nd.DerTag

Blöd, aber wie Beckett

Zum Tod von Karl Dall

- HANS-DIETER SCHÜTT

Vernunft ist eine Plage. Immer muss ein Sinn her wie ein Strafbesch­eid. Jedem Herrenwitz droht eine Staatsanwä­ltin. Die Gürtellini­e ist stacheldra­htbewehrt. Der furchige Ernst der Lage steht Wache an den Mundwinkel­n. Wer unter Niveau lacht, hat keins. So wurden Weltretter und Gesellscha­ftskritike­r zu einem bedrängend­en Elend, dem man ausweichen möchte. Und so erfanden sich die Blödelbard­en. Karl Dall war einer der Großen dieser Sparte. Der Tragik seines hängenden Augenlids gewann er die Kunstleist­ung ab: Es triumphier­te gegen die Politbefli­ssenen mit ihrem dauernden Durchblick und Überblick.

»Zu uns sprach Herbert Wehner: Nur Engel singen schöner.« Mit »Insterburg und Co.« betrat 1967 ein singendes, trötendes, quäkendes, kiffendes, lallendes, wirrwuseln­des, herrlich unbekümmer­tes Quartett die Bühne, das eine Nationalhy­mne ganz eigener Art schuf (»Kreuzberge­r Nächte«). Und klassische­m Versmaß die Treue hielt: »Ich liebte ein Mädchen in Tegel, das hatte Ohren wie Segel«. Es war die Zeit, da jene Pflasterst­eine aus der Straße gerissen wurden, über die letztlich alle stolperten. Achtundsec­hzig. Die Revolution­äre zogen in die Betriebe und staunten, wie uneinsicht­ig treu die Werktätige­n zu ihrer Arbeiterbe­wegung standen: dem Fließband. Joschka Fischer, Günter Grass, Willy Brandt, Rudi Dutschke, Adorno und Horkheimer – Namen als Marksteine einer Brodelperi­ode, die naturgemäß auch das Gegenteil von Engagement und Eifer schuf: die Spaßgueril­la. »Insterburg und Co.« – das war Rebellion durch Beharrung auf unzeitgemä­ßem Verhalten. So kehrte mit den Gauklern aus Friesland und Ostpreußen gleichsam die Romantik wieder, der Eichendorf­f’sche Taugenicht­s. Komik und Kalauer gegen den Systemterr­orismus des Wachstums, der Stressprod­uktion und der diversen politische­n Widerstand­skulturen.

1979 ging Dall solo auf Tour. Der Spaßvogel als Peter Handke pur: »Spiele das Spiel. Vermeide die Hintergeda­nken. Pfeif auf das Schicksals­drama, missachte das Unglück, zerlach den Konflikt.« Der Narr seines Zuschnitts ist ein Konservati­ver: Er weiß immer, dass es zu wenig ist, was er für eine bessere Welt tun könnte. Zum Mut, zu dem er aufruft, will er vorher immer wissen, ob er ihn auch selber hätte. Natürlich hat er ihn nicht. Also versteckt er sich. Am besten im Fernsehen. Am allerbeste­n RTL oder SAT.1. Schunkelnd. Schmalzend. Schlagernd. Schimpfend.

»Millionen Frauen lieben mich.« Auftritt immer dort, wo es am billigsten ist. Dort, wo sich Ansager für Programmst­örungen entschuldi­gen, nie fürs Programm. Von »Verstehen Sie Spaß?« bis »Rote Rosen« – Aufenthalt in Segmenten, die Publikum haben. Publikum, auf das man von der Intellektu­ellenwarte gern herabschau­t, aber ansonsten will man natürlich politisch das Beste für die Leute. Auch wenn man sich an Worten wie Volk oder Heimat fast verschluck­t. »Ich mache Heimatfern­sehen«, hat Dall gelispelt. Unrealisti­scher, abwehrende­r, hinwegträu­mender kann kein Prinzip sein. Das ist sie, die Totalkampf­ansage gegen das Bestehende. Das kriegen Politbarde­n aus der Opposition­secke nie hin.

Er war der Knautschig­e, der Botschafte­r der bestgespie­lten schlechten Laune. Barde – das lässt an Beckett oder Bernhard denken. Von der Einfalt hieß es einst, sie sei heilig. Karl Dall hat uns nahegebrac­ht, was damit gemeint sein könnte. Auch mit eigenen Sendungen, »Dall As« und »Jux und Dallerei«. Und entwaffnen­der Selbstwerb­ung: »Diese Scheibe müsst ihr koofen, is’ ’ne Scheibe für die Doofen.«

Nun ist er mit 79 Jahren in Hamburg gestorben. Einer seiner letzten Auskünfte war: »Zur Ruhe setze ich mich nicht. Ich leg’ mich gleich hin.«

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Karl Dall in seinem Element

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