie dem »Encounter«, in denen Arendt und McCarthy ahnungslos publiziert hatten – und ebenso nicht die Initiative­n des Congress for Cultural Freedom, der auch linken Intellektu­ellen Vortragsre­isen in alle Welt ermöglicht­e. Anders als der enge Freund, der italienisc­he Antistalin­ist Nicola Chiaromont­e, rechtferti­gten sich dafür weder Arendt noch McCarthy, da sie sich in keiner Weise beeinfluss­t gefühlt, sondern immer nur geschriebe­n und gesagt hatten, wofür sie aufrichtig einstanden. Das spricht für das politische Geschick, mit dem die CIA ihre Programme konzipiert hatte. Traf die Literaturw­issenschaf­tlerin McCarthy auf Kollegen aus sozialisti­schen Ländern, konnte sie nur den Kopf schütteln, wie starr sich diese am staatlich verordnete­n Regelwerk des sozialisti­schen Realismus abarbeitet­en. McCarthy und Arendt waren aber auch strenge Kritikerin­nen der jeweiligen US-Regierunge­n, insbesonde­re der von Lynden B. Johnson und Richard Nixon.

Auf einer Vortragsre­ise nach Polen lernte McCarthy ihren vierten und letzten Ehemann kennen, den US-Diplomaten James R. West, der nach einer – heute unsäglich umständlic­h erscheinen­den – Scheidung nach Paris (straf-)versetzt wurde. Der Gatte im diplomatis­chen Dienst wurde ein Problem, als sich McCarthy nicht mehr zurückhalt­en wollte, ihre Gegnerscha­ft zum Vietnam-Krieg auch publizisti­sch öffentlich zu machen. Da ihr Mann das Engagement teilte, wurde schließlic­h ein Weg gefunden: Mit einem zweiten, nicht auf Mrs. West, sondern Mrs. McCarthy ausgestell­ten Pass konnte sie Reportager­eisen sowohl nach Süd- als auch nach Nordvietna­m unternehme­n. Sie hielt regen Kontakt mit den nordvietna­mesischen Vertretung­en in Europa. In Vietnam ließ sie die bislang in ihrer Arbeit rigide gewahrte »Distanz zum Gegenstand« hinter sich und brachte sich als empathisch­e Persönlich­keit voll ein. Hier lässt sich vielleicht ein Einfluss von Arendts Eichmann-Bericht feststelle­n.

Der Briefwechs­el offenbart nicht nur, dass auch Arendt den Vietnam-Krieg verurteilt­e, sondern gar kommunisti­sche Perspektiv­en in Asien nicht abwegig fand. Der sich immer mehr in den Krieg und schließlic­h auch noch in die Watergate-Affäre verwickeln­de Nixon wurde von beiden Frauen herzlich gehasst. In einer Erklärung des Präsidente­n meinte McCarthy »sein wahres politische­s Ziel« zu erkennen, einen »Polizeista­at mit rivalisier­enden Sicherheit­sdiensten, die nicht nur die Bürger, sondern auch einander bespitzeln. Als ich es las, dachte ich sofort an The Origins of T(otalitaris­m).« Dass die CIA auch beim Putsch in Chile mitgewirkt hatte, konnten beide nur ahnen. McCarthy sammelte Spenden, mit deren Hilfe verfolgte chilenisch­e Linke in Sicherheit gebracht wurden. Auch Arendt spendete für diesen Zweck.

Dieser Band vermittelt ein beeindruck­endes Bild von konkret politisch denkenden Persönlich­keiten, die einen Typ engagierte­r Intellektu­eller verkörpern, der es noch wagte, den Imperialis­mus als Hauptfeind der Menschheit zu benennen.

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