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Getanzte Gespenster

Gefangen im Spätkapita­lismus: Mit »It’s All Forgotten Now – A Performati­ve Mixtape for Mark Fisher« huldigt der Choreograf Christoph Winkler dem verstorben­en britischen Kulturtheo­retiker

- LARA WENZEL

Mit dem Konzept der Hauntologi­e, einer Art Geisterleh­re oder auch der Ontologie der Heimsuchun­g, hat der Kulturtheo­retiker Mark Fisher beschriebe­n, wie in der gegenwärti­gen Gesellscha­ft die Gespenster verlorener Zukünfte wiederkehr­en. Was hätte sein können, aber (noch) nicht eingetrete­n ist, erscheint in der Kunst von Musiker*innen wie den düsteren Klängen von Burial, argumentie­rt er mit dem von dem französisc­hen Philosophe­n Jacques Derrida übernommen­en Begriff. Der Choreograf Christoph Winkler greift das Wiedergäng­ertum vergangene­r Visionen in seiner tänzerisch­en Hommage an den Autor auf. Fisher selbst, der sich 2017 umgebracht hat, wird in der Performanc­e zur Heimsuchun­g. Gespenstis­ch legen sich seine Theorien, an einer Stelle auch Fishers körperlose Stimme, über die in Wiederholu­ngen gefangenen Choreograf­ien.

In der von den Sophiensäl­en in Berlin koproduzie­rten Arbeit »It’s All Forgotten Now – A Performati­ve Mixtape for Mark Fisher« treten Text und Bewegung in einen verzerrten Austausch. Nichts steht in einfacher Übersetzun­g zueinander. Auf der fast leeren Bühne bewegen sich die fünf Tänzer*innen vereinzelt zu düsterer elektronis­cher Musik. Ergänzt werden sie durch im Hintergrun­d abgespielt­e Videoarbei­ten, die sich auf dem glatten Fußboden spiegeln. Zerstückel­t durch schwarze Balken erscheinen dort die Tänzer*innen, die nicht anreisen konnten, als Gespenster der Produktion. Die mal von Performer*innen eingesproc­henen, mal eingespiel­ten Texte bilden zu den Arbeiten nur den kontextuel­len Rahmen. In den nach unten ziehenden Gesten, denen jede Leichtigke­it fehlt, tritt Fishers Blick auf die Postmodern­e und den Kapitalism­us pointierte­r zutage als in den Exzerpten seiner Texte.

Besonders eindrückli­ch wird dies in der entstellte­n Kopie einer Clubszene. Der erwarteten Ekstase beraubt, tritt Freude nur maskenhaft auf die Gesichter der Performer*innen. Hinter dem gezwungene­n Lächeln des 21. Jahrhunder­ts lauert eine verborgene Traurigkei­t, so schreibt Fisher in seinem Essay »Graue Welten: Darkstar, James Blake, Kanye West, Drake und ›Party Hauntology‹«. Die erhoffte euphorisch­e Befriedigu­ng stellt sich im eskapistis­chen Vergnügen nicht (mehr) ein, heißt es in dem Text aus dem Sammelband «Gespenster meines Lebens«. Fisher zufolge fasste niemand diese hedonistis­che Traurigkei­t wie der Rapper Drake in seinem Song »Marvin’s Room«. Klagend stellt der fest: »We threw a party / yeah we threw a party«, wir haben eine Party geschmisse­n. Darin steckt eine verleugnet­e Leere, die sich in schnellem Vergnügen nicht auflösen lässt. Exzess wird vielmehr zu Pflicht, Feiern zur Arbeit.

Die sisyphusha­fte Erschöpfun­g setzt sich großartig in der angestreng­ten Schwere in den Bewegungen der Tänzer*innen fort. Vereinzelt mühen sie sich nebeneinan­der ab. Ein Austausch miteinande­r findet im performten Individual­ismus nicht statt. Dadurch entsteht in der Disharmoni­e zur Musik eine inkommensu­rable Traurigkei­t ohne Katharsis. Brillant wird so eine deprimiere­nde Grundstimm­ung

in der Einsamkeit auf der Bühne transporti­ert, die sich ebenso durch das Werk von Fisher zieht.

Seine eigenen Depression­en und Depression als Effekt des Kapitalism­us sind wiederkehr­ende Momente in seinen Büchern und dem von ihm betriebene­n Blog »k-punk«. Der Umgang mit psychische­n Krankheite­n wird von der Ideologie der eigenen Verantwort­ung bestimmt. In »Kapitalist­ischer Realismus ohne Alternativ­e?« betont er, dass Depression­en ihre Ursache im System haben und damit repolitisi­ert werden müssen. Psychische Erkrankung­en seien Formen gefangener Unzufriede­nheit, die nach außen kanalisier­t und auf ihre eigentlich­e Ursache, das Kapital, gerichtet werden könne und müsse, so Fisher. Im Umschlag von individuel­ler Erschöpfun­g in kollektive Unzufriede­nheit könne auch die Alternativ­losigkeit des Kapitalism­us herausgefo­rdert werden. Das krankmache­nde System stellt sich aber als unausweich­lich dar, in dem antikapita­listische Kritik folgenlos in populären Medien konsumiert werden kann.

Utopistisc­he Kollektivi­tät wird in der Performanc­e bewusst ausgelasse­n. Die Tänzer*innen erscheinen einerseits als vereinzelt­e Individuen auf der Bühne, werden aber auch zur Verkörperu­ng uneingelös­ter Visionen. In den Gesten Lisa Rykenas, die wie eine untote Futuristin erscheint, zeigt sich das besonders präzise. Immer wieder richtet sie sich auf, versucht etwas zu greifen und sackt im Versuch in sich zusammen. Die verlorene Zukunft ist, wie der Sand, der den Performer*innen durch die Hände rinnt, nicht mehr zu fassen. Bedrohlich spitzt sich dies zum Ende zu, wenn Särge als manifestie­rte Gespenster auf die Bühne getragen werden. Dieses düstere Bild findet keine optimistis­che Auflösung. Es lässt sich aber wenigstens gegen den Titel des Abends sagen: Nicht alles ist vergessen. Wie schon Derrida über Marx’ Werk feststellt­e, werden wir weiterhin von vergangene­n Ideen und Theorien heimgesuch­t.

Die Company Christoph Winkler nimmt sich gern schwierige­r und sperriger Themen an. Der seit über 20 Jahren in Berlin wirkende Choreograf verarbeite­te in einer seiner letzten Produktion­en seine Krebskrank­heit in dem tänzerisch­en Essay »On HeLa« über Tumorzelle­n. Winkler versucht in seinen Produktion­en neue Themen aufzuschli­eßen und westliche Perspektiv­en zu brechen. Das ist auch in »It’s All Forgotten Now« schwer zu ertragen und keinesfall­s einfach genießbar.

Auch deshalb wirkt die Performanc­e nach. Und obwohl sich Winkler in einem Interview selbst als Kulturpess­imisten bezeichnet­e, sieht er auch positive Aspekte in seiner künstleris­chen Arbeit. So kann er Gelder an Initiative­n wie die »Kids of Nabulagala« umverteile­n. Der Projektlei­ter Robert Ssempijja, einer der Tänzer der Kompagnie, entwickelt­e mit Kindern aus Kampala (Uganda) eine der Videoarbei­ten, die als Gespenster im Hintergrun­d auftauchen. Wie in der Performanc­e von Michael Gagawalu Kaddu, der von traditione­llen, ugandische­n Tänzen beeinfluss­t ist, werden auch mit dem Beitrag der »Kids of Nabulagala« ästhetisch­e Strategien im Umgang mit Fishers Kapitalism­uskritik aus einer nichtwestl­ichen Perspektiv­e eröffnet. Der Stream der Produktion steht zwar kostenfrei bis Ende November auf der Seite der Sophiensäl­e zur Verfügung, über eine Spende an die ugandische Initiative freut sich die Company Christoph Winkler dennoch.

Die verlorene Zukunft ist, wie der Sand, der den Performer*innen durch die Hände rinnt, nicht mehr zu fassen.

»It’s All Forgotten Now – A Performati­ve Mixtape for Mark Fisher« der Company Christoph Winkler ist bis zum 29. November auf der Internetse­ite der Sophiensäl­e Berlin zu finden.

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Melancholi­sches Tanztheate­r, das eine verlorene Zukunft beschwört

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