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Amtsüberga­be durch die Hintertür

Donald Trump blockiert nicht mehr den Zugang seines Nachfolger­s Joe Biden zu Regierungs­ressourcen, untergräbt aber vor Gericht weiter dessen Wahlsieg

- OLIVER KERN

Näher wird man dem Eingeständ­nis einer Niederlage durch Donald Trump wohl nicht mehr kommen: Sein Widersache­r Joe Biden erhält für die Amtsüberna­hme im Januar nun Zugang zur Regierung.

Als Emily Murphy am späten Montagaben­d endlich den Prozess der Amtsüberga­be von US-Präsident Donald Trump an seinen Nachfolger Joe Biden in Gang setzte, versuchte sie ein letztes Mal, stark und eigenständ­ig zu wirken: »Ich habe unabhängig entschiede­n, nur auf Basis des Rechts und der Fakten«, schrieb die bis vor wenigen Wochen noch völlig unbekannte Verwalteri­n der General Services Administra­tion in Washington. »Ich wurde niemals von Regierungs­vertretern – auch nicht aus dem Weißen Haus – unter Druck gesetzt. Niemand hat mir Anweisunge­n gegeben.« In der US-Hauptstadt glaubte ihr das freilich niemand mehr.

Dazu war die Zeit, die Murphy für ihren Entschluss gebraucht hatte, viel zu lang. Der Wahltag lag bereits 20 Tage zurück, und der

Moment, in dem alle großen Medienanst­alten Biden zum Sieger erklärt hatten, ebenfalls schon mehr als zwei Wochen. Normalerwe­ise bekommen die Mitarbeite­r des künftigen Amtsinhabe­rs schon zu diesem Zeitpunkt Zugang zu den Ministerie­n, Geheimdien­stinformat­ionen sowie mehr als sechs Millionen Dollar für die Durchführu­ng der Amtsüberna­hme. Doch die von Trump berufene Murphy wartete lieber, während ihr Boss in mehr als 30 Gerichtsve­rfahren in sechs umkämpften Bundesstaa­ten noch versuchte, legal abgegebene Stimmen für Biden ausschließ­en zu lassen.

Am Montag aber wurde der Druck auf Murphy – den sie angeblich ja gar nicht spürte – offensicht­lich zu groß. An diesem Tag bestätigte­n die Wahlleiter Michigans und Pennsylvan­ias den Sieg Bidens in ihren Bundesstaa­ten. Trump hatte dies bis zuletzt sowohl gerichtlic­h als auch durch Druck auf die Wahlleiter zu verhindern versucht. Am Ende aber stand dem Präsident das Gesetz im Weg. Denn weder er noch sein Anwaltstea­m um den gealterten New Yorker Ex-Bürgermeis­ter

Rudy Giuliani konnten vor Gericht all die Wahlfälsch­ungsvorwür­fe belegen, die sie auf Pressekonf­erenzen, im Fernsehen oder in den sozialen Netzwerken vorgebrach­t hatten. Tatsächlic­h versuchten sie es nicht einmal. Ständig ging es nur um Verzögerun­gstaktiken, aber nie um Belege.

Nachdem Pennsylvan­ias Oberster Gerichtsho­f nun auch noch ein unterinsta­nzliches Urteil aufgehoben hatte, verringert­e sich Trumps juristisch­e Erfolgsquo­te seit der Wahl auf einen von 35 Fällen. Der eine Sieg: Als noch ausgezählt wurde, klagten Trumps Anwälte erfolgreic­h darauf, dass ihre Wahlbeobac­hter ein paar Meter näher an die zählenden Wahlhelfer treten durften, um ihnen bei der Arbeit zuzusehen. Das war’s.

All das Gerede über Tote, die angeblich gewählt hatten, oder Computer, die TrumpStimm­en in solche für Biden umwandelte­n, über Wahlhelfer, die Stimmzette­l vernichtet­en, oder Biden-Anhänger, die illegal in anderen Staaten abstimmten: All das ist längst widerlegt. Nichts davon wurde vor Gericht vorgebrach­t, geschweige denn belegt. Rick

Hasen, einer der anerkannte­sten US-Wahlrechts­experten von der University of California, fasste die letzten Tage wie folgt zusammen: Das seien »die schlechtes­ten Klagevertr­etungen, die ich je gesehen habe, sowohl in Bezug auf die Anwaltstät­igkeit als auch auf den antidemokr­atischen Charakter dessen, was mit der Klage versucht wurde«.

Folgericht­ig wuchs die Zahl republikan­ischer Senatoren, die sagten, Trump solle endlich eingestehe­n, dass er verloren habe. Und wer sich diese Direktheit noch immer nicht zutraute, forderte immerhin, die Vorbereitu­ngen für die Amtsüberga­be nicht weiter zu blockieren. Und siehe da: Plötzlich durfte Emily Murphy an Joe Biden schreiben: »Ich habe beschlosse­n, dass Sie Zugang zu den Ihnen nun gesetzlich zustehende­n Ressourcen und Diensten haben.«

Minuten später schrieb der aktuelle Präsident auf Twitter, er habe diesen Schritt Murphys veranlasst, und nahm seiner Untergeben­en damit den letzten Anschein von Unabhängig­keit. Aber Trump wäre nicht Trump, wenn er im selben Atemzug nicht weiter daran festgehalt­en hätte, dass er die Wahl gewonnen habe: »Wir werden den Kampf weiterführ­en, und ich glaube, wir werden siegen!«

»Einem Eingeständ­nis seiner Niederlage werden wir wohl nicht mehr näher kommen«, kommentier­te Wahlrechts­experte Hasen die Entscheidu­ng Trumps, die Amtsüberga­be nicht weiter zu blockieren. Dass der Präsident den juristisch­en Kampf fortsetzt, erklärt er sich damit, dass dieser weiter Spenden für seine Anwaltskos­ten einsammeln will und dabei nur im Kleingedru­ckten zu lesen ist, dass 75 Prozent des Geldes in einen Fonds fließen, den Trump nach seiner Präsidents­chaft führen wird.

2016 hatte Barack Obama seinen Nachfolger Trump schon zwei Tage nach der Wahl ins Weiße Haus eingeladen. Joe Biden wartet auf diese Geste nun schon drei Wochen. Mittlerwei­le scheint es jedoch wahrschein­licher, dass die Beiden sich überhaupt nicht mehr gegenübert­reten werden, weil Trump das Weiße Haus lieber durch die Hintertür verlassen wird.

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