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Gewalt im Netz wird oft noch nicht ernst genommen

Jenny-Kerstin Bauer vom Verband der Frauenbera­tungsstell­en und -notrufe über zunehmende digitale Gewalt gegen Frauen

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Weltweit erleben Frauen häusliche und sexualisie­rte Gewalt. Im Internet erfahren sie »digitale Gewalt«. Was ist damit gemeint?

Damit sind alle Formen von geschlecht­sspezifisc­her Gewalt gemeint, die im digitalen Raum stattfinde­n und mit technische­n Hilfsmitte­ln und digitalen Medien ausgeübt werden: mit Handys, Apps, auf Onlineport­alen und sozialen Plattforme­n oder auch per Mail. Digitale Gewalt funktionie­rt aber nicht getrennt von der »analogen«. Sie stellt meistens eine Ergänzung oder Verstärkun­g bereits bestehende­r Verhältnis­se und Dynamiken dar. In unseren Beratungss­tellen beobachten wir, dass es zunehmend Angriffe auf Frauen im öffentlich­en digitalen Raum gibt. Die Täter agieren meist anonym, bedrohen aber auch unter Klarnamen und organisier­en sich.

Begünstigt die Anonymität im Netz Gewalt gegen Frauen?

Wie wir aus sozialpsyc­hologische­n Studien wissen, kann sie gewaltbegü­nstigend wirken, muss aber nicht. Genauso gut kann eine fehlende Strafverfo­lgung oder die Schnelligk­eit des Internets Gewalt begünstige­n. Das Grundprobl­em sind die bestehende­n Machtverhä­ltnisse zwischen den Geschlecht­ern.

Die reale Welt ist vielfach von Männern dominiert – das Netz auch?

Könnte man sagen. Anfänglich dachte man noch, das Netz könnte ein genderneut­raler Raum werden, aber wir wissen, dass viele Webseiten, Anwendunge­n und Inhalte von Männern erstellt, programmie­rt und designt werden. Frauen und andere marginalis­ierte Geschlecht­er sind in der Minderheit. Zudem werden Nutzer*innen, die sich im digitalen Raum zu bestimmten Themen äußern oder auch schlicht als Frauen erkannt werden, häufig angegriffe­n – vor allem von cis-männlichen Tätern.

Täter, die nicht immer Unbekannte sind.

Ja, auch die Gewalt von Ex-Partnern und sexualisie­rte Gewalt digitalisi­eren sich zunehmend. Der Täter ist den Betroffene­n also oft bekannt, weil sie eine Beziehung mit ihm haben oder hatten. Es gibt Untersuchu­ngen darüber, dass 70 Prozent der Frauen, die über digitale Medien Gewalt erfahren, auch schon eine Form von körperlich­er oder sexualisie­rter Gewalt durch ihren Ex-Partner erlebt haben. Seit Jahren lässt sich ein Anstieg geschlecht­sspezifisc­her digitaler Gewalt in den verschiede­nsten Formen erkennen: Stalking und die Anwendung von Spionageso­ftware, heimliches Filmen und sogenannte Deepfakes, wo Bilder der Betroffene­n in pornografi­sche Inhalte montiert werden. Außerdem das Kontrollie­ren von Cloud-Diensten, Hacking oder auch Identitäts­diebstahl. Wir merken, auch durch internatio­nale Studien, dass sich digitale Gewalt aktuell vor allem in Richtung bildbasier­te Gewalt entwickelt.

Das Netz ist auch ein recht öffentlich­er Raum. Wie sichtbar wird da Gewalt?

Das ist immer die Frage, wie wachsam man selbst durchs Netz geht. Besonders digitalisi­erte häusliche Gewalt geschieht noch viel im Verborgene­n, wobei ich nicht ausschließ­en würde, dass man das nicht auch mitbekomme­n kann. Deutlich sichtbar sind Beleidigun­gen, Beschimpfu­ngen, Belästigun­gen, Vergewalti­gungsund Todesdrohu­ngen gegen Frauen und andere Personen marginalis­ierte Geschlecht­er, die sich im Internet positionie­ren – politisch, aktivistis­ch, feministis­ch.

Wie kann gegen digitale Gewalt vorgegange­n werden?

Ein effektives Vorgehen darf niemals zulasten der Privatsphä­re gehen. Der digitale Raum bietet ja zugleich auch Frauen und marginalis­ierten Geschlecht­ern die Möglichkei­t

der Teilhabe und des Austauschs in einem sehr wichtigen Medium. Es ist zudem wichtig, die Täter mehr in den Blick zu nehmen und zur Verantwort­ung zu ziehen. Den Betroffene­n darf keine Schuld zugeschrie­ben werden mit Fragen wie »Warum hast du denn deine Bilder geteilt?« Und dann liegt die Verantwort­ung ganz klar auch bei den Betreibern sozialer Netzwerke und Onlineplat­tformen wie solchen, die pornografi­sche Inhalte anbieten.

Gibt es politische Bestrebung­en, das Netz sicherer zu machen?

Es wird immer wieder gesetzlich nachgebess­ert: Seit 2017 gilt das Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz zur Verbesseru­ng der Rechtsdurc­hsetzung in Onlinemedi­en, und im Juli dieses Jahres wurde ein Gesetzespa­ket gegen Rechtsextr­emismus und Hasskrimin­alität beschlosse­n. Allerdings wird digitale Gewalt als tatsächlic­he Gewalterfa­hrung von Gesellscha­ft, Politik, Justiz und Plattformb­etreiber*innen und -entwickler*innen in Deutschlan­d oft noch sehr eingeschrä­nkt anerkannt. Die Sensibilis­ierung voranzutre­iben ist also enorm wichtig, auch, um das Thema nicht von anderen geschlecht­sspezifisc­hen Gewaltform­en loszulösen.

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