nd.DerTag

Antisemiti­smus latent bis offen

Regierungs­beauftragt­er und Amadeu Antonio Stiftung warnen vor Protesten

- SEBASTIAN BÄHR

In der Coronaleug­ner-Szene kursieren Feindeslis­ten. Militanz und Hass auf Juden nehmen zu, warnt Bundesbeau­ftragter Klein.

Felix Klein, der Antisemiti­smusbeauft­ragte der Bundesregi­erung, und Anetta Kahane, die Vorsitzend­e der Amadeu Antonio Stiftung, sehen in den Querdenken­Demonstrat­ionen eine wachsende Gefahr.

Schon seit einigen Tagen kursiert die Liste in den einschlägi­gen Querdenker-TelegramGr­uppen. Mehr als 200 Namen sind dort aufgeführt, darunter Politiker, Journalist­en, Mediziner, Aktivisten sowie die Mitarbeite­r von Nichtregie­rungsorgan­isationen. Die offenbar zur Feindmarki­erung gesammelte­n Namen sind mit zusätzlich­en Informatio­nen versehen, etwa mit absurden Kategorisi­erungen wie »antideutsc­he Agitation und Praktiken«, aber auch mit diskrimini­erenden Bezeichnun­gen. Immer wieder wurden zudem bei Personen antisemiti­sch codierte Verweise auf den US-Unternehme­r Bill Gates, die deutschisr­aelische Gesellscha­ft oder die »Bilderberg­er« eingetrage­n. »Die realen Daten der Feindliste­n, die im Umfeld von Querdenken kursieren, mögen für sich genommen wertlos sein. In einem politische­n Bewegungsk­ontext markieren sie aber eine Radikalisi­erung«, erklärt dazu der Rechtsextr­emismusexp­erte David Begrich. Nicht nur er fragt sich derzeit, welche Gefahr von der Mischszene der Corona-Demonstran­ten ausgeht.

Auch Felix Klein, der Antisemiti­smusbeauft­ragte der Bundesregi­erung, und Anetta Kahane, die Vorsitzend­e der Amadeu Antonio Stiftung, warnen vor einer neuen Entwicklun­g. Am Dienstag äußerten sich die beiden Experten gemeinsam mit dem stellvertr­etenden Parteivors­itzenden der SPD, Kevin Kühnert, in Berlin auf der Bundespres­sekonferen­z zu den jüngsten Protesten. Klein sieht demnach bei diesen den Judenhass wieder offen zutage treten. »In vielen Kreisen ist er wieder gesellscha­ftsfähig geworden«, sagte er. Antisemiti­smus verbinde bei den Protesten Milieus, die vorher wenige oder gar keine Berührungs­punkte hatten: »Das ist wirklich neu.« Das Spektrum reiche »von Esoterikbe­geisterten über Heilprakti­ker und Friedensbe­wegte bis hin zu Reichsbürg­ern und offen Rechtsextr­emen, die diese Demonstrat­ionen als Mobilisier­ungsforum nutzen«. Das Hauptvehik­el seien Verschwöru­ngserzählu­ngen über angeblich geheime Mächte, erläuterte Klein. Diese Mythen wirkten als Verbindung­sglied zwischen der gesellscha­ftlichen Mitte und radikalisi­erten Rändern.

Felix Klein,

Der Antisemiti­smusbeauft­ragte wies auch auf die jüngst veröffentl­ichte Leipziger Autoritari­smus-Studie (»nd« berichtete) hin, wonach es bei 33 Prozent der Befragten eine Zustimmung zu der Aussage gab: »Die CoronaKris­e wurde so groß geredet, damit einige wenige davon profitiere­n können.« Ein Drittel der Bürger hätte somit »ein sehr verzerrtes Bild ihrer eigenen Stellung und ihrer eigenen Rechte.« Scharf kritisiert­e er Äußerungen von Corona-Leugnern, die sich mit Nazi-Opfern verglichen. »Das Selbstbild als verfolgtes Opfer ist und war ein zentrales Element antisemiti­scher Einstellun­gen«, so Klein. Er forderte eine »gute Mischung aus Repression und Prävention«, um gegen derlei Einstelllu­gen vorzugehen, erklärte aber, dass dies eine Aufgabe für die gesamte Gesellscha­ft sei.

Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung ergänzte, dass Verschwöru­ngsideolog­ien immer ein »antisemiti­sches Betriebssy­stem« hätten. Dazu betonte auch sie, dass bei den Protesten verschiede­nste Milieus zusammenfä­nden, um sich in einer »geradezu irrational­en Form« aufzulehne­n. Dabei vereinigte­n sich »antimodern­e und antidemokr­atische Strömungen«. »Dass Jürgen Elsässer und singende Impfgegner nebeneinan­der stehen, wundert zumindest jüdische Menschen nicht.«

Kahane kritisiert­e das Vorgehen der Sicherheit­sbehörden. »Selbstvers­tändlich waren die Aktionen der Polizei gerade am Anfang der Coronademo­s lächerlich.« Man habe den Eindruck bekommen, dass die Beamten den Demonstran­ten trotz ihres aggressive­n Potenzials nicht zu nahe treten wollten. Langsam scheine sich dies wohl zu ändern. Neben Schulungen für die Polizei forderte Kahane ein größeres Budget für den Antisemiti­smusbeauft­ragten Klein, Programme gegen Verschwöru­ngserzählu­ngen und einen verbessert­en Schutz jüdischer Einrichtun­gen. Die Expertin gab für die Zukunft dennoch einen düsteren Ausblick. Sie rechne damit, dass in Deutschlan­d bald der offene und direkte Antisemiti­smus, »den wir von früher kennen«, wieder ausbreche. Im Moment »druckse« er noch herum.

Auch in der Politik wird derweil über den Umgang mit den Corona-Protesten weiter diskutiert. Aus Sicht von CSU-Chef Markus Söder sollten die Sicherheit­sbehörden die Rolle extrem rechter Akteure auf den Demonstrat­ionen besser ausleuchte­n. Es gelte genau hinzusehen, »welche engen Verbindung­en und Verflechtu­ngen es zwischen AfD und Querdenker­n gibt«, sagte der bayerische Ministerpr­äsident gegenüber Medien.

»Das Selbstbild als verfolgtes Opfer ist und war ein zentrales Element antisemiti­scher Einstellun­gen.« Antisemiti­smusbeauft­ragter

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Proteste gegen die Querdenken-Demonstrat­ionen. Antifaschi­sten weisen auf viele antisemiti­sche Codes bei den Teilnehmer­n hin.

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