Liebste Hannah, liebste Mary
Der Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und der katholischen Literatin Mary McCarthy
Vor allem wegen seiner Herzlichkeit und Intimität ist der Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Mary McCarthy berühmt. Was ihm jedoch nicht gerecht wird. Wichtiger ist er als Zeugnis eines intellektuellen Epochenwandels von der Philosophie zur Politischen Wissenschaft.
Die aus katholischem Umfeld stammende, sechs Jahre jüngere McCarthy wurde in Deutschland 1970 durch ihren Romanbestseller »Die Clique« bekannt, der die Entwicklung junger US-Amerikanerinnen ihrer Generation unter Einbeziehung von damals als pikant geltenden Details schilderte. McCarthy arbeitete vorwiegend als Literaturund Kunstkritikerin und politische Essayistin. Sie besaß eine profunde philosophische Bildung, für deren Gebrauch sie sich oft bei Arendt rückversicherte.
Diese wiederum arbeitete sich mit ihrem Eichmann-Bericht aus einer philosophischen Tradition heraus, deren kategorialer Begriffsapparat nicht leicht mit den wichtiger gewordenen soziologischen Methoden zusammengeführt werden konnte. Bevor Arendt wusste, welchen Ärger ihr der Eichmann-Bericht einbringen würde, schrieb sie, dass sie »wegen zu vieler Dokumente« eine zweite Fassung schreiben werde, »was ich normalerweise hasse«, aber »irgendwie macht mir der Umgang mit Tatsachen und konkreten Dingen Spaß«.
Dass ihr McCarthy hier einige Schritte voraus war, stellte für Arendt offenbar ein Faszinosum dar. Ihre Arbeiten, einschließlich »Die Clique«, begleitete sie aufmerksamst und lobte sie ausnahmslos. McCarthy erkannte Arendts Autorität stets an, erlaubte sich aber doch Kritik, nicht nur an ihrem manchmal unsicheren englischen Sprachgebrauch. Beide hatten dem antistalinistischen Milieu von linken New Yorker Intellektuellen angehört, die unter anderem für die Zeitschrift »Partisan Review« und den Verlag Harcourt von William Jovanovich arbeiteten. Der Briefwechsel ist eine Fundgrube für die Entwicklungen dieses Kreises von den 50ern bis in die 70er – Klatsch eingeschlossen.
Kaum für Irritation sorgte die 1966 publik gewordene großzügige CIA-Finanzierung von Zeitschriften wie dem »Encounter«, in denen Arendt und McCarthy ahnungslos publiziert hatten – und ebenso nicht die Initiativen des Congress for Cultural Freedom, der auch linken Intellektuellen Vortragsreisen in alle Welt ermöglichte. Anders als der enge Freund, der italienische Antistalinist Nicola Chiaromonte, rechtfertigten sich dafür weder Arendt noch McCarthy, da sie sich in keiner Weise beeinflusst gefühlt, sondern immer nur geschrieben und gesagt hatten, wofür sie aufrichtig einstanden. Das spricht für das politische Geschick, mit dem die CIA ihre Programme konzipiert hatte. Traf die Literaturwissenschaftlerin McCarthy auf Kollegen aus sozialistischen Ländern, konnte sie nur den Kopf schütteln, wie starr sich diese am staatlich verordneten Regelwerk des sozialistischen Realismus abarbeiteten. McCarthy und Arendt waren aber auch strenge Kritikerinnen der jeweiligen US-Regierungen, insbesondere der von Lynden B. Johnson und Richard Nixon.
Auf einer Vortragsreise nach Polen lernte McCarthy ihren vierten und letzten Ehemann kennen, den US-Diplomaten James R. West, der nach einer – heute unsäglich umständlich erscheinenden – Scheidung nach Paris (straf-)versetzt wurde. Der Gatte im diplomatischen Dienst wurde ein Problem, als sich McCarthy nicht mehr zurückhalten wollte, ihre Gegnerschaft zum Vietnam-Krieg auch publizistisch öffentlich zu machen. Da ihr Mann das Engagement teilte, wurde schließlich ein Weg gefunden: Mit einem zweiten, nicht auf Mrs. West, sondern Mrs. McCarthy ausgestellten Pass konnte sie Reportagereisen sowohl nach Süd- als auch nach Nordvietnam unternehmen. Sie hielt regen Kontakt mit den nordvietnamesischen Vertretungen in Europa. In Vietnam ließ sie die bislang in ihrer Arbeit rigide gewahrte »Distanz zum Gegenstand« hinter sich und brachte sich als empathische Persönlichkeit voll ein. Hier lässt sich vielleicht ein Einfluss von Arendts Eichmann-Bericht feststellen.
Der Briefwechsel offenbart nicht nur, dass auch Arendt den Vietnam-Krieg verurteilte, sondern gar kommunistische Perspektiven in Asien nicht abwegig fand. Der sich immer mehr in den Krieg und schließlich auch noch in die Watergate-Affäre verwickelnde Nixon wurde von beiden Frauen herzlich gehasst. In einer Erklärung des Präsidenten meinte McCarthy »sein wahres politisches Ziel« zu erkennen, einen »Polizeistaat mit rivalisierenden Sicherheitsdiensten, die nicht nur die Bürger, sondern auch einander bespitzeln. Als ich es las, dachte ich sofort an The Origins of T(otalitarism).« Dass die CIA auch beim Putsch in Chile mitgewirkt hatte, konnten beide nur ahnen. McCarthy sammelte Spenden, mit deren Hilfe verfolgte chilenische Linke in Sicherheit gebracht wurden. Auch Arendt spendete für diesen Zweck.
Dieser Band vermittelt ein beeindruckendes Bild von konkret politisch denkenden Persönlichkeiten, die einen Typ engagierter Intellektueller verkörpern, der es noch wagte, den Imperialismus als Hauptfeind der Menschheit zu benennen.